2007 auf dem Kirchentag in Köln hörten meine Frau und ich einen Vortrag von Frithjof Bergmann. Anschließend habe ich mir sein Buch »Neue Arbeit, Neue Kultur« gekauft, es über etliche Alpenpässe mit dem Rad geschleppt, abends und im Zug darin gelesen. Nach zehn Tagen wieder zurück, habe ich das Buch meiner Frau gegeben und gesagt, das musst du auch lesen. Seither beschäftigen wir uns mit NANK, unterschiedlich akzentuiert.
2008 hatte ich die Gelegenheit, vier Monate aus dem pfarramtlichen Alltag auszusteigen und noch mal ein Semester an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Ruhruniversität Bochum Veranstaltungen zu besuchen. In dieser Zeit entstand die Idee, zu promovieren und die Erfahrungen aus vielen Jahren nebenamtlicher Tätigkeit im »Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt« (KDA) zu verknüpfen mit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit NANK, einem Desiderat nicht nur in der theologischen Disziplin.
Die ursprüngliche Idee, die Philosophie von NANK im Rahmen der evangelischen Theologie zu reflektieren, habe ich auf Zuraten meines Betreuers Traugott Jähnichen aufgegeben, weil er zu Recht darauf verwies, dass ich mich dann auch mit theologisch hoch umstrittenen und weit verzweigt diskutierten Begriffen wie dem »freien Willen« oder der »Freiheit« auseinandersetzen müsste. Jähnichen lenkte meinen Blick darauf, eher vom Arbeitsbegriff auszugehen. Zum einen wegen meiner langjährigen Praxiserfahrungen. Zum anderen, weil die theologische Literatur der letzten Jahrzehnte zum Arbeitsbegriff doch überschaubar sei. Daher sei diese Konzentration nicht nur für mich im Rahmen einer berufsbegleitenden Dissertation händelbar, sondern auch sinnvoll.
Die Problematik, der sich nicht nur die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem, was Arbeit ist, (sein kann, sein sollte,) heute stellen muss, ist die Tatsache, dass »Arbeit« in der Gegenwart nicht (mehr) definiert, sondern nur noch beschrieben werden kann. Hier sind sich Autorinnen und Autoren aus den unterschiedlichsten Disziplinen weitgehend einig. Für die Beschreibung von Arbeit müssen dennoch oder gerade deswegen Kriterien benannt werden, damit das Nachdenken nicht beliebig wird, ich mein eigenes Denken selbstkritisch überprüfen kann und andere meine Überlegungen nachvollziehen und ihrerseits kritisch reflektieren können. Ich habe daher drei Dimensionen von Arbeit beschrieben: Arbeit sichert Lebensunterhalt, eröffnet Lebensfülle und ermöglicht Lebensausdruck. In der Weite dieser Begriffe wird leicht erkennbar, dass es keineswegs nur um Erwerbsarbeit geht. Sondern alle Tätigkeiten, die im Sinne dieser Dimensionen »Arbeit« sind, können aufgegriffen, reflektiert und wertgeschätzt werden, ein Anliegen, das auch für NANK von großer Bedeutung ist. Eingebettet sind diese Dimensionen in umfangreiche Reflexionen gegenwärtiger Entwicklungen, wie sie neben Frithjof Bergmann z.B. Günter Voß und seine Mitarbeitenden beschrieben haben (»Arbeitskraftunternehmer«) oder wie sie sich im Zuge der digitalen Wende darstellen.
»Entgrenzung und Begrenzung von Arbeit« hat einen anthropologischen, keinen wirtschaftsethischen Fokus. Sie reflektiert die Bedeutung der Arbeit für uns Menschen aus Sicht des Individuums. Hier wird ein erster Einfluss von NANK erkennbar: Ich untersuche die Rolle, die Arbeit für uns Menschen, individuell und gesellschaftlich, spielen kann aus dem Blickwinkel der Einsicht Bergmanns, dass es kaum etwas anderes gibt, das Menschen so motiviert, antreibt und begeistert wie eine »Arbeit, die ich wirklich, wirklich will«.
Daher setzt meine Untersuchung ausgehend von Bergmanns erfahrungsgetränkter These einen Schwerpunkt bei der Frage nach lustfördernden, kreativen Anteilen in der menschlichen Arbeit. Über die Lasten von Arbeit ist aus theologischer Sicht schon viel geschrieben worden, zu Recht. In der protestantischen Tradition war es vor allem Dorothee Sölle, die auf diese anderen Aspekte menschlicher Arbeit hingewiesen hat. Umgekehrt komme ich bei meiner Analyse von NANK zu dem Schluss, dass Bergmann sehr starke Anleihen bei der evangelischen Theologie genommen hat, ohne auf diese Wurzeln dezidiert zu verweisen. Daher bezeichne ich seinen Ansatz als eine Art »säkularisierte Rechtfertigungstheologie« und in dieser Nähe wird für mich auch erkennbar, dass und warum NANK mit vielen Gedanken evangelischer Sozialethik kompatibel ist.
Neben Bergmanns Philosophie ist es vor allem der theologische Ansatz von Ina Praetorius, den sie postpatriarchal nennt und der viele Anleihen bei Hannah Arendt genommen hat, der mein eigenes Denken maßgeblich beeinflusst hat. Ihr Vorschlag, die »Welt als Haushalt« zu verstehen, weil Haushalte ursprünglicher sind als Märkte, gibt einen sinnvollen Rahmen für heutiges Denken über Arbeit ab und eignet sich auch für eine »Einordnung« von NANK in einen weiteren Horizont.
Mit Hilfe der drei Dimensionen Lebensunterhalt, -fülle und -ausdruck und den Konzepten von Bergmann und Praetorius wage ich einige Konkretionen. Ich untersuche den – nicht nur in der Kirche hoch bedeutsamen – Dienstbegriff. Ich frage nach Belastungen und Beeinträchtigungen, die Arbeit mit sich bringt, bringen kann und gehe insbesondere Frage nach, welche Belastung es bedeutet, keine (Erwerbs-) Arbeit zu besitzen. Besondere Aufmerksamkeit widme ich der Suche nach lustfördernden und kreativen Anteilen von Arbeit. Hier sehe ich gute Chancen, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen (entsprechend ausgestattet) viele negative Zuspitzungen von (Erwerbs-) Arbeitsverhältnissen überwinden helfen kann. Ich reflektiere in besonderer Weise die »Arbeit« von Selbstständigen, ebenfalls ein Desiderat in der evangelischen Sozialethik der Gegenwart. Aber ich frage auch nach den Grenzen des Arbeitens, nach der Rolle von Ruhe, indem ich die biblische Sabbattradition aufgreife. Ebenso nehme ich die »Arbeit« von Kindern und Menschen im sog. Ruhestand in den Blick, gleiches gilt für Hausarbeit und Ehrenamt.
Da mir als Pfarrer und damit auch als Arbeitgeber und Dienstvorgesetzter immer die innerkirchlichen Arbeitsverhältnisse in Kirche und Diakonie am Herzen lagen (und liegen), habe ich abschließend exemplarisch einen Berufsstand mit Hilfe der Arbeitsdimensionen reflektiert: meinen eigenen, das Pfarramt. Auch wenn es hier Spezifika gibt, die für andere Berufe so nicht gelten, bin ich dennoch überzeugt, dass manche der Einsichten und Beobachtungen auch auf andere Berufsstände und Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Raum übertragbar sind.
Das Buch endet mit Gedanken zur Begrenzung unser aller Arbeiten im Rahmen der ökologischen Problematik. Welt als Haushalt gibt auch hier einen Rahmen, ein Ziel, eine Vision ab.
Meine »Arbeit« ist eine theologische Dissertation und daher sicher an manchen Stellen für Nicht-Theolog/inn/en nicht ganz einfach zu lesen, da bestimmte »Standards« zu erfüllen waren. Der interdisziplinäre Blick ist aber für mich wesentlich und vertraut, die Erfahrungen aus meinem erziehungswissenschaftlichen und sozialpsychologischen Studium fließen hier ebenso ein wie Praxisbeispiele. Ich verstehe dieses Buch daher als einen Versuch, evangelisches Denken und Reden über menschliche Arbeit auch anderen Disziplinen nahezubringen, nicht zuletzt und vor allem auch den Mitdenkerinnen und -denkern in NANK.
(Das Buch gibts hier: http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-11853-0. Oder im Buchhandel.)
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