Liebe Dorothee Bär,
da haben Sie mir auf Twitter einen Floh ins Ohr gesetzt: Mit einem digitalen Brief komme ich in die Lostrommel und habe eine Chance, demnächst mit Ihnen Kaffee zu trinken. Wo ich das doch so liebe. Zwei Fragen möchte ich Ihnen dann gerne stellen.
Seit Sie zur Digitalministerin berufen wurden, folge ich Ihnen auf Twitter und auf Instagram. Leicht und locker bewegen Sie sich dort. Ein Foto ist mir besonders ins Auge gefallen. Sie lachen bei einer privaten Feier mit Julia Klöckner und Daniel Günther ausgelassen in die Kamera. Ungewöhnlich für Politiker/innen. Ich erzählte das einem Politikwissenschaftler und er meinte trocken: „Das ist genau das, was die Imageberater/innen Politiker/innen versuchen auszureden.“ Sie machen es trotzdem und ich frage mich: Warum?
Die Frage beschäftigt mich auch, seit ich vor zwei Jahren Landessozialpfarrer wurde. Ich stehe natürlich nicht so im Fokus der Öffentlichkeit wie Sie (Gott sei Dank, allein der Gedanke treibt mir den Angstschweiß auf die Stirn). Aber ich werde im NDR interviewt, gehe zu Empfängen und spreche mit Frauen und Männern, die ich früher nur aus der Zeitung oder dem Fernsehen kannte.
Manchmal sitze ich abends nach so einem Tag zuhause und frage mich: Wie verändert dich das eigentlich? Ist Macht verführerisch, ja gefährlich? Trennt sie uns von Menschen? Wie hoch ist der Preis, den wir dafür zahlen, wenn wir öffentliche Verantwortung übernehmen? Kostet es uns einen Teil des eigenen Lebens? Und wenn ja, wie können wir dem wehren? Vielleicht indem wir uns persönlich und damit verletzlich zeigen – so, wie Sie auf Instagram?
Die zweite Frage: Warum um alles in der Welt haben Sie sich bereit erklärt, als Digitalministerin anzutreten?
Wir haben uns vier Jahre lang uns in einem Bundesausschuss des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (KDA) intensiv mit den aktuellen Entwicklungen befasst. Anfangs lief das noch unter der Überschrift Industrie 4.0, dann kam Andrea Nahles und veranstaltete Kongresse zum Arbeiten 4.0 und heute spricht mann und frau von Digitalisierung. Und nächstes Jahr? Mein Tipp lautet: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Dazu war ich nicht nur vorgestern auf dem tazlab in Berlin, sondern das ist die Überschrift, zu der ich zur Zeit ständig um meine Meinung gefragt werde.
Andererseits fühlen sich viele Menschen vom Tempo überfordert. In einem Beitrag zu einem frisch erschienenen Themenheft habe ich in Erinnerung an den Strukturwandel bei Kohle und Stahl vor bald dreißig Jahren geschrieben: Auch der digitale Wandel braucht Zeit, Solidarität und Hoffnung. Brauchen wir daher nicht eher eine Entschleunigungsministerin?
Oder präziser, ein Ethik-Ministerium, das die Vor und Nachteile von analoger und digitaler Welten in Blick nimmt und in beiden Welten die Stärken stark macht und die Schwächen bekämpft? Aber braucht es dazu wirklich ein eigenes Ministerium, wenn doch die Digitalisierung allgegenwärtig ist? Ist Ihr Ministerium nicht am Ende ein Feigenblatt, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht, schlimmstenfalls, damit andere ihre Agenden ungestört durchziehen können?
Zwei Fragen, die ich jetzt in Ihren Lostopf werfe. Vielleicht habe ich ja Glück und wir trinken demnächst gemeinsam einen Kaffee.
Viele Grüße
Matthias Jung
(Landessozialpfarrer und Fachbereichsleiter Kirche. Wirtschaft. Arbeitswelt im Haus kirchlicher Dienste der ev.-luth. Landeskirche Hannovers)