Angst frisst die Seele auf….

Freitagabend, Evangelische Akademie Rheinland, Bad Godesberg, Tagung: Wenn Angst die Seele frisst – Das Risiko beruflichen Scheiterns als Herausforderung für Einzelne und die Unternehmenskultur.

 

Nach zwei Vorträgen von Stefan Zahlmann (Historiker) und Joachim von Soosten (Theologe) sitze ich zwischen zwei Frauen und zwei Männern und soll gleich ein Podiumsgespräch mit ihnen moderieren.

 

Allerdings liegt nach den beiden gehaltvollen Vorträgen des Nachmittags der Wunsch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Luft, nun auch selbst zu Wort kommen zu wollen.

 

Dies ist auch so gedacht, nach einigen einführenden Fragen soll es schnell zur Beteiligung des Publikums kommen. Als ich dies zu Beginn so mitteile, geht un(über)hörbar ein Seufzer der Erleichterung durch den Raum. Da es zu Beginn der Tagung keine Vorstellungsrunde gab, schlage ich nun vor, dass zunächst einmal jede und jeder ganz kurz ein paar Worte zu sich sagt und warum er oder sie sich zu dieser Tagung angemeldet hat, worin der eigene Zugang zur Thematik besteht.

 

Was nun passiert, macht aus einer »reinen« akademischen Tagung eine Begegnung in großer Offenheit. Denn es wird schnell klar, dass nahezu jede und jeder intensive, teils drastische Erfahrungen mit Scheitern in unternehmerischen Zusammenhängen gemacht hat. Und die Bewältigung dieser Erfahrung ist sehr unterschiedlich weit fortgeschritten. Die Bereitschaft, sich persönlich zu äußern und damit auch verletzlich zu zeigen, steckt an und zieht sich durch die Runde.

 

Zum Podiumsgespräch kommt es anschließend  nicht so wie geplant, weil auch Anne Kliebisch und Katrin Faensen (beide Ideen3) sowie Thomas Egelkamp (Künstler, Coach, Hochschullehrer) und Holger Linderhaus (Rechtsanwalt, u.a. Schwerpunkt auf Insovenzverfahren) sich in ihrer etwas ausführlicheren Vorstellung ebenfalls persönlich äußern. Es schließt sich ein knapp anderthalbstündiges Rundgespräch mit allen Teilnehmenden an, in dem alle möglichen Facetten, Erfahrungen und Bewertungen von Scheitern ausgetauscht werden. Am Ende stand bei vielen das Gefühl, gerade einen besonderen Moment miterlebt zu haben, unverhofft und ungeplant und vielleicht deswegen so berührend und bewegend.

 

Die Tagung »Wenn Angst die Seele frisst«  wurde von einem Arbeitskreis in der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) organisiert, unter Federführung von Peter Mörbel (Studienleiter an der Akademie). Holger Linderhaus stellte vor längerer Zeit im Sozialethischen Ausschuss der EKiR aus seiner beruflichen Erfahrung heraus die Frage nach der Seelsorge an Menschen, die von Insolvenz betroffen sind. 2012 gab es eine erste Tagung, die sich eher den praktischen und juristischen Fragen widmete, diesmal sollte das Thema weiter gefasst und aus anthropologischer Sicht in den Blick genommen werden. Impulsvorträge sollten das Nachdenken anregen, das Podiumsgespräch die Diskussion miteinander befördern und am Samstagvormittag standen Workshops auf dem Programm, in denen die Teilnehmenden unter der Moderation von Arndt Berlin, Christine Jung und Jonas Gebauer je nach Interesse die Thematik vertiefen konnten. Diese Planung ging auf – auch die drei Workshops waren von großer Offenheit und einem sehr persönlichen Austausch geprägt.

 

Es wurde sehr deutlich, dass Scheitern ein Erlebnis ist, das nach danach schreit, verarbeitet zu werden. Scheitern ist zwar ein allgegenwärtiges Erleben, dennoch wird es vielfach verschämt verschwiegen. Im offenen Gespräch kann Scheitern als menschliche Erfahrung benannt werden und von seinem Schrecken verlieren, ja sogar kreativ und sinnvoll genutzt werden.

Es gibt eine breite Literatur zum Scheitern, daher möchte ich nur drei Gedanken benennen, die während der Tagung besonders intensiv diskutiert wurden.

 

– Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg. Misserfolge gibt es wie Sand am Meer. Entscheidend ist, ob ich selber eine bestimmte Entwicklung als Scheitern bewerte oder auch andere mein Erleben als Scheitern auffassen.

 

– Ich scheitere vor allem an meinen eigenen Ansprüchen. Wenn ich gesetzte Ziele nicht erreiche, wenn die »Leistung« unter meinen Erwartungen bleibt, dann spreche ich davon, zu scheitern, oder gescheitert zu sein. Dabei ist es häufig so, dass ich allgemeine Ziele der Gesellschaft verinnerliche und zu meinen mache (»Du musst einen Arbeitsplatz haben!«). Diesen Unterschied zu erkennen und zu benennen, kann eine ungemein entlastende Wirkung haben.

 

– Es wurde aber mehrfach sehr deutlich darauf hingewiesen, welch verheerende Wirkung der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Insolvenz meines Betriebes hat, wenn die eigene wirtschaftliche Existenz dadurch gefährdet ist, also konkret ggf. Hartz IV droht. Ein Teilnehmer brachte es auf die Formel: »Hätte ich 1000 € im Monat statt Hartz IV, dann wäre ich frei und könnte tun, was ich wollte.« Tätig sein, wie und wo auch immer, war ihm selbstverständlich, aber mit der entsprechenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit kann ich freier agieren. In meinen Ohren klang das wie ein Plädoyer für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, aber das ist ein anderes Thema.

 

Die Tagung hatte einen Vorlauf, in dem verschiedene Presseberichte erschienen:

 

Karriereabbruch als Chance – Eine Bonner Tagung thematisiert den Umgang mit Insolvenz

 

Interview mit mir im Bonner Generalanzeiger

 

Wenn Insolvenz die Seele auffrisst

 

Insbesondere auf den Artikel in der NRZ bekam ich in meinem Umfeld am Niederrhein eine ganze Reihe von Anrufen und Rückmeldungen. Tenor: »Gut, dass da mal jemand hinschaut, die Not bei Menschen, die so von Insolvenz betroffen sind, ist riesengroß und sie stehen oft allein.«

 

Es gibt aber verschiedene Initiativen und Hilfsangebote, das wurde auf der Tagung immer wieder betont. Eine erste Anlaufstelle können zum Beispiel die Anonymen Insolvenzler sein:

Gesprächskreis Anonyme Insolvenzler

 

Der Arbeitskreis der EKiR wird auch an dem Thema »dran« bleiben und weitere Tagungen organisieren.

4 Gedanken zu “Angst frisst die Seele auf….

  1. Pingback: Scheitern. Ein Querschnittsthema – bilder und gedanken

  2. Pingback: Warum es ein Jammer ist, dass kaum jemand die Anonymen Insolvenzler kennt | bilder und gedanken

  3. Pingback: FuckUp Night – oder auch: Vom Umgang mit unternehmerischem Scheitern | neubegehren entfacht das feuer

  4. Andreas Conradi

    Lieber Herr Jung,

    herzlichen Dank für diesen Beitrag!

    Ich wurde durch den Artikel im Bonner Generalanzeiger vom 14.9. auf die Tagung aufmerksam. Ich beschäftige mich einerseits derzeit mit der sozialen Konstruktion des Selbst, andererseits habe ich einen Lebenslauf vorzuweisen, wie ihn Karriereberater nur auf Nachfrage empfehlen würden. So war mein Interesse schnell geweckt.

    Das Programm versprach Vorträge eines Historikers und eines Theologen sowie bunte Gesprächskreise mit einem Rechtsanwalt, Unternehmensberatern, einem Kunstcoach, dem Gründer einer Insolvenzler – Selbsthilfegruppe und vielen anderen.
    Da ich überhaupt nicht wusste, was mich erwartet, habe ich neugierig, aber auch erwar-tungsarm teilgenommen.

    Um das Résumé gleich vorweg zu nehmen: was von allen Personen, Vortragenden wie Teilnehmenden, in dieser Tagung an völliger Offenheit im Umgang mit eigenem Scheitern und den persönlichen Definitionen des Scheiterns an den Tag gelegt wurde, sprengte jede Erwartung an eine „Tagung“ bei weitem.

    Ein Thema, das man, wenn überhaupt, lieber nur aus den Augenwinkeln wahrnimmt, um sich der Gefahr eigenen Scheiterns nicht bewusst werden zu müssen? Eine Erziehung, die Scheitern zu einem persönlichen Weltuntergangsszenario anwachsen lässt? Eine Gesellschaft, die die allgegenwärtige Option des Scheiterns zu schnell in Risikokapitalverzinsung umrechnet?

    Nicht hier, dem hat sich diese Veranstaltung erfolgreich entgegengestellt.

    Was mir wichtig war und ist, ist die Trennung zwischen „Scheitern“, mit einer endgültigen Komponente, und „Misserfolg“ – als Gegenstück zum „Erfolg“ – mit einer zeitlich begrenzten Komponente. Einerseits wurde diese Idee dankbar angenommen, andererseits verführt sie natürlich auch zu einem „Stehauf-Männchen“ – Denken, bei dem die Phase der Besinnung, des Ausruhens, der Reflexion nach einem Misserfolg zu kurz kommen kann.

    Hier wünsche ich mir für eine hoffentlich stattfindende Folgetagung einen vertiefenden Ansatz. Wann dient Liegenbleiben der Ruhe und vielleicht auch dem „Widerstand“
    (von Soosten) gegen eine als übermächtig empfundene schneller-höher-weiter-Mentalität, wann wird Liegenbleiben zur alles überlagernden Resignation? Und: an welchem Punkt kann, darf, muss das soziale Umfeld die helfende Hand zum Aufstehen reichen?

    Eine Frage, die im Programm mitschwang, war: was kann Kirche, was kann evangelische Sozialethik und Seelsorge zu einem besseren Umgang mit Scheitern beitragen?
    Eine erste Antwort darauf hat diese Tagung selbst gegeben: sie kann tabuisierte Fragen stellen und den Raum für eine offene Diskussion darüber bereithalten.
    Danke an die Initiatoren, Organisatoren, die Mitwirkenden und die Teilnehmer dafür, dass dies im Rahmen dieser Tagung uneingeschränkt möglich war.

    Herzliche Grüße
    Andreas Conradi

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