Die Zeit steht still. Und ich lebe.

Andacht bei der Teamsitzung Haus kirchlicher Dienste, FB 6

Nun läuft der Betrieb wieder rund.
Die Geschäftigkeit des Alltags hat uns wieder.
Termine, Sitzungen, Planungen, Mails, Telefonate.

Wir gewinnen Zeit.
Verlieren Zeit.
Die eine Planung kostet mich viel Zeit.
Das nächste Gespräch geht schneller und eine Lücke tut sich auf.

Aber wie dem auch sei –
bei ganz vielen von uns macht sich das Gefühl breit, zu wenig Zeit zu haben.
Manchmal für die Arbeit, häufig für Familie und Freunde, oft für mich selbst.
Wo ist die Zeit geblieben?

In der Zeit zwischen den Jahren las ich Momo.
Das legendäre Buch von Michael Ende.
Ich las von ganz normalen Menschen,
Leuten wie du und ich,
Las von Momo, in deren Nähe Menschen sich wohl fühlten.
Las von den grauen Männern, die die Zeit der Menschen stehlen.
Indem es ihnen gelang, Menschen zum Zeit sparen anzuhalten.
Die gesparte Zeit ging dann im Rauch der Zigarren auf und war verloren.
Und damit das Leben.
Ich las weiter von Meister Hora und der Schildkröte Kassiopeia.
Und dass er die Zeit anhielt, damit Momo die Menschen erlösen und die grauen Männer vernichten konnte.

Ein Märchen, ja.
Und doch dachte ich;
Als die Zeit still stand, da war alles anders.
Ist das vielleicht auch bei uns so?
Und weiter:
Sind wir vielleicht dann besonders lebendig, wenn die Zeit still steht?

Die Zeit steht still.
Das ist auch nur ein Bild.
In Wahrheit läuft sie ja weiter, Sekunde für Minute, Tag für Woche, Monat für Jahr.
Aber wir kennen das trotzdem – die Zeit steht still und ich vergesse alles um mich herum
Überlegen Sie, überlegt doch mal, wo Ihnen, Euch das zuletzt widerfahren ist.

Ich vergaß die Zeit , als Musik mich forttrug.
Ich vergaß die Zeit , als ich an einen Baum gelehnt dem Sonnenuntergang zusah.
Oder dem Meeresrauschen.
Ich vergaß die Zeit, als ich in ein Gespräch vertieft war mit wem auch immer.
Ich vergaß die Zeit, als ich über Stunden an einem Text geschrieben habe.
Oder ein Bild malte.
Ich vergaß die Zeit, als ich auf dem Boden mit Kindern oder Enkeln Lego spielte.
Oder Kasperletheater.
Ich vergaß die Zeit, als ich in deinen Armen lag und in deine Augen schaute.

Die Zeit stand still.
Und ich lebte.
Ganz und gar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist das machbar?
Ja und nein.
Manches kann ich anstreben, vielleicht sogar planen.
Manches ist aber auch Geschenk.
Reines, überraschendes Geschenk.
Die Zeit steht still.
Und ich lebe.
Ganz und gar.

Im Psalm 31 heißt es:

Gott, meine Zeit steht in deinen Händen.

(Stille)

Ein Gedanke zu “Die Zeit steht still. Und ich lebe.

  1. Heike PP

    Der Text gefällt mir sehr gut.
    Das Leben genießen, sich selbst spüren,dafür ist Zeit und Stille erforderlich. Doch wie die „grauen Herren“ im alltäglichen Spagat zwischen Schule, Erwerbsarbeit, Fortbildung am Abend und Wochenende sowie verkaufsoffenen Sonntagen überbewältigen? Ein Lösungsansatz wäre das eigene Konsumverhalten zu überdenken. Ich empehle die Bücher „Hybris- Die überforderte Gesellschaft“ von Meinhard Miegel und „Befreiung vom Überfluss“ von Nico Paech.

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