Zwischenbericht unserer Tätigkeit im Projekt:
„Gemeinschaftliches Wohnen und Leben in Heidehügel“
Sehr geehrte Mitglieder der Landessynode,
seit 3,5 Jahren sind wir beide, Regina Silberpfeil und Ulrich Mertens, mit je einer halben Stelle im Fachbereich „Kirche und gesellschaftlicher Wandel“ im Haus kirchlicher Dienste (HkD) tätig. Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Begleitung des Projekts: „Gemeinschaftliches Wohnen und Leben in Heidehügel“.
Ein kurzer Rückblick. 2019 haben sich die arbeitsweltbezogenen Dienste im HkD nach einem Szenarienworkshop auf den Weg gemacht, sich inhaltlich neu aufzustellen. Der Impuls lautete seinerzeit, neben den eher traditionellen Arbeitsformen in den Arbeitsfeldern Modelle anzuregen, zu entwickeln und umzusetzen bzw. zu begleiten, in denen sich Kirche als Motor des Wandels auf dem Weg zu guten Arbeits- und Lebensbedingungen in Stadt und Land versteht. Der Prozess zog schnell immer weitere Kreise, zunächst über die Grenzen des Fachbereich hinaus im HkD, später auch innerhalb der Landeskirche und anderer Institutionen.
Wesentliche Impulse erhielt der Prozess von einer Veranstaltung zur Denkschrift: „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ im September 2019. Neben den Impulsen durch unseren Landesbischof Ralf Meister und den Europaabgeordneten der Grünen Sven Giegold, die beide auch an der Denkschrift mitgewirkt haben, waren es verschiedene Workshops, in welchen konkret auch nach Pfaden gesucht wurde, auf denen sich Kirche an der notwendigen Transformation beteiligen kann. Die Umbenennung des Fachbereichs „Kirche. Wirtschaft. Arbeitswelt“ in „Kirche und gesellschaftlicher Wandel“ im Jahr 2021 war auch eine Frucht dieses Studientages.
Die neu zusammengesetzte Landessynode setzte parallel zu den Veränderungsprozessen im HkD 2020 direkt eine Arbeitsgruppe ein, die konkrete Vorschläge erarbeiten sollte, wie sich die hannoversche Kirche als Pionier des Wandels verstehen und einbringen kann, und zwar auch mit Projekten und Modellen im eigenen Bereich. Zur Mitarbeit eingeladen wurden hier bewusst Einrichtungen aus der Zivilgesellschaft, die sich dem Wandel verschrieben haben, zB Transition Town und die Stiftung Futurezwei.
Eine Modellidee stand von Anfang an schon seit dem Szenarienworkshop 2019 im Raum: Land, das Kirche gehört, so zu verkaufen, zu verpachten oder selber zu bewirtschaften, dass die Menschen, die dort leben, davon einen – ökologischen, ökonomischen und sozialen – Gewinn erhalten. Diese Projektidee wurde zunächst von den vorhanden Personen in Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA), Kirchlicher Dienst auf dem Land (KDL) und Umweltbereich sowie weiteren Personen in anderen Arbeitsfeldern im HkD (Kirche und Handwerk, Fundraising, Gemeinwesendiakonie u.a.) gedanklich voran getrieben.
Ein Meilenstein war der Grundsatzbeschluss der Landessynode 2021, sich als Landeskirche in besonderer Weise und das hieß mit Schwerpunktprojekten als Mahner, Mittler und Motor zu verstehen und trotz allmählich leerer werdender Kassen dafür Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Frei nach dem Motto von Gerd Wegner: Kirchliche Einrichtungen, die sich dem Sozialraum zuwenden, werden auch in Zukunft keine Ressourcenprobleme bekommen. Mit diesem Beschluss sollten modellhafte Unternehmungen unterstützt werden, welche die ökologische, ökonomische und soziale Transformation voran treiben. Alle Modellvorhaben sollten als Zielperspektive mindestens innerhalb von sieben Jahren finanziell eigenständig sein können, wünschenswerterweise spätestens nach Ablauf dieser Frist damit beginnen, den Projektzuschuss zurückzuzahlen.
Unser Projekt Heidehügel wurde konkreter, als durch eine über das Arbeitsfeld Fundraising vermittelte Erbschaft in der Nähe der Stadt Heidewelt ein großes landwirtschaftliches Areal in den Besitz der Landeskirche überging. Die Erblasserin war von dem Gedanken fasziniert, dass ihr Besitz (sie hatte keine direkten Nachkommen) künftig als Keimzelle eines konkreten Ortes gesellschaftlichen Wandels dienen würde.
Zur Projektbegleitung über sieben Jahre wurde ab Januar 2023 aus dem Fond der Landeskirche unsere Stelle finanziert. Eine der Auflagen lautete, dass der oder die Stelleninhaberin selbst Teil des Wohnprojektes werden muss. Das hat sich in unserem Fall wunderbar gelöst: Ulrich wohnt von Anfang an in einer der Wohnungen auf dem Gelände, Regina lebt in Hannover. So ist der Kontakt zur Zentrale genauso wie zum Heidehügel gewährleistet.
Unsere konkrete Aufgabe ist es, den Prozess der Umwandlung des ehemaligen Besitzes in eine gemeinschaftliche Wohnanlage zu begleiten, in der zugleich auch die landwirtschaftliche Produktion auf ökologischer und sozialer Grundlage neu entwickelt werden sollte. Es ging also zunächst darum, Menschen mit landwirtschaftlichen Hintergrund zu finden, andere, die hier gemeinsam wohnen wollten und möglichst auch Lust an handwerklicher Tätigkeit hatten. Es ist schnell gelungen, eine Keimzelle von drei Familien zu finden, die sich darauf eingelassen haben. Ulrich und seine Frau gehörten dazu, aufgrund seiner sozialpädagogischen Ausbildung war er auch derjenige, der auf Gruppenprozesse zu achten hatte. Gleichzeitig hielt er mit Regina Kontakt über verschiedene Kanäle, um Ideen, Geld und andere Ressourcen zu generieren.
Eine Idee, die schnell aufkam, war, die landwirtschaftliche Produktion als Solidarische Landwirtschaft aufzuziehen. Die Nähe Heidehügels zur Kleinstadt Heidewelt kam dem entgegen. Das junge Bauernehepaar Lena und Paul Meier war von der Idee begeistert. Bereits heute nach drei Jahren kann gesagt werden, dass dieses Konzept lebensfähig ist. Ca. 50 Personen sind Mitglied im Verbund, finanzieren mit ihren monatlichen, einmal im Jahr jeweils neu festgelegten Beiträgen den Unterhalt von Familie Meier und ihrer Angestellten und erhalten im Gegenzug die Produkte aus der Produktion.
Eine andere Idee bestand darin, den Heidehügel bei allen notwendigen Restaurierungsvorhaben als weitgehend autarke Lebensgemeinschaft zu konzipieren. Der Kontakt zum AF Umwelt half hier sehr, nicht nur im Blick auf die Energiegewinnung, sondern auch im Blick auf Kreislaufwirtschaft. Der Heidehügel ist knapp drei Jahre nach den ersten Einzügen noch nicht zu hundert Prozent autark, aber auch einem guten Weg.
Eine weitere Linie bestand darin, möglichst schnell weitere Wohnungen zu bauen bzw. den Bestand zu renovieren. Vor dem Einzug der ersten drei Familien wurden deren Wohnungen aufwändig aus Projektmitteln saniert, aber es war vereinbart, dass weitere Zuschüsse sukzessiv sinken sollten. Es ging ja auch immer um die Frage, wie können solche Modelle aus sich selbst heraus überlebensfähig werden.
Daher war schnell die Idee geboren, ein integriertes Gäste-, Studien und Veranstaltungshaus zu errichten. Hier können zum einen Einnahmen erzielt werden, aber auch Gäste wohnen oder Praktikant/innen zu Studienzwecken leben, zB um ihre Masterarbeiten zu schreiben und gleichzeitig am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen. Dieses Haus wurde im letzten Jahr fertig gestellt und ist bereits gut belegt. Hilfreich war hier natürlich der spektakuläre Beschluss des Landesbischofs, für drei Monate selbst in eines der Zimmer zu ziehen und in dieser Zeit die Hälfte seiner Termine zu reduzieren, um sich in der verbleibenden Zeit eigenen Studien und dem Leben auf dem Heidehügel zu verschreiben. Sein „Tagebuch auf Heidehügel“, zunächst als Blog veröffentlicht und später auch als Buch gedruckt, trug maßgeblich zum Bekanntheitsgrad des Projektes bei, zugleich transportierte und transportiert Ralf Meister die Grundideen und -überzeugungen des Modells in Kirche und Gesellschaft hinein. Hier zeigt sich wieder einmal exemplarisch, wie wichtig und hilfreich es ist, wenn sich Themen mit Köpfen verbinden, um es mal etwas plakativ zu formulieren.
Mit der Planung dieses Gästehauses wurde auch die Frage entschieden, ob hier ein für den Heidehügel eigener Gottesdienstraum geschaffen wird oder nicht. Die Meinungen innerhalb der Gemeinschaft und im Projektbeirat gingen hier weit auseinander. Die einen befürworteten einen eigenen spirituellen Raum, andere sprachen sich dafür aus, die Kirche im nahen Dorf Heidekirche zu nutzen und sich der Kirchengemeinde anzuschließen. Der entscheidende Impuls kam schließlich von einer ganz anderen Seite und war eine Art Gottesgeschenk. In enger Kooperation der Arbeitsfelder im HkD konnte das ebenfalls aus dem Projektfond finanzierte Modell: „Neue Heimat für der Klimakrise Betroffene“ just im benachbarten Dorf Heidekirche realisiert werden: zwanzig Familien aus Bangladesh wurden in leerstehenden Gebäuden angesiedelt und erhielten die Möglichkeit, sich hier u.a. handwerklich und landwirtschaftlich eine neue Existenz aufzubauen. Zum einen entwickelten sich schnell Synergien mit dem Heidehügel, zum anderen gelang es durch den durch die Gemeindeberatung klug moderierten Prozess, die örtliche Kirchengemeinde in Heidekirche nicht nur einzubeziehen, sondern auch das aus Bangladesh stammende Ehepaar Ranya und Jovan Banik als Pastorenehepaar zu ordinieren. Mit den mehr als hundert neuen Christinnen und Christen gelang es so, nicht wie so oft eine eigene „Gemeinde“ aus Bangladeshi neben der traditionellen Gemeinde zu etablieren, sondern von Anfang an eine gemeinsame Gemeinde zu bilden. Kern war der Gottesdienst, der Elemente aus beiden Kulturen aufnahm. Diese Entwicklung nahm der Heidehügel zum Anlass, sich geistlich hier eng anzuschließen, zumal die Kooperationen bei Handwerk, Landwirtschaft und Gästehaus auf der Hand liegen. Wir sind zuversichtlich, dass diese noch sehr neuen Entwicklungen dazu führen, dass beide Modellprojekte nach Ablauf der siebenjährigen Laufzeit das Mindestziel der finanziellen Eigenständigkeit erreichen. Bereits heute laufen Gespräche mit der Landeskirche an, auf die Rückzahlung der Projektförderung zu verzichten, und diese Gelder eher in die Weiterentwicklung zu investieren.
Zur Halbzeit unserer modellhaften Unternehmung können wir bilanzieren, dass die Idee tragfähig ist und über das integrierte Gästehaus auch bereits beginnt auszustrahlen. In der Kooperation mit dem Projekt in Heidekirche entstehen Synergien, die anfangs nicht im Blick waren. Gerade die gezielte, geplante, koordinierte und mediatorisch begleitete Zuwanderung und Ansiedelung von Menschen aus anderen Kulturkreisen, in unserem Fall aus Bangladesh erweist sich als Pfad in eine Zukunft, in der versucht wird, die Folgen der Klimakrise zu gestalten und nich nur zu erleiden. Das ist auch mit Schmerzen, Angst und Konflikten verbunden, aber gerade der gemeinsame christliche Glaube ist eine tieferliegende Verbindung, die neben Lob und Dank auch Klage, Schuld und Vergebung zur Sprache und vor Gott bringt.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zur Zusammenarbeit von uns beiden, Regina und Ulrich. Wie eingangs bereits geschrieben, hat es sich als Glücksfall erwiesen, dass die Stelle geteilt werden konnte. Ulrich ist hier mit allen großen und kleinen Eigenheiten vor Ort vertraut, Regina dagegen mit allen Personen, Gremien und Institutionen in Hannover eng verbunden. Sie ist auch mindestens einmal in der Woche in Heidehügel anwesend, Ulrich dagegen nur äußerst selten in Hannover. Wir sind zuversichtlich, dass diese Form der Zusammenarbeit auch in den nächsten 3,5 Jahren viel Frucht bringen kann und wird. Es ist ein Zeugnis gelebten christlichen Glaubens in schwierigen Zeiten und ist so auch ein Zeichen dafür, wie Kirche einen Beitrag zur Zukunftskunst leisten kann, wenn sie den Mut aufbringt, sich als Pionier des Wandels zu verstehen und dazu die nötigen Experimentierräume schafft.
Hannover/Heidehügel, 30. Juni 2026
Regina Silberpfeil und Ulrich Mertens
(Der Text entstand im Rahmen eines Szenarienworkshops, angeleitet von Mitartbeiterinnen der Stiftung Futurezwei am 8./9. Februar 2019 in Hannover)