Selbst eine verwundete Welt nährt uns, hält uns, schenkt uns Momente des Staunens und der Freude

Ich habe das Buch „Geflochtenes Süßgras – Die Weisheit der Pflanzen“ bereits in Hannover angefangen zu lesen, es wanderte in den Koffer für die Reise nach Griechenland, gelesen habe ich es hier in Katerini während unseres Workcamps – das durch die Hitze und die verheerenden Brände weiter südlich anders verlief als geplant. Ich hatte vor, im Rahmen meiner Studienzeit zur Idee einer zirkulären Gesellschaft hier vor Ort das bürgerschaftliche Projekt O topos mou genauer unter die Lupe zu nehmen, die jungen Leute wollten die Medikamente in der Sozialen Apotheke überprüfen. Doch nach drei Tagen waren wir mitten in einem groß angelegten Hilfsprojekt der Bürgerinitiative eingebunden, die Spenden für Euböa sammelte. Viele der Ausflüge, die wir geplant hatten, fielen der Hitze zum Opfer, so ist es zum Beispiel verboten, den Olymp und seine Wälder zu betreten. Uns blieb „nur“ die abendliche Fahrt an den Strand, an dem in diesem Sommer schon wieder viel mehr Tourist:innen baden und feiern als im Sommer 2020. Es war schön, wenn auch wenig erfrischend, im dreißig Grad warmen Meer zu baden. Wir lagen im Sand, warteten auf den Sonnenuntergang, während mein Blick hinüber ging zu den Hängen des Olymp-Massivs ging und ich mir vorstellte, dass diese Hänge jetzt genauso rot in der Nacht leuchten könnten wie in Athen und Euböa – wenn nicht die ehrenamtliche Brandschutzwache, die O topos mou organisiert, dafür sorgt, dass seit vielen Jahren hier alle kleinen Brände schnell gelöscht wurden.

Ich schreibe das, um deutlich zu machen, in welchem Kontext ich das Buch gelesen habe und weil es zugleich viel mit dem Inhalt zu tun hat.

Geschrieben hat es Robin Wall Kimmerer, eine amerikanischen Biologin mit indigenen Wurzeln. Ich will gar nicht viel über das Buch schreiben, sondern in einigen Zitaten soll die Autorin selbst zu Wort kommen. Sie zieht mich nach und nach in Bann, kunstvoll werden die Gedanken miteinander verflochten. Geschichten indigener Weisheit genauso wie biologische Beschreibungen von Pflanzen und ihre Art miteinander und, ja, auch mit uns zu kommunizieren.

Bei den kurzen Zitaten kommen natürlich die vielen, einprägsamen Erzählungen über Erdbeeren und Seerosen, Flechten und Algen, die vier Formen des Feuers und Lachse zu kurz, dafür müsst ihr das Buch dann selber lesen. Es ist ein zutiefst trauriges und gleichermaßen hoffnungsfrohes Buch, ich vermute, seine Wirkung wird sich in mir erst nach und nach in mir entfalten – auch wenn und weil ich Robin Wall Kimmerer nicht an allen Stellen folgen kann.

„Aus der Sicht einer Eigentumsökonomie gilt ein Geschenk als ‚umsonst‘, weil wir es ohne Gegenleistung erhalten, ohne Bezahlung. In der Schenkökonomie dagegen sind Geschenke nicht umsonst. Das Wesen des Geschenks ist es, dass dadurch Beziehungen entstehen. Im westlichen Denken wird Privatgrund als ‚Bündel von Rechten‘ verstanden, während in der Schenkökonomie Eigentum an ein ‚Bündel an Verantwortungen‘ gebunden ist.“ (41)

„Für mich ist das Schreiben ein Akt des Austauschs mit der Welt; das, was ich zurückgeben kann im Gegenzug für alles, was mir gegeben wurde. (…) Sprache ist unsere Gabe und Aufgabe. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass Schreiben ein Akt des Gebens und Nehmens gegenüber dem lebendigen Land ist.“ (177 und 403)

„In einer Konsumgesellschaft ist Zufriedenheit ein radikaler Vorschlag. Wenn wir Überfluss erkennen statt Knappheit, untergräbt das eine Wirtschaft, die darauf beruht, dass stets neue Bedürfnisse geweckt werden. Dankbarkeit stiftet eine Ethik der Fülle, während die Wirtschaft Leere braucht.“ (133)

„Bitte um Erlaubnis, bevor du nimmst. Hör auf die Antwort. Nimm nie das Erste. Nimm nie das Letzte. Nimm nur, was du brauchst. Nimm nie mehr als die Hälfte. Danke für das, was dir geschenkt wurde. Hinterlasse ein Gegengeschenk für das, was du genommen hast.“ (214)

„Wenn ich neue Namen (für Pflanzen, MJ) erschaffe, sehe ich sogar noch genauer hin, um mich zu vergewissern.“ (241)

„Es reicht nicht, um unsere verlorenen Landschaften zu trauern. Wir müssen unsere Hände in die Erde stecken, um wieder ganz zu werden. Selbst eine verwundete Welt nährt uns. Selbst eine verwundete Welt hält uns, schenkt uns Momente des Staunens und der Freude. Freude ist mir lieber als Verzweiflung.“ (379)

„Wir Menschen werden im Weltbild der Indigenen die jüngeren Brüder der Schöpfung genannt und müssen wie jüngere Brüder von den älteren lernen. Die Pflanzen waren zuerst da und hatten lange Zeit, sich in der Welt zurechtzufinden.“ (402)

„Wir alle stehen in einem Bündnis der Reziprozität: der Atem der Pflanzen für den Atem der Tiere, Winter und Sommer, Räuber und Beute, Gras und Feuer, Nacht und Tag, Leben und Tod. Das moralische Bündnis der Reziprozität ruft uns auf, Verantwortung zu übernehmen für alles, was uns geschenkt wurde, für alles, was wir genommen haben. Jetzt sind wir dran, es ist überfällig. Als Gegengeschenk für das Privileg, atmen zu dürfen.“ (450)

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