Ende 2018, also in zwei Jahren endet der Steinkohlebergbau in Deutschland und damit eine jahrhundertealte Tradition. Seit Anfang der 90er Jahre habe ich die Bergbaugeschichte am Niederrhein hautnah mitbekommen und jetzt hier im Raum Osnabrück begegnet mir diese Tradition noch mal ganz neu und doch sehr vertraut. (Dazu hier mehr: Grubenfahrt in Ibbenbüren oder: Meine Geschichte mit dem Steinkohlebergbau 1992 – 2016)
Bei einem Gespräch bei der IGBCE in Ibbenbüren vor einiger Zeit wurde mir das noch mal sehr deutlich, zuvor auch bei Besuchen im Industriemuseum am Piesberg und auch an anderen Orten in der Region. Da ist noch die Erinnerung wach, und vielfach sind auch noch die Kränkungen zu spüren, die mit dem Schließungsbeschluss einhergingen und -gehen.
Denn, auch wenn es platt klingt, Bergmann ist kein Beruf wie jeder andere, er ist mit vielen Emotionen verbunden. Für mich unvergesslich ein Geburtstagsbesuch bei einem Kumpel, der 85 wurde und zu dessen Jubelfest der Bergmannchor kam und wehmütig, aber mit voller Leidenschaft im Juli unter praller Sonne von der Arbeit tief unter Tage sang.
An Heilig Abend jährt sich ein anderes Ereignis zum 20. Mal, dass sich mir ebenso tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat und an dem für mich symbolisch viel von dem deutlich wird, was Bergbau einmal war und was er heute nicht mehr ist.
Harro Düx, evangelischer Ortspfarrer in Dinslaken-Lohberg und sein katholischer Kollege Wilhelm Lepping feierten einen Gottesdienst 845 Meter unter Tage. Ein Gottesdienst an einem Ort der Arbeit, ein Zeichen der Wertschätzung, aber auch ein Hinweis auf die vielfach sehr enge Beziehung zwischen Bergbau und Kirche, die zB in den Barbarafeiern am 4. Dezember einen sichtbaren Ausdruck findet. (Und diese geht weit über den „klassischen“ Bergbau hinaus: Als wir im September die Baustelle der U5 in Berlin besuchten, hörten wir davon, dass auch dort Andachten am Barbaratag üblich sind.)
Es war eine ziemlich irre Geschichte damals, am 24. Dezember 1996. Ein Bild steht mir noch klar vor Augen: die Freundlichkeit der Kumpel am Förderkorb, die uns für die Seilfahrt instruierten und der Stolz in ihren Augen, dass so viele kamen.
Die Bilder auf den Zeitungsausschnitten geben die Atmosphäre gut wieder. Und man erkennt Wolfgang Clement, damals Wirtschaftsminister in NRW, später Ministerpräsident in NRW und Bundeswirtschaftsminister, bevor er noch später die SPD verließ …
In meinen Unterlagen habe ich noch die Predigt gefunden, die uns schriftlich verteilt wurde. Einige Auszüge, die für sich sprechen:
Liebe Bergleute, liebe Gemeinde,
was wird heute auf dem Gabentisch der Bergleute liegen, dass fragte Jürgen Schüring bei der Planung dieses Gottesdienstes. Das war auch der Anlass, diesen Gottesdienst am Heilig Abend zu feiern. Grund war die Sorge der Bergleute um die Zukunft des Schachts. Grund war ihre Sorge um ihre eigene Zukunft. Dieser Gottesdienst soll auf die Nöte der Bergleute hinweisen an dem Tag, an dem sich Gott der Nöte der Menschen angenommen hat. Zu Weihnachten bricht das Licht in die Finsternis der Welt ein und verschafft Klarheit über deren Zustand und über das Wohl der Menschen. Auf dem Gabentisch erwarten wir alle Klarheit, was denn nun mit dem Bergbau geschehen wird, und mit unserer Stadt, die davon abhängt. Zu Weihnachten bringt Jesus eine frohe Botschaft in die Welt und die Bergleute warten auch auf eine gute Nachricht. (…)
Gott begibt sich dorthin, wo Menschen arm und verachtet sind, ausgebeutet und deklassiert, und trotzdem den aufrechten Gang üben. (…)
Die Menschen werden daran gemessen, was sie für die tun, die sich nicht aus eigener Kraft den Lebensunterhalt erwerben können, und für die, die vom Verlust ihrer Arbeitsplätze bedroht sind. Für viele wird sich das Leben ändern, wenn der Schacht schließt, und für viele wird dann das Leben eine geringere Qualität haben. Die Angst vor dem sozialen Abstieg kommt ja nicht von ungefähr, weil eben erlebt wird, dass in der wirtschaftlichen Krise die Kleinen in unvergleichbar höherer Weise bedroht sind und belastet werden als andere. Schönfärberisch wird von Reformen und vom notwendigen Umbau der Gesellschaft geredet. Dabei wird weder gesagt, wer diese Krise hervorgerufen, noch eindeutig gesagt, wie die Lasten der Krise gerecht zu verteilen sind. Die genug haben, geben Ratschläge denen, die nichts haben. Gerade anhand des Bergbaus wird uns klar, dass Arbeitslosigkeit nicht selbst verschuldet sein muss, sondern am Wandel der Strukturen liegt, an deren Wandel der arbeitslos Gewordene nicht beteiligt war. Wir brauchen eine Wirtschaft, die neben ökonomischen Zielen auch ihre Bedeutung für die Menschen versteht. Und Unternehmer, die wissen, dass der Mensch Ausgang und Ziel jeder Wirtschaft ist. Die Sozialbindung des Eigentums aufgeben zu wollen, weil eben die Wirtschaft nicht floriert, wird sich nicht nur gegen die Menschen richten sondern gegen die ganze Gesellschaft. (…)
Das Kind in der Krippe, die Hirten um die Krippe herum zeigen uns, wo wir in unseren Überlegungen anfangen müssen, wenn wir die Krise überstehen wollen. Frieden auf Erden, das soll geschehen, wenn wir auf die Kleinen und Unbedeutenden achten, wenn wir das Kind in der Krippe suchen.
Dann ging es wieder nach oben, wir bekamen Grubenlampen mit auf den Weg, verbunden mit der Bitte, diese am Abend in den Christvespern und -metten vor Ort aufzustellen und zu erzählen von diesem Gottesdienst an einem Ort der Arbeit – weil die Teilnahmemöglichkeit begrenzt war und niemand ohne Einladungskarte hinunter kam. Ich habe das getan und aus der Predigt vorgelesen, das zeigen mir meine handschriftlichen Notizen am dem Blatt.
Anschließend wanderte die Grubenlampe in mein Arbeitszimmer im Pfarrhaus. Später zog sie um nach Osnabrück in mein dortiges Büro und mittlerweile steht sie in Hannover, als bleibende Erinnerung und Mahnung: dass nämlich wirtschaftlicher Strukturwandel immer wieder erfolgen wird, ja vielleicht auch muss – dieser aber sozialverträglich gestaltet werden kann. Im Bergbau ist dies gelungen, bei allen Einzelschicksalen, und wir stehen angesichts ökologischer Herausforderungen wieder einmal vor einem radikalen Umbau, den wir, wenn wir wollen, sozialverträglich gestalten können. Wenn wir wollen.

Vielleicht gibt es ja hier und da die Möglichkeit, 2018 auch in Gottesdiensten noch einmal auf die enge Verbindung zwischen den Kirchen und dem Steinkohlebergbau zu verweisen, bevor dann die Lichter unter Tage ausgehen.
(Die Zeitungsausschnitte darf ich hier mit freundlicher Genehmigung der NRZ Dinslaken einstellen.)
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