anfangs wurde es mit einem schlag still
dann kam der schmerz
ganz fein sickerte er in mich ein
ich merkte ich nicht, wie ich innerlich schrie
nach und nach kommt nun das grauen
draußen sein, wärme lachen luft, alles weg
novemberlicht nagt an meinen nerven
kulturelle übermalungen schwinden
kein fußball, kein konzert, keine flugreise, kein weihnachtsmarkt
der kaiser und die kaiserin, sie haben keine kleider an
langeweile ist mein hemd, sinnlosigkeit meine hose
angst vor ansteckung meine unterwäsche
berührungsangst, anfassen verboten
corona macht mich nackt
im frühjahr gab es diesen moment
meine vertraute welt zerriß in mir
der traum von sicherheit versank im lockdown
leben ist lebensgefährlich
ich erschrak bis ins mark
über meine verstricktheit in eine tötende maschinerie
ich bin teil eines mordenden systems
von menschen geschaffen um menschen zu schützen
artensterben, höfesterben, innenstadtsterben, tourismussterben
töten, um zu leben
teil des lebendigen organismus, den ich schöpfung nenne, ja
doch über jahrzehnte perfektioniert
hinterlässt das system verbrannte erde
äußerlich wie innerlich
men first, menschen zuerst
und dann lange nichts
der ast ist schon so lange angesägt
von niemand allein und allen gemeinsam, irgendwie und überall
nach und nach kommt das grauen zum vorschein
die verstrickung, die schuld, das versagen
der krieg gegen das virus spiegelt nur den krieg gegen die schöpfung
ein impfstoff wird dagegen nicht helfen
sondern mich dem schmerz stellen und ihn benennen
klagen und weinen
über die geknechteten schweine, die auf schlachtung warten
über die frauen und männer in griechenland, die nichts verdient haben in diesem sommer, weil wir nicht kamen
über die einsamkeit in altenheimen und engen wohnungen, eingepferchte menschen, zurückgeworfen auf sich selbst
über die wohlgefälligkeit im homeoffice der zoomgewinnler:innen
über pfleger:innen, gastwirt:innen, flugbegleiter:innen
über tiere und pflanzen
die liste ist schier unendlich lang
die dimensionen rauben mir die sprache
schnüren mir die kehle ab
was ist das für eine welt, gott, deine gute schöpfung?
was ist, wenn diese deine welt doch nicht einfach gut oder böse ist, nicht schwarz noch weiß?
und kriege nicht helfen, niemals, gegen wen auch immer?
volkstrauertag, coronatrauertag
gemeinsam trauern
den schmerz zulassen und fühlen
stammelnd in worte fassen
damit das grauen nicht überhand gewinnt
und hoffnungspflanzen blühen können
Kleine Korrektur Gedichtzeile: „… ganz fein sickerte er in mich ein …“
Nichts für ungut und viele Grüße
Fred Lang
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Ein kleines „Dankeschön“ auf meinen Hinweis hätte ich für durchaus angebracht gehalten. Schade!
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Da haben Sie völlig recht, das ist mir tatsächlich durchgegangen, mich bei Ihnen zu bedanken, sorry!
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