„Wir wollen Menschen stärker machen.“
Dieser Satz hätte gestern bei jeder unserer drei Begegnungen fallen können.
Vormittags waren wir bei vio.me. Die Fabrik ist immer noch von den Arbeitern besetzt, ca. zwanzig Personen gehören zu dem Kreis derer, die seit Jahren hier auf dem Gelände eine Produktion von biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln betreiben. Immer noch hängt die Zwangsversteigerung des gesamten Areals der ehemaligen Baustofffabrik wie ein Damoklesschwert über dem Projekt. Nicole, unsere Führerin, meinte aber verschmitzt, der Preis ist zwar schon sehr gesunken, Bieter gibt es trotzdem bislang keine. Das Gelände liegt zu weit ab, und es müsste massiv investiert werden, das lohnt sich offenbar (noch) nicht.
Sie wollen bleiben, so lange wie möglich. Und die Fortschritte sind erkennbar, wir waren schon zweimal hier. Die Hallen sind aufgeräumter, die Produktion ein klein wenig professioneller. Der Verdienst ist immer noch gering, aber die Identifikation mit dem Projekt und das Selbstbewusstsein, dass daraus fließt, sind unübersehbar. Mittlerweile finden auch größere Veranstaltungen in den Hallen statt, und Menschen aus aller Welt kommen vorbei, zeitgleich mit uns ist ein Paar aus London hier. Es ist ein „Leuchtturmprojekt“ von Menschen, die sich in der ökonomischen Krise nicht unterkriegen lassen wollen.
Nachmittags besuchen wir in glühender Hitze fixinart. Fix war eine große Brauerei, auf dem Gelände hat sich eine kleine Gruppe niedergelassen, die, ja wie soll ich das in wenigen Worten beschreiben?
Sie organisieren Festivals und Theatervorstellungen, geben Workshops. Sie nennen sich aber nicht Künstler/innen, sondern Kreative. Eine kleine Gruppe um Evita und Dionisis lebt auch hier zusammen, etwa fünfzehn weitere kleine Zimmer werde immer wieder mit anderen Menschen aus der ganzen Welt belegt. Es ist eine sehr intensive Arbeit an den Menschen, die hier geschieht. „Wir machen empowerment und das ist anstrengend, aber so wichtig.“ Die Gruppe versteht sich als Katalysatoren der Verständigung zwischen Frauen und Männern unterschiedlichster Nationen, Kulturen und Religionen. Es geht um Respekt. Jede*r darf hier seine Werte leben – wenn er oder sie die anderer achtet. Vegetarisch essen oder Fleisch, Alkohol ja oder nein, offene Religionsausübung, alles ist möglich, aber es wird schon untereinander diskutiert und reflektiert. Ein wichtiger Aspekt ist Nachhaltigkeit zu leben und zu fördern, gerade auch unter jungen Menschen. Wir fragen, ob fridaysforfuture hier auch eine Rolle spielt. Nein. Natürlich, alle kennen Greta, aber die junge Generation ist eine „lost generation“. Groß geworden in der Krise, ohne Hoffnung, dass ausgerechnet der griechische Staat auch nur irgendetwas zur Verbesserung ihrer Lage beitragen könnte. Wieso also freitags auf die Straße gehen, um Druck auf die Politik auszuüben?
Am frühen Abend besuchen wir NAOMI, das ökumenische Projekt, das seit drei Jahren Geflüchtete in Thessaloniki unterstützt, indem hier Geflüchtete lernen zu schneidern. Dazu gibt es eine Werkstatt, in der Kurse stattfinden, drei Tage in der Woche, drei Monate lang. Sie nennen das unsere Textilakademie. Das Projekt ist gut vernetzt auch in Deutschland, das die Gründerin Dorothee Vakalis früher Pastorin in der deutschen Auslandsgemeinde in Thessaloniki war.
NAOMI ist gerade im Übergang, neben der bisherigen NGO sind sie dabei, ein Unternehmen zu gründen, das dann höherwertige Textilien und Taschen produzieren soll. Nach dem Sommer soll es beginnen, und dort werden dann auch Geflüchtete einen echten Arbeitsplatz erhalten.
Nebenbei erfahren wir viel über die Situation der Geflüchteten in Griechenland, drei Jahre nach Idomeni. Es ist immer wieder bedrückend. Projekte wie NAOMI sind ein Hoffnungsschimmer, und das spricht sich herum, immer mehr Anfragen von Geflüchteten erreichen die Mitarbeitenden.
Drei ganz unterschiedliche Begegnungen, und doch mit viel Gemeinsamkeit: Respekt als Grundlage, Ermächtigung als Ziel und so Hoffnungszeichen in einer unübersichtlichen Zeit…
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Danke für diesr Einblicke!
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