Dazwischen im Durch/einander (I)

Dazwischen sein, Inter-esse

„Das ‚Dazwischen‘ bezeichnet einen Raum zwischen (zwei) Personen oder Dingen, oder einen Abschnitt beziehungsweise eine Phase zwischen zwei definierbaren Zeitpunkten. Es liegt im Wesen des Dazwischen, dass es unbestimmt bleibt; es hat keine klaren Grenzen oder Qualitäten, vielmehr werden diese von der Beziehungsdynamik zwischen Personen oder Dingen und von Phasen des Übergangs und der Verwandlung bestimmt.“ (Anne-Claire Mulder, ABC des Guten Lebens)

Dazwischen ist ein schöner Ort.
Zwischen den Stühlen, zwischen den Welten.
Dazwischen, auf lateinisch: Inter-esse.
Da bin ich gern.

Durcheinander wirbeln

„Die deutsche Sprache kennt ein vielsagendes, zukunftsträchtiges Wort für den Zustand der Unordnung: das Durcheinander. Üblicherweise wird „durcheinander“ in einem Wort geschrieben. Viele empfinden, wenn sie dieses Wort hören, Unsicherheit (…) Nicht mehr zu wissen, was oben und unten ist, also die charakteristischen postpatriarchalen Schwindelgefühle, können zunächst als bedrohlich empfunden werden. Sie enthüllen sich aber als notwendiger Anfang des Neuen, wenn wir verstehen, dass wir durch einander in die Welt gekommen sind.“ (Ina Praetorius, ABC des guten Lebens)

Was für ein Durcheinander.
So beschreiben nicht wenige unsere gegenwärtige gesellschaftliche Situation.
Durch einander wirbeln Menschen durcheinander.
Und das ist gut.
Damit sich etwas bewegt.

Für sich sein (wollen), Desinter-esse

Doch das Durcheinander führt mitunter zu gefährlichen Schieflagen.
Wenn so viel durch die Luft wirbelt, das sich Menschen durch einander beschädigen.
Sie fliegen durch den Raum.
Prallen mit Wucht aufeinander.
Reißen Wunden.

Dann bewegt sich zwar eine Menge, aber nicht im Sinne von Inter-esse.
Eher führt es zu Des-Interesse, für sich sein (wollen).
Nicht verbindend, sondern trennend.
Nicht schöpferisch, sondern zerstörend.
Nicht neuanfangend, sondern rückwärtsgewandt.

Drunter und Drüber im großen Durcheinander

Gewohnte Grenzen lösen sich auf.
Offene Grenzen werden wieder geschlossen.
Was für ein drunter und drüber.
Neue Koalitionen bilden sich, alte zerfallen.
Industrie und Linke fordern gleichermaßen, Schengen nicht zu opfern.
Grün will, kann mit der CDU als Juniorpartner koalieren.
Manch einer träumt schon von der Macht der CDU/CSU an der Seite der AfD.
Und SPD und Linke sehen sich vereint nebeneinander, abgeschlagen auf den hinteren Bänken.
Vor einem Jahr praktisch alles unvorstellbar.
Wie so vieles andere.

Wir schaffen das!
Ja, sicher, klar, keine Frage.
Aber wollen wir es schaffen?
Wollen wir uns durcheinander bringen lassen?
Oder uns beschädigen durch Rückzug oder Draufschlagen?
Mit Worten oder mehr?

Worte finden mich, durch einander

In den letzten Monaten verstummte ich innerlich.
Vertraute Sprache passte nicht mehr.
Neue Worte waren noch nicht da.
Zwischen allen Stühlen.
Zwischen damals und heute und ohne Blick auf das Morgen.
Das große Durcheinander brachte mich völlig durcheinander.
Nach und nach wurde mir das quälend bewusst.
Dazwischen bin ich.
In einer Zeitenwende.
Zwischen den Zeiten in unruhigen Zeiten, darüber habe ich vor fünf Jahren schon mal geschrieben.
Satz für Satz stimmt noch und doch nicht.

Und jetzt, mit einem Mal, zeigt sich Neues.
Ich finde meine Sprache wieder.
Oder besser, sie findet mich.
Worte drängen sich mir auf.
Durch einander, es sind Worte anderer.
Langsam, tastend traue ich diesen Stimmen.
Höre hin.
Was ich wahrnehme, gefällt mir nicht wirklich.
Harte Wahrheiten kündigen sich an.
Aber ich fühle, spüre, ahne, wie es leichter wird in mir.
Sie kommen, die Worte.

Dazwischen im durch einander

Dazwischen im durch einander.
Spannend und aufregend,
anregend und berührend.
Genau hier, zwischen allen Stühlen im Chaos der Gefühle,
da zeigt sich, wenn es gelingt:
Wir Menschen – Frauen, Männer, Kinder –
wir sind verletzliche, bedürftige, schöne Wesen.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Begegnung auf Augenhöhe.
Durch einander, miteinander, mit einander.
Ein Neuanfang, immer wieder.

(Das ist der erste Text von zweien. Der andere findet sich hier: Dazwischen im Durch/einander (II)

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