Liebe Gemeinde,
Ostern predigen ist das, was ich nicht kann.
Die Auferstehungsbotschaft verkündigen, da schnürt es mir die Kehle zu.
Von Liebe kann ich erzählen.
Meinetwegen auch von Barmherzigkeit und Hoffnung.
Aber von Auferstehung?
Alles sträubt sich in mir.
Mein Unglaube meldet sich.
Mit tödlicher Macht.
Ostern ist nicht fröhliches Halleluja.
Wir haben ein kindlich-naives „Ach wie schön ist das neue Leben von Küken und Osterhasen“ draus gemacht.
Ein Frühlingsfest am Ende des Winters.
Alles schön und gut und auch nicht wirklich falsch.
Hat aber nichts mit Ostern und Auferstehung zu tun.
Ich lese in der Bibel:
Entsetzen am Grab bei den Frauen.
Maria erkennt den Auferstandenen nicht.
Die beiden Jungs auf dem Weg nach Emmaus auch nicht.
Thomas kann es auch nicht glauben.
Und Paulus fliegt vom Pferd, als ihn die Botschaft trifft.
Ostern ist radikal und schmerzhaft.
Stellt alles auf den Kopf und tut weh.
Verdammt weh.
Gott sagt: Es geht weiter –
und ich kann das nicht glauben.
Auferstehung und Tod.
Um welchen Tod geht es hier?
Lange haben Menschen geglaubt, es geht nur um die Frage Himmel oder Hölle.
Nach ihrem Leben.
Um den ewigen Tod und das ewige Leben.
Aber nicht um den physischen Tod.
Der war aber nie das Problem, alle Lebewesen werden geboren und sterben.
An Ostern geht es nicht um den Tod, den wir alle zu erwarten haben.
Hoffentlich lebenssatt und müde.
Aber es gibt einen anderen Tod.
Den Tod im Leben.
Den Leben erstickenden Tod.
Der geht in die Richtung, wo erst das Kreuz und dann das leere Grab stehen.
Wir alle haben Erwartungen ans Leben.
80 Jahre, Glück und Zufriedenheit, mehr Freude als Leid, Frieden.
Und die Realität?
Erinnerungen lasten auf mir.
Verpasste Gelegenheiten.
Jahrzehntelange Prägungen und das Gefühl, zu kurz gekommen.
Tod ist eine Sichtweise meiner Geschichte.
Ende, aus.
Syrische Kinder erzählen solche Geschichten.
Und Frauen und Männer, die gescheitert sind.
Oder durch Traumata ein Leben lang geprägt sind.
Oder allein bleiben nach langer Gemeinsamkeit.
Und die, die immer schon unten leben, nur Hartz IV und nie, nie! eine Chance auf Veränderung haben.
Der Tod im Leben.
Ich hänge an der Vergangenheit.
Ich hadere mit der Gegenwart.
Fürchte die Zukunft.
Bin schon tot, weil sich nichts mehr tut.
Und ich nur noch auf den physischen Tod warte.
Weil es sich nicht mehr lohnt zu leben.
Anschaulich im Sprung des Mörders, der Mörderin vom Hochhaus.
In jedem zweiten Tatort wird er dargestellt.
Die Botschaft lautet:
Der Weg hinter mir ist zu Ende.
Und nach vorn geht auch nichts mehr.
Der Rest meines Leben wäre das Eingeständnis gescheitert zu sein.
Komplett.
Überschwemmt von Resignation, bestimmt von Schuld.
Endlos.
Dann doch lieber springen.
Ähnliches spielte und spielt sich in Griechenland ab.
Männer oder Frauen können ihre Familie nicht mehr ernähren.
Die ständigen Kürzungen treiben sie in die Ecke.
Dann geht noch die Krankenversicherung flöten und am Ende der Job.
Einen Ausweg?
Gibt es nicht.
Nur den einen.
Den Tod im Leben.
Und der physische Tod verheißt mir verrückterweise Hoffnung und Lebendigkeit:
endlich handeln,
einmal –
und dann ist Ruhe.
Für immer.
Und ewig.
Nein, liebe Gemeinde,
es geht bei der Auferstehung nicht um das ewige Leben und den ewigen Tod.
Oder, doch, ja, vielleicht auch.
Aber das ist zweitrangig und interessiert uns Heutige nur noch am Rand.
An den Rändern des Lebens, aber weniger im Alltag.
Nein, Auferstehung geschieht im Leben.
Oder sie geschieht nicht.
Und das ist alles un-glaublich.
Ich kann das nicht glauben und auch nicht predigen.
Ich kann mir das nicht sagen und auch nicht Ihnen.
Ich nicht.
Aber vielleicht ein anderer.
Auferstehung:
Leben inmitten des Todes.
Das, was war, muss nicht mehr sein.
Das ist eine Botschaft, die wahrlich nur von jenseits kommen kann.
Sie zu verkünden widerstrebt mir als Mensch mit allen Fasern.
Ich brauche mich doch nur umzuschauen in der Welt, in meinem Leben!
Hier bin ich wahrlich ein Ungläubiger.
Wie Thomas.
Ostern kann ich mir nicht sagen.
Alles in mir wehrt sich und schreit, nein, nein, nein, das kann nicht sein!
Doch dann geschieht etwas.
Vielleicht – wenn Gott will.
Gnade.
Ich weiß ja um die Auferstehung.
Wie Sie.
Aber ich kann´s nicht glauben.
Nicht aus mir heraus.
Kann es nicht fühlen.
Der Widerstand in mir ist stärker.
Der Tod ist mächtig und er zerstört die Hoffnungen.
Die Bilder aus Idomeni stehen mir vor Augen.
Tränen auf den Gesichtern von Frauen, Männern, Kinder.
Hundertausendfach in Syrien.
Und da werden bei manch einer, einem unter uns Erfahrungen eigener Fluchtwege wach.
Tränen.
Oder am Grab der Frau, des Mannes.
Ein Leben geteilt, noch viel vor im Ruhestand.
Aus und vorbei.
Tränen.
Oder Schulden, Schulden, Schulden.
Schulden bei der Bank, bei Freundinnen, bei der Familie.
Ein Berg von Schulden.
Niemals abzutragen.
Tränen.
Und doch:
In den Tränen liegt Hoffnung.
Wie Regen fällt er auf vertrocknetes Land.
Alles in mir schreit nach Wasser, Hoffnung, Leben, Zukunft.
Die Frauen am Grab haben auch geweint.
Sie schauten zurück auf das, was sie verloren hatten.
Ihre Hoffnung, ihre Zukunft.
Einen, der sie ernst nahm.
Sie berührte, mit Worten und Händen.
Nicht übergriffig, sondern heilend.
Aus, vorbei.
Das leere Grab traf sie wie ein Schock.
Nicht mal trauern…!
Und in ihren Tränen hören sie die Botschaft.
Er ist nicht hier, er ist in Galiläa, er lebt.
Paulus in seinen dürren Worten.
Auch nichts von Viktoria, wie in Paul Gerhardts bekanntem Lied.
Nichts von Fröhlichkeit und Osterlachen.
Nüchtern, brottrocken.
Ich habe ihn gesehen.
Punkt.
Ob ich wollte oder nicht, sagt Paulus, sie drängte sich mir auf, die Botschaft.
Und warf mich vom Pferd.
Nur so kann es gehen mit der Auferstehung, nur so.
Mit einem Mal sehe ich die Welt, meine Welt anders.
Weggewischt der Schmerz der Erinnerung,
der Tod in der eigenen Geschichte.
Das verzweifelte Festhalten am Gestern, an den Erwartungen und Hoffnungen.
Ob ich will oder nicht.
In den Tränen, im Schmerz kann es geschehen.
Auch in Schönheit, die mich zu Tränen rührt.
Das mich mit einem Mal die Botschaft der Auferstehung erwischt.
Ich kann es nicht anders sagen:
Erwischt.
Das ist ein Schock.
Wie ein Schlag in den Magen.
Ich halte die Luft an.
Der Schleier wird zerrissen, die Welt sieht anders aus.
Das macht keinen Spaß, nicht Glücksgefühle und Jubel.
Sondern Erschrecken und Angst.
Aber dann kommt sie, die Ahnung.
Ostern, das heißt neu sehen lernen.
Sehen auf Augenhöhe.
Ostern, das heißt aufatmen.
Frische Luft kommt rein.
O Gott, ich kann tief durchatmen.
Mit nichts in die Welt gekommen, mit nichts wieder gehen.
Du genauso wie ich.
Dann laufen sie, die Tränen.
Wasser, Leben, Hoffnung.
Ostern, ein großer Gleichmacher.
Wie der physische Tod, der jeder und jedem von uns bevor steht.
Und der für Generationen der Angelpunkt war.
Ewiges Leben, über dieses hinaus.
Der Tod hat keine Macht.
Jenseitsvertröstung! schrien die Gegner.
Und sie hatten Recht.
Und doch nicht.
Denn auch im Kampf ums ewige Leben ging es um ein Leben in diesem hier.
Die einen kasteien sich wie Martin Luther im Sehnen nach dem gnädigen Gott.
Die anderen schreien nach Hoffnung, nach Licht, nach Wärme.
Nach Gerechtigkeit.
Tod, wo ist dein Stachel?
Erlösung geht nur jetzt.
Die Last der Geschichte, meiner Geschichte, wird von mir genommen.
Das kann ich nicht machen.
Das kann ich auch nicht predigen, aus mir heraus.
Ich kann über Liebe reden, über Barmherzigkeit und über vieles anderes.
Manchmal Kluges, manchmal dummes Zeug.
Aber die Auferstehung predigen, das kann ich nicht.
Da bleibt mir jedes Wort in der Kehle stecken.
Die Kinder am Grenzzaun in Idomeni schieben sich in meinem Kopf dazwischen.
Und die Geschichten aus dem Tatort, die ich ja auch aus der Gemeinde kenne.
Aber dann, mit einem Mal.
In den Tränen der Kinder sehe ich es.
Oder in denen einer Frau, eines Mannes.
Nicht tot, trotz allem.
Voller verzweifelter Erwartung, trotz allem.
Tränen, Wasser, Leben.
Es predigt, ich bin gezwungen zu reden, wie Paulus.
Auch wenn es sich noch so absurd anhört, fast peinlich:
Ich kann nicht anders.
Und es bricht aus mir heraus:
Christus ist auferstanden!
Stille.
Und dann kommt es zurück.
Ich höre die Antwort.
Ebenso getroffen, aus tiefster Seele:
Ja, er ist wahrhaftig auferstanden!
Eine Träne rinnt mir über das Gesicht.
Und ich sehe sie in deinen Augen.
Wir spüren die Auferstehung im Hier und jetzt.
Vielleicht nehmen wir uns in den Arm, lachen und weinen gleichermaßen.
Zünden Kerzen an und schreiben mit Kreide auf den Boden:
Christus ist auferstanden!
Und in diesem Moment ist der Tod nicht mehr.
Ich war tot und siehe, ich bin lebendig.
Es wird Ostern.
Christus ist auferstanden und ich mit ihm.
Und du mit ihm und wir miteinander.
Ja, er ist wahrhaftig auferstanden.
Und das was war, ist nicht mehr.
Meine Vergangenheit fällt ab, für einen Moment.
Der Frust.
Die Einsamkeit.
Die Ausweglosigkeit.
Und dann geht es weiter.
Die Frauen gingen heim nach Galiläa.
Die Jungs aus Emmaus rannten zurück nach Jerusalem.
Und Paulus nach Damaskus, Luther nach Worms.
Sie rannten in ihren Alltag.
Zweifel und Anfechtung.
Das Alte bleibt mächtig.
Kein Grenzzaun fällt durch den Glauben allein.
Aber wer von Ostern her kommt, kann nicht mehr anders.
Als an-glauben gegen den Tod, gegen den mannigfaltigen Tod in unserer Welt.
Nicht den physischen allein und zuerst, sondern den Tod, der uns im Leben tötet.
Die Ostergnade löst erst mal keinen Jubel aus, aber lehrt neu sehen.
Und tief durchatmen, Gott sei Dank!
Das kann ich nicht machen.
Da kann ich nur drauf hoffen.
Mit ziemlich leeren Händen.
Und an-predigen, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe.
Gegen meinen innere Widerstände, gegen meinen Unglauben.
Ich kann nicht anders.
Denn:
Christus ist auferstanden!
Ja, er ist wahrhaftig auferstanden!
Amen.
Danke
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