Fern-Beziehung Kirche

tweet sandra

Pastor Sandy (Sandra Bils) hat gestern diesen Satz in die Welt gesetzt.
Ich las ihn und dachte: Ja, genau.
Dann dachte ich drüber nach und dachte, okay…
… und ahnte, hinter dem Wortspiel steckt eine Menge an Potential.

Es ist ja Mode, in bestimmten kirchlichen Kreisen auf die „Kirchen-Fernen“ zu schimpfen.
Die kommen nie zum Gottesdienst.
Putzen am Sonntag die Fenster oder das Auto.
Taufscheinchristen ist so ein böses Wort, das in gewissen Kreisen zirkuliert.
(Und bewusst nicht in gegenderter Form verwendet wird).
Und so weiter und so fort.

Sandra konterkariert dies mit der Frage, wer eigentlich wem fremd steht.
Gute Frage.
Kirchenferne mag dann heißen:
„Kirche“ (meist gemeint Gottes Bodenpersonal) interessiert sich nicht für die Menschen, genauer: die Kirchenmitglieder.
Wir stehen als Kirche fern.
Das richtet den Blick auf uns als Kirche.

Doch wie auch immer – Kirchen-Ferne signalisiert so oder so immer noch eine Beziehung.
Eine Fern-Beziehung.
Aus der Liebe wissen wir, das kann gut klappen.
Aber auch grandios scheitern oder im Lauf der Zeit sich einfach auflösen.

Ich lese gerade ein Buch, das mich sehr fasziniert:
„Gefühle & Emotionen – Eine Gebrauchsanweisung“ von Vivian Dittmar.
Sie spricht von fünf Grundgefühlen, die in jedem Leben vorhanden sind.
Jedes Gefühl verbindet sie mit einer Frage:
Was ist falsch? (Wut)
Was ist schade? (Trauer)
Was ist furchtbar? (Angst)
Was ist richtig? (Freude)
Bin ich falsch? (Scham)

Unter bestimmten Umständen, so ihre These, lässt sich jedes Gefühl in jeder Situation aktivieren.
Weil Gefühle Interpretationen von Wirklichkeit darstellen.
Eine Überprüfung dieser These hebe ich mir vielleicht für einen anderen Beitrag auf –
Ich fragte mich ausgehend von Sandras Tweet:
Lassen sich diese fünf Gefühle und Fragen auf die Fernbeziehung Kirche anwenden?

Was ist falsch an der Fernbeziehung?
Wut will ins Handeln führen, so Dittmars Interpretation des Gefühls.
Zu wenig Kontakt?
Vorwürfe über falsche Einstellungen, Handlungen, Wertvorstellungen?
Was ist falsch daran, sonntags nicht zum Gottesdienst zu gehen?
Oder das Auto zu waschen?
Ich weiß vielleicht als „“Kirchen-Naher“, warum ich das (als) falsch (emp)finde.
Aber vielleicht fühlt und denkt mein Gegenüber ganz anders?
Mein Impuls:
Ich könnte hingehen und fragen.
Interesse zeigen.
Inter-esse, Dazwischensein, sagt schon alles.

Was ist schade an der Fernbeziehung?
Schade sind Dinge, die ich gut und wichtig finde, aber nicht ändern kann.
Ich muss sie annehmen, so Dittmar.
Das allein mal im Kopf durchzugehen, finde ich sehr reizvoll.
Schade ist anders als falsch kein Vorwurf.
Zielt auch nicht auf Handlung, aber vielleicht aufs das Gespräch, den Austausch, die Beziehung? Vielleicht findet der/die Kirchenferne die Fernbeziehung ja auch schade?
Manchmal begegnet mir als Mitarbeiter im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) dieses Gefühl bei Gesprächen in Betrieben.
Ganz oft freuen sich Unternehmen und ihre Mitarbeitenden, wenn wir kommen und sagen:
„Hey, wir wollen euch besuchen, euch und eure Arbeit kennenlernen.“
Wenn es dann zu einer offenen und vertrauensvollen Runde kommt, meldet sich schon mal ein Hauch oder auch mehr Wehmut:
„Eigentlich…“

Was ist furchtbar an der Fernbeziehung?
Angst ist nach Dittmar das Gefühl, dass mich vor dem Unbekannten abhält.
Mir meine Grenzen aufzeigt und mich zugleich auf sie zu und über sie hinaus treibt.
Ohne Angst, ohne Grenzerfahrung keine Kreativität.
Was ist furchtbar, angsteinflößend an der Fernbeziehung Kirche?
Allein die Frage zu stellen löst in mir den Impuls aus:
Ja, so ist es doch:
Wir sind manchmal scheinbar so weit voreinander entfernt, dass wir Angst voreinander haben.
Die verstecken wir dann in gegenseitigen Vorwürfen:
„Die Kirchenfernen wertschätzen einfach den Gottesdienst nicht!“
„Die Pfarrer/-innen predigen alle so lange und langweilig!“
Furchtbar ist eigentlich, dass wir uns unbekannt sind.
Wenn Vivian Dittmar recht hat und in der Überwindung der Grenzen des Unbekannten der Schlüssel zur Kreativität liegt – dann liegt in dieser Angst eine Kraft, die viel verändern kann.

Was ist richtig an der Fernbeziehung Kirche?
Was ist als richtig ansehe, darüber freue ich mich.
In diesem Zusammenhang klingt das provozierend.
Was soll an einer Fernbeziehung schön sein?
Nun, aus Kreisen der sog. Kirchenfernen höre ich schon mal:
„Also, austreten kommt nicht in Frage.
Es ist gut (= richtig), dass die Kirche da ist.
Und dass ich hingehen kann, wenn ich den möchte oder das Bedürfnis habe.
Aber das habe ich nicht.
Zumindest jetzt nicht.“
Und umgekehrt:
Zeigt sich hier nicht die wunderbare Vielfalt der Kinder Gottes?
Und des göttlichen Geistes, der eh weht wo er will?
Darüber kann ich mich freuen.

Was mache ich falsch in der Fernbeziehung Kirche?
Das ist das Gefühl der Scham, dass mich in gesunder Weise in die Selbstreflexion führt und in unguter Form in die Selbstzerfleischung.
Spricht für sich.

Je länger ich über den Tweet von Sandra nachdenke, desto mehr „stimmt“ er.
Aber für mich bekommt er durch das hin und her zwischen den Polen der Fernbeziehung Kirche Fleisch ans Gerippe.
Ich komme dazwischen, Inter-esse eben.

 

Ein Gedanke zu “Fern-Beziehung Kirche

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