Anmerkungen zu Ralf Peter Reimann: »Digitaler Marktplatz ohne Kirche?«
Link zum Blogbeitrag von Ralf Peter Reimann
Im Mittelalter dominierte die Kirche den öffentlichen Diskurs, was sich nicht zuletzt in der Architektur und Stadtplanung niederschlug. In mittelalterlichen Städten liegen Kirche und Rathaus am Marktplatz sich gegenüber. In der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist dies nicht mehr der Fall, die Kirche hat ihre Dominanz verloren, aber auch dem Staat wird im 21. Jahrhundert eine andere Rolle zugeschrieben. Marktplätze wie Facebook, die von einzelnen Firmen dominiert werden, stellen die Frage nach deren Regulierung, denn die ökonomische Globalisierung und die Verlagerung von Prozessen in die Online-Welt haben unsere Gesellschaft verändert. Neben Technologie geht es bei diesen Fragen eben auch um Ethik für die digitale Welt.
Das ist richtig und die Diskussionen um das freie Internet, die Problematik der Urheberrechte, die Frage nach den ökologischen Kosten von Servern und Hardware, die Vor- und Nachteile von Shitstorms, Onlinepetitionen usw., die Gefahren der Menschenverachtung, ja -vernichtung durch öffentliche Zurschaustellung zeigen an, dass ethische Fragen zunehmend diskutiert werden. Auch Ethik organisiert sich neu. Werte verändern sich, Machtstrukturen und Einflussmöglichkeiten. Hinter all dem steht die Frage nach dem Menschenbild, das klingt in Reimann´s Blogbeitrag auch an. Und gerade in der Frage des Menschenbildes und damit der Menschenwürde waren in den letzten Jahrzehnten kirchlich-theologische Personen immer wieder gefragt, wenn es um aktuelle gesellschaftliche Diskurse ging. Und das ist in bestimmten Bereichen der Gesellschaft auch immer noch so – aber nicht auf den Podien der digitalen Welt, wohl wahr.
Stehen in Dörfern und Städten noch Kirchen aus Stein, gibt es für Radio und Fernsehen noch Rundfunkräte, in denen Kirchenvertreter Mitglieder sind, so fällt das Fehlen von Kirchen im digitalen Dorf der re:publica nichtmals auf. Dies ist kein Wehklagen und kein Herbeisehnen mittelalterlicher Verhältnisse, sondern eine Feststellung.
Ich fasse das noch schärfer und sage: Und das ist gut so! Kompetenz hängt nicht an einer formalen Präsenz, an einem »Posten« oder einem »Sitz«. Der Wegfall von (vielleicht lange vertrauten) Gewohnheiten zwingt uns als Christinnen und Christen, uns Gehör erst einmal wieder zu verschaffen – durch Inhalte, nicht durch das schlichte Wahrnehmen einer Position in irgendwelchen Ausschüssen, Gremien, Kommissionen oder auf Podien.
Umgekehrt müsste man vielmehr fragen, wo haben wir als Kirche die Kompetenz und die Akzeptanz, hier in einen medienethischen Diskurs überhaupt einzutreten. Verstehen wir wirklich, wie die digitale Welt funktioniert und haben wir dies theologisch durchdacht? Nur wer eine eigene Position hat, kann diese auch einbringen. Um an einem Beispiel konkret zu werden: Was ist die evangelische Position zum Copyright?
Ja, ich denke schon, dass es »in« der Kirche Menschen gibt, die Kompetenz und Akzeptanz haben, diesen Diskurs mit zu führen. Aber das geschieht eher selten über die in der Kirche üblichen Wege der Beauftragung und Zuständigkeit und so weiter und so fort. Christinnen und Christen können sich in den Diskurs einbringen, ob sie nun Theologen, Pfarrer oder Laien sind, ob sie ein »Amt« oder eine »Beauftragung« haben oder nicht. Die digitale Entwicklung ist vielfach auch eine digitale Verwicklung und wir als verfasste Kirche kommen da, so mein Eindruck, mit unseren gewohnten Strukturen und Abläufen oft nicht mit klar. Nicht nur, weil die üblichen presbyterialen und synodalen Entscheidungswege fiel zu lange dauern (das Problem haben die staatlichen Institutionen auch), sondern vor allem, weil diese über viele Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte gut funktionierenden Strukturen nicht mehr recht zu passen scheinen. Das digitale Zeitalter stellt Fragen an unser kirchliches System, in welchem Zuständigkeiten benannt werden und Beauftragungen ausgesprochen werden, die dann wahrgenommen werden sollen, können, müssen. »Lösungen« für dieses Problem sind nicht leicht zu finden, die permanenten Diskussionen über Strukturprozesse in unserer Kirche auf allen Ebenen zeigen an, wie schwer das ist, Veränderungen herbei zu führen.
Auf der anderen Seite liegt hier aber auch die Chance: Jede und jeder kann sich heute in den Diskurs einbringen, einen Blogartikel schreiben, Kommentare im Netz abgeben, Videos aufnehmen und bei Youtube einstellen. Der Zugang zur »Öffentlichkeit« ist mehr oder weniger uns allen offen. Theologisch gesehen ist das doch eine faszinierende Perspektive, oder? Das Evangelium jederzeit kommunizieren zu können, ich finde, das ist einfach genial. Paulus würde heute Blogartikel schreiben, da bin ich mir sicher. Sich mit Gleichgesinnten vernetzen und austauschen zu können, Meinungen zu lesen, eigene zu bilden, zu revidieren, was für ein Fortschritt in den Möglichkeiten auch über Ethik und Religion und Glaube und Gott reden zu können.
(Klammer auf: Ich gucke gerne mit meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden, was es auf Youtube z.B. zum Vater Unser, zum Thema Schöpfung usw. gibt. Mit der Vielfalt der unterschiedlichen Beiträge können die jungen Menschen oft sehr gut umgehen, haben ein feines Gespür für das, was stimmig ist und was nicht. Über die so geäußerten Gefühle ist schon manche Diskussion über die Inhalte angestoßen worden, die anders vermutlich nicht in Gang gekommen wären. Ich beschreite einen Umweg durch die Fülle der digital verfügbaren Meinungen und Positionen und wir kommen am Ende eher dazu, zu sagen, so sehe, so glaube ich das – und können auch Unterschiede eher stehen lassen. Mein Eindruck: durch diesen Umweg nehmen mir die jungen Leute meinen Glauben eher ab, meine Meinung eher ernst. Klammer zu.)
Kirche ist in den Diskussionen zu Social Media nicht mehr als Gesprächspartner auf den Podien gesetzt, sie wird nicht gefragt und von der digitalen Community nichtmals vermisst. Hat sie etwas Substanzielles zu sagen? Ich denke ja, allerdings muss sie sich selber als Gesprächspartner anbieten und ihre Positionen für die digitale Gesellschaft entwickeln. Wenn Kirche – bzw. Menschen, die sich für die Kirche in diesen Bereichen engagieren – sich auf Augenhöhe in Medieninitiativen einbringen, gewinnen sie Glaubwürdigkeit in der Community und Kompetenz. Nur so akzeptiert man sie als Gesprächspartner im digitalen Dorf – auch zu anderen medienethischen Fragen.
Ich kann mich diesen Worten nur anschließen. Es geht über die Inhalte und über die Art und Weise, wie sie kommuniziert werden. Marktschreierisch brauchen wir das nicht zu tun. Da bin ich theologisch sehr entspannt und halte es mit Joh 3,8 (Die Geistkraft Gottes weht, wo SIE will) in Verbindung mit Jes 55,11 (Mein Wort wird nicht ohne Erfolg zu mir zurückkehren, sondern tun, was ICH will). Und wenn wir (erst mal) nicht (mehr) auf den Podien sitzen – okay, dann ist das so. Kirche hat lange „oben“ gesessen. Jetzt stehen wir unten. Mitten im Volk, unter den Menschen. Ich finde, da gehören wir hin.
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Ich frage mich was ist Kirche überhaupt, was symbolisieren die Rituale in der Kirche? warum wollen Gruppen in der Kirche es anders haben? Was bedeutet es, wenn ein Papst sagt: Er hätte keine Erlaubnis aus Frauen Priesterinnen zu machen, wie das im Buch DAS LICHT DER WELT von Peter Seewald als Meinung des ehemaligen Papstes Benedikt XVI, angegeben wird?
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