In diesen Tagen verfolge ich eine sehr spannende Diskussion im Netz, ausgelöst von Andrea Meyer-Edoloeyi , die Thesen bzw. Teile ihrer Diplomarbeit zu Diskussion stellt. (http://andreame.at)
Dabei wurde ich noch mal auf meine eigenen Erfahrungen mit dem Internet und meiner Website aufmerksam. Es gibt auf meiner Seite dazu einen kurzen Text, der aber nur sehr knapp meine Erfahrungen wiedergibt (http://www.matthias-jung.de/historie.html).
Ausgelöst wurde dieser Beitrag hier und heute durch diesen Gedanken von Andrea:
„Zudem ist das Social Web ja nicht nur eine so vorformatierte Umgebung wie es soziale Netzwerke sind, Blogs sind da bspw. viel, viel offener. Vielleicht eine Konsequenz: nie nur Facebook – sondern besonderes auch selbstkontrollierte Umgebungen im Internet verwenden.“
Ich erinnerte mich an die Grundthese meiner Website:
Die Verschränkung verschiedener Kommunikationsmittel und Themenbereich mit dem Ziel, vorgefertigte Erfahrung und Erwartungen zu verunsichern, weil nur so Neues geschehen kann.
Als ich 1998 anfing, mich mit dem Internet zu beschäftigen, habe ich sofort geahnt, dass dieses Medium ein unglaubliches Potential besitzt unser aller Leben zu verändern. Von daher wollte ich da als Mensch der Kirche vorne mit dran sein.
So haben wir dann hier mit Unterstützung der Computer-AG der Gesamtschule Voerde die weit und breit allererste Gemeindehomepage veröffentlicht. Das war im Juni 1998. Ich habe die immer noch in einem Ordner auf meinem PC abgespeichert, das ist schon kurios zu sehen, worauf wir damals stolz wie Oskar waren.
Nach kurzer Zeit wurde diese Seite erweitert durch erste Predigten von mir. Und dann wurde es interessant. Denn die ersten Besucher/innen interessierten sich nicht für die Inhalte der Gemeindearbeit. Das sollte noch bald zehn Jahre dauern, bis Gemeindeglieder die Seite dazu nutzen. Nein, ich bekam Zuschriften aus aller Welt. Auswanderer, die nach Infos aus ihrer alten Heimat suchten. Und Rückmeldungen zu den Predigten. Zustimmung, Fragen. Damit hatte ich nicht gerechnet, deswegen habe ich immer mehr Predigten auf der Seite eingestellt. Da sich meine Kollegen nicht so recht beteiligen wollten, gab es dann relativ schnell eine solche Schiefstellung, dass ich im März 1999 meine eigene Seite mit Predigten aufgemacht habe.
Die weiteren Erfahrungen waren unglaublich. Ich habe sie auf der oben genannten Seite beschrieben.
Eins kommt dort aber zu kurz. Ausgehend von dem Gedanken von Andrea, verschiedene Kommunikationsmittel nebeneinander zu nutzen und sich nicht nur auf eins zu beschränken, dachte ich noch mal über meine Erfahrungen mit meiner Website nach.
Der Grundgedanke meiner Seite war, Menschen durch die Verschränkung verschiedener Themenbereiche anzusprechen – und ihre Erwartungen zu »verwirren«.
Also: der Pfarrer, der mit dem Rad die Berge hoch und runter fährt. Sich nicht nur mit dem Kirchturm beschäftigt. Umgekehrt: der Radfahrer, der zugleich Pfarrer ist. Und später: Der Fußballfan, der auf http://www.weltfussballmanager.net aktiv ist und dort als Jugendbeauftragter zum ehrenamtlichen Team von RB-Games gehört – der aber aus seiner pfarramtlichen Tätigkeit keinen Hehl macht und immer mal wieder auch darauf angesprochen wird, bis hin zu sehr persönlichen Fragen.
Erweitern lässt sich dass jetzt noch über meine Leidenschaft fürs Fotografieren oder die Beschäftigung mit der Neuen Arbeit von Frithjof Bergmann.
Es hat mir immer Freude gemacht, Menschen in ihren Erwartungen zu »verwirren«. Nicht, um sie ärgern, nein. Sondern: Wenn Menschen zu mir sagen: Wie, du bist Pfarrer?!? denke ich, ja, das ist schön. Da hast du wieder einmal die Bilder in Köpfen von verändert, verschoben, verwirrt. Umgekehrt bringe ich viele Erfahrungen von »außerhalb« in mein gemeindliches Umfeld ein, das ist nicht nur für mich spannend, sondern vielfach auch für die Gemeindeglieder. Und für mich selber gilt dies auch, ich lerne dazu durch das Wandern in und zwischen verschiedenen »Welten«.
In der Diskussion über Andrea´s Diplomarbeit ging es gerade um vorformatierte Kommunikation. Ich glaube, jede Kommunikation ist vorformatiert, die perfekte, vollkommene gibt es nicht. Aber das, was uns vertraut ist, halten wir für normal und und nehmen andere Formen daher (unbewusst) schnell als defizitär wahr. Das gilt für die/den Sonntagsgottesdienstbesucher/in genauso wie die/den Facebookuser/in. Und das ist schade, weil wir so Einsichten, Erfahrungen, Begegnungen verpassen. Die Spur, die ich in diesen Jahren der sich entwickelnden Netzes und zuletzt der neuen Social-Web-Werkzeuge verfolgt habe, lautete: Überraschungen anregen, Verwirrung stiften, Provokationen wagen. Nicht mit dem Ziel, irgendwen zu ärgern, sondern um die vorformatierten Gewohnheitsmuster unserer Wahrnehmung im Blick auf Kirche, Predigt und Pfarrer zu durchbrechen. (Das gilt natürlich nicht für jede kirchliche Kommunikationssituation. Auf dem Friedhof geht es ums Trösten, bei Kindergartenkindern ums Aufschließen. Zu meiner/unserer Verantwortung als Theolog/inn/en gehört immer die Reflexion, welche Sprachform jetzt hier angemessen ist. )
Aus meiner Sicht ist dies auch ein gut theologischer Gedanke. Jesus und auch mancher der Propheten Israels haben mit der Verwirrung, der Überraschung, der Provokation gearbeitet, um Menschen auf die Sichtweise Gottes hin nicht nur anzusprechen, sondern auch anzurühren. Dahinter steht die Überzeugung, dass Gott ganz anders ist als wir erwarten und damit unsere Erfahrungsmuster durchbricht. Deswegen ist es nicht nur legitim, sondern auch notwendig, diese Formen der Kommunikation des Evangeliums auch zu nutzen. Das ungewohnte ist ungewöhnlich, und wenn ich neugierig werde, weil ich aufmerksam werde durch ein Sandkorn im Getriebe meiner normalen Kommunikation – wunderbar! Ein schönes Beispiel ist für mich Martin Dreyer, »Verfasser« der Volxbibel, der in diesen Tagen auf Einladung der Veranstalter auf dem Wacken-Festival predigt. Ja! Und viele andere Beispiele gibt’s in den Weiten des Netzes, das sich zugleich immer mehr verknüpft.
Dazwischengehen. So könnte ich das in einem Wort sagen, was ich daran toll, passend und chancenreich finde. Spannend ist das.
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