Arbeiten 4.0 – solidarisch und selbstbestimmt. Veranstaltung zur neuen Denkschrift der EKD in Osnabrück

Anfang Juli lud der KDA der hannoverschen Landeskirche zu zwei Veranstaltungen zu der im April von der Sozialkammer der EKD erarbeiteten Denkschrift: „Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt“. Die erste fand in Hannover statt (hier ein Bericht), die zweite hatte ich in Osnabrück in der Marienkirche organisiert. Als Gäste konnte ich Traugott Jähnichen, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Ruhr-Universität Bochum und Cornelia Coenen-Marx, Oberkirchenrätin i.R. gewinnen. Beide sind langjährig mit der Sozialkammer verbunden: Jähnichen als Mitglied und stellvertretender Vorsitzender, Coenen-Marx als Geschäftsführerin.

Traugott JähnichenTraugott Jähnichen führte zunächst in die Grundgedanken ein. Er verwies darauf, dass diese Denkschrift die dritte in einer Reihe ist, die mit „Gerechte Teilhabe – Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität“ 2006 begann und mit der Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive “ 2008 fortgeführt wurde. Nun also geht es im Kern um Solidarität und Selbstbestimmung in der Arbeit. Zwei Pole, die in einer Balance stehen sollen. Hergeleitet wird dies aus dem lutherischen Verständnis, welches den Beruf und die Arbeit in einen weiten Horizont stellt:

Es war Martin Luthers tiefste Überzeugung, dass alle Menschen von Gott berufen sind, in der Gesellschaft für sich selbst und vor allem im Dienst für den Nächsten tätig zu sein. Darin haben alle Menschen einen Beruf. Sie sollen nicht nur irgendwie arbeiten, sondern ihr Arbeiten erfüllt sich von daher mit Sinn. Nicht das rastlose Tätigsein als solches ist das Ideal des Christlichen, sondern die sinnvolle Einbeziehung aller Menschen in eine Wirtschaft, die mit allen geschieht und in der die Arbeit als ein großes Gemeinschaftswerk erbracht wird. Auch in diesem Denken spielen Märkte und der Wettbewerb eine große Rolle – aber sie sind nie ein Selbstzweck, sondern dienen immer dem Ziel, alle am dadurch geschaffenen Wohlstand teilhaben zu lassen. Die Wertschätzung der Arbeit liegt in ihrem Beitrag zum Gemeinwohl begründet. Gleichzeitig ist eine Wirtschaft, die dem Gemeinwohl dient, ohne Wertschätzung der Arbeit gar nicht möglich. (S. 10)

All das entfaltet die Denkschrift auf dem Hintergrund vielfältiger Umbrüche der Arbeitsgesellschaft: Digitalisierung und Globalisierung sind hier die Stichworte. In besonderer Weise widmet sich die Denkschrift der Rolle der Gewerkschaften und kommt in der Spitze zu der Aussage:

Die Mitarbeit in den Gewerkschaften (ist) für christliche Arbeitnehmer wesentlicher Ausdruck ihres Berufsethos. (S. 136)

Zugleich aber macht die Denkschrift deutlich, dass Arbeit mehr ist als Erwerbsarbeit:

Im lutherischen Verständnis des Berufs ist Arbeit aber nicht nur Erwerbsarbeit. Vielmehr baut im Grunde genommen die gesamte Erwerbsarbeitswelt auf Sorgearbeit, wie Familienarbeit, Erziehung, Pflege, aber auch auf den Aktivitäten der Zivilgesellschaft auf. (S. 98)

Cornelia Coenen-MarxCornelia Coenen-Marx beschrieb den aktuellen Rahmen, in dem diese Denkschrift erscheint. Die verschiedenen Streiks, die Situation in Europa. So wurde deutlich, dass eine Denkschrift, an der die Kammer vier Jahre gearbeitet hat, nur selten tagesaktuell sein kann. An einer Stelle gelingt der Denkschrift einmal, wenn sie schreibt:

Die Entwicklung von Spartengewerkschaften … ist für Gewerkschaften wie für Arbeitgeberverbände besorgniserregend, da kleine Spartengewerkschaften oftmals ein erhebliches Erpressungspotential zu Lasten der Gesamtbelegschaften einsetzen können … Ohne Tarifeinheit drohen Eigeninteressen von Berufsgruppen die betriebliche Solidarität auszuhöhlen. (S. 88f.)

Letztlich aber, und das konnte die ehemalige Geschäftsführerin der Kammer (seit kurzem befindet sie sich im Ruhestand) anschaulich machen, geht es in der Kammer immer um den Versuch, einen Konsens zu formulieren. Hält man sich vor Augen, dass in der Kammer neben Kirchenleuten und Professor/-innen auch Vertreter/-innen von Verbänden, Gewerkschaften und Parteien sitzen, kann dies nicht verwundern.

Matthias JungEs folgte eine angeregte Fragerunde unter Einbeziehung des Publikums. Natürlich wurde auch kritisch angemerkt, dass sich die Kammer um konkrete Aussagen „drückt“. Aber die Referent/-innen erzählten auch selbstkritisch aus den Debatten in der Kammer, in der es an vielen Stellen auch sehr kontrovers zuging. Und an vielen Stellen führte dies nicht zu einem Konsens, sondern die Ansichten blieben nebeneinander stehen, so ist es kein Wunder, dass das Wort „umstritten“ so häufig gewählt wurde.

Zugestanden wurde, dass es sich bei dem Text (nach dem Wirbel um die Unternehmer-Denkschrift von 2008) in gewisser Weise um Wiedergutmachung im Blick auf die Gewerkschaften handelt (so die Vermutung von Matthias Jena aus dem DGB Bayern, nachzulesen hier: Kommentar Matthias Jena). Es bleibt die Frage, ob und wie die Gewerkschaften die Einladung – so versteht die Kammer den Text – wahr- und annehmen. Bietet der Text dafür genug Impulse? Wie groß ist das Vertrauensverhältnis? Welche Belastung ist und bleibt der in weiten Teilen Deutschlands nach wie vor favorisierte „Dritte Weg“? Fragen, die an diesem Abend offen blieben.

Cornelia Coenen-Marx brachte am Ende die Idee einer europäische Zivilgesellschaft ins Gespräch, in der sich Menschen auf unterschiedlichen Ebenen begegnen und austauschen. Die Erfahrungen, die wir gerade in Europa mit dem Streit um Griechenland, aber auch in der Frage des Umgangs mit dem nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom machen, legen diesen Gedanken nahe. Die Verwirklichung ist allerdings ein ähnlicher steiniger Weg wie der Versuch der politischen Einigung. Lohnenswert ist er sicher.

Was könnte, sollte mit der Denkschrift nun geschehen? Traugott Jähnichen äußerte als Antwort seine Hoffnung, dass der Text zunächst und vor allem innerhalb der evangelischen Kirche gelesen, diskutiert und im Blick auf die eigenen Arbeitsverhältnisse ernst genommen wird. Wenn das geschieht, könne von dort aus eine Strahlkraft in die Gesellschaft entstehen.

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