“mmh…” Richter oder Rechthaber? Reise nach München.
Veröffentlicht am 12. April 2013 von Mechthild Werner
Wer sitzt, im Gefängnis, kann erst recht radikal werden. Das ist nicht neu und die Empörung über braune Netzwerke währte nur kurz. Anders der Sitzstreit im bald beginnenden NSU-Prozess.
Zehn rassistische Morde. Acht türkischstämmige Menschen, ein griechischstämmiger, eine Polizistin. Eine grausame Serie.
Herumgestotterte Unworte wie „Dönermorde“. Unfassbares Verfassungsschutzversagen, Peinliches, Peinigendes für die Angehörigen. Jetzt soll Recht gesprochen werden, doch die Pein geht weiter.
Das Münchner Oberlandesgericht klagt die Überlebende des Terrortrios, Beate Zschäpe, an. Doch am Saal steht: „Türken und Griechen müssen draußen bleiben.“ So ähnlich. Jedenfalls gibt’s keinen Sitzplatz für türkische Medien und den Botschafter. Posse oder Politskandal? Seit Tagen jedenfalls Streit.
Man habe die Nazi-RAF (der RAF-Prozess hatte übrigens in einer Mehrzweckhalle Platz) stets verharmlost, schnauben türkische Leitartikler, die Richter wären wohl selbst Rechtsterroristen, im doppelten Sinne des Wortes. Nu gut, die Türkei trägt rechtmäßig nicht gerade eine weiße Demokratenweste. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“
Und doch. Dieses Sitzroulette ist ein Faupax von Gerichts wegen. Man stelle sich vor: „Deutschemorde“ in Istanbul verhandelt, ohne deutsche Presse im Saal. Das vermeintlich gerechte Windhundverfahren – die ersten werden die ersten sein – war für diesen wichtigen Prozess von vornherein windig. Den Zufall entscheiden lassen, um sich in der Auswahl der Beobachter unangreifbar zu machen. Das war eine Fehleinschätzung, aus verständlicher Angst vor Fehlern. Doch nach lauter Kritik, auch hierzulande, folgte bislang keine Korrektur. Kein größerer Raum, keine Übertragung, was immer…
Stattdessen Statements der Sprecherin vom Rechthaben, Kleingeistiges vorm kleinen Saal. Verlegenheitslösungsversuche. Man könne ja zwischendurch mal Plätze freiräumen. „Reise nach München“ sozusagen. Oder „Ich stehe auch für Türken auf“. Vielleicht kann ja auch die Angeklagte ihren Platz anbieten? Nicht witzig, ich weiß. Galgenhumor das. Immerhin höre ich gestern im Radio: Ja, man habe nun bei der Sitzverteilung „Fehler eingeräumt“, doch es ging nur um einen technischen Fehler. Der nicht wert ist, genannt zu werden.
Fällt es wirklich so schwer, grundlegende Fehler einzuräumen? Ausgerechnet denen, die von anderen Reue und Umkehr erwarten. “Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Doch, Gerichte dürfen und sollen richten, mit Recht und Gesetz, aber ohne Rechthaberei.
Also bitte Fehler einräumen: das Gericht, der Verfassungsschutz, die Gesellschaft, wir, die wir allzu lange weggesehen haben. Fehler einräumen und Raum schaffen für Öffentlichkeit und für die Opfer. Den Angehörigen Genugtuung verschaffen, ihr gutes Recht, das kann in einem Prozess annähernd möglich sein. Auch die Kirchen unterstützen sie dabei. Gerechtigkeit aber? Bei Gott, sie erhoffen wir. Dereinst.
Apropos. Ein Kreuz wird vielleicht hängen im bayrischen Gerichtssaal. Ob aber Gott einen Platz haben wird? Hoffentlich.
Am Samstag ist er sicher erst mal mit Tausenden in München auf der Straße. Für ein Miteinander von Menschen aller Herren Länder. Vielleicht regt ja der Prozess doch einen Lernprozess an. Oder …
Was meint ihr?
Bleibt frech und fröhlich
Eure Mechthild Werner
via“mmh…” Richter oder Rechthaber? Reise nach München. | protestantisch pfälzisch profiliert.
Mechthild Werner hat heute früh diesen nachdenkenswerten Blogbeitrag zur Stuhlvergabe im NSU-Prozess geschrieben.
Es hat sich dort auch bereits eine kleine Diskussion entwickelt.
Natürlich liegen die Nerven blank und mann/frau versucht keine Fehler zu machen. Soweit verständlich.
Dennoch stellen sich die Fragen, die Mechthild aufwirft, und sie ist ja nicht allein.
Für mich zeigt sich hier wieder einmal, wie wichtig es ist, den Unterschied zwischen Legalität und Legitimität im Blick zu halten: nicht alles, was nach Recht und Gesetz – also legal -abläuft, ist auch legitim. Recht und Gerechtigkeit sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Die Fragestellung ist jahrtausendealt:
Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.
(Jesaja 5,7)
Und gefährlich ist das auch, weil solch eine Unterscheidung, sei es die zwischen legal und legitim oder auch so pointiert, wie es bei Jesaja formuliert wird, schnell als Totschlagargument verwendet werden kann – alles, was legal ist, mir aber nicht in den Kram passt, das kann ich dann als illegitim oder oder ungerecht abtun. Es gilt dann schon, Gründe zu nennen – um auch auf Veränderungen der Rechts- und/oder Verfahrensordnung hinzuwirken, mit dem Ziel, rechtlich “gerechter” handeln zu können.
Daher will ich meine Begründung nennen, warum ich das Vorgehen bei der Platzvergabe nicht legitim, nicht gerecht, nicht angemessen finde:
Die Platzvergabe für die Presse ist sicher entsprechend der Vorschriften erfolgt und war doch ungerecht – weil sie nicht vorausschauend die möglichen Folgen im Blick hatte. Über die Gründe, warum hier nicht „verantwortungsvoll“ gehandelt wurde, muss gesprochen werden. Die angebliche Blindheit von Justitia auf dem rechten Auge scheint mir da ein wenig dünn als Begründung zu sein.
Update 13.4.:
Das Bundesverfassungsgericht hat gestern Abend einem Eilantrag einer türkischen Zeitung stattgegeben. Ein guter Kommentar mit juristischen Hintergrundinformationen findet sich hier:
Nothelfer gegen die richterliche Sturheit