Weihnachten aus der Sicht des Kindes in der Krippe

Ich komme an.
Es muss hier sein.
In Betlehem.
So habe ich es selbst angekündigt.

Neun Monate lang habe ich auf diesen Moment gewartet.
In Dunkelheit und im Fruchtwasser einer Frau schwimmend.
Ich habe alles gehört und gespürt, was sie erlebt hat.
Eben bin ich aus ihr herausgeschlüpft.

Ich blinzele.
Sehe Maria.
Meine Mutter.
Die Frau, die ich ausgewählt habe.
Ihre Augen schwimmen in Freudentränen.

Hinter ihr steht Josef.
Mein Vater …?
Es bleibt ein Geheimnis.
Sex hatten die beiden schon, unverheiratet.

Josef schneidet mit einem Messer die Nabelschnur durch.
Wickelt mich in ein Tuch.
Legt mich in die Arme von Maria.

Sie wiegt mich hin und her.
Öffnet ihr Gewand.
Führt mich an ihre Brust.
Dankbar sauge ich die warme Milch.
Sie verbindet mich auf immer mit ihr.

Satt legt sie mich in eine Krippe.
Tiere sind im Stall.
Ochse, Esel, Kuh, ein paar Hühner.
Alle schauen mich an.

Sie wissen, wer ich bin.
Auch ihre Hoffnung richtet sich auf mich.
Frieden auf Erden, Sehnsucht auch der Tiere.

Müde schließe ich die Augen.
Träume.
Von dem, was war.
Und jetzt ist.
Es braucht ein Kind, das Hoffnung schenkt.

Ich erwache.
Höre Stimmen.
Ich öffne die Augen.

Männer beugen sich über mich.
Bärtig und mit strubbeligen Haaren.
Sie riechen kräftig nach Draußen.

Maria legt mich einem in den Arm.
Ich schaue in seine sehnsüchtigen Augen.
Er weint.
Reicht mich weiter an den nächsten.

Und erzählt von einem Engel.
Der rief ihnen auf dem Feld zu:
In einer Krippe in Betlehem findet ihr ein Kind.
Gott selber.
Die Hoffnung.

So hatte ich es eingefädelt.
Meine himmlischen Heerscharen haben den Plan perfekt umgesetzt.
Die Welt muss erfahren, was geschieht.

Die Hirten gehen wieder.
Mein Blick fällt durch das Fenster auf den Stern.
Ich weiß, da wird noch jemand kommen.

Ich schließe wieder die Augen.
Maria und Josef ebenso.
Die Tiere machen leise muh und schnauben.

Am nächsten Morgen.
Maria ruht sich aus, Josef streift umher.
Abends klopft es.

Drei Männer stehen da.
Gut gekleidet.
Ich kenne sie.
Sterndeuter aus dem Osten.
Sie sind dem Stern gefolgt und waren schon in Jerusalem.

Ich habe mich später oft gefragt:
Was wäre, wenn …
…sie dem Stern direkt hierher gefolgt wären?

Doch sie dachten:
Ein Königskind kommt im Palast zur Welt.
Wer will es ihnen übelnehmen?

Sie konnten nicht ahnen, was folgte.
Eine Kette furchtbarer Ereignisse.
Der Mord an vielen Jungen in Betlehem.
Die Flucht von Maria, Josef und mir nach Ägypten.

Jetzt sind sie hier.
Das ist gut.
Erst kamen Menschen, die ganz unten sind.
Dann Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Dazu ein Paar, unverheiratet.
Mit einem neugeborenen Kind.

Sinnbilder der Hoffnung will ich in die Herzen der Menschen pflanzen.
Sie stehen für all das, was ich als erwachsener Mann in Jesus vollbringen werde.
Diese Bilder haben Menschen überall auf der Welt vor Augen.
Alle Jahre wieder.

(Die Idee zu dieser Geschichte geht auf eine meiner Schülerinnen zurück, die die Weihnachtsgeschichte aus der Sicht des Jesus-Kindes für KiTa-Kinder erzählte. Ich fand das toll und habe mich gefragt, wie könnte eine Geschichte aus dieser Perspektive für Erwachsene aussehen?)

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