Andacht im Pfarrkonvent Dinslaken am 9. April 2014
I.
Vor drei Jahren regte Rechtsanwalt und Insolvenzberater Dr. Linderhaus im Sozialethischen Ausschuss (SEA) an, sich mit der Frage nach dem Scheitern von Menschen in unternehmerischen Zusammenhängen zu befassen. Seine Beobachtung: Wenn ein Betrieb Pleite geht, bekommen die entlassenen Mitarbeitenden Aufmerksamkeit und Zuspruch. Um die gescheiteren Geschäftsführer, Handwerksmeisterinnen, Prokuristen und Managerinnen kümmert sich dagegen kein Mensch.
Die uralte Teilung in Arbeitgeber und Arbeitnehmende wirkt in unseren Köpfen bis heute weiter. Eine Arbeitsgruppe des SEA hat sich mit dieser Frage beschäftigt und bereits mehrere Tagungen in der Akademie Rheinland organisiert. Im letzten September gab es über meine Beteiligung an einer Tagung auch hier in der Lokalpresse einen Bericht. Nie zuvor bin ich auf einen Artikel so oft angesprochen worden, vielfach von wildfremden Menschen. Gemeinsamer Tenor: Gut, dass da endlich mal jemand hinschaut! So lag es nahe, unsere Schuldnerberatung in den Pfarrkonvent einzuladen. Mit zwei Fragen:
Erstens: Wie sieht das bei uns im Kirchenkreis mit Schulden, Schuldnerinnen und Schuldnern aus?
Zweitens: Begegnen Euch Menschen, die unternehmerisch gescheitert sind und was bedeutet das für uns als Pfarrerinnen und Pfarrer in der Seelsorge?
Darüber werden wir gleich sprechen – doch zuvor möchte ich die Frage umkehren: Wie sieht es mit dem Scheitern von Pfarrerinnen und Pfarrern aus?
Eine heikle Frage, berührt sie doch das Themenfeld Erfolg und Leistung. Da stellen sich bei uns Pfarrersleuten sofort theologischen Fragen. Können wir über Erfolg und Scheitern im Pfarrdienst überhaupt sinnvoll reden, wenn das Ziel all unserer Bemühungen, nämlich Glaube, für uns unverfügbar ist?
„Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.“ (Johannes 3,8) Oder in der BigS: „Die Geistkraft weht, wo sie will, und du hörst ihre Stimme, aber du weißt nicht woher sie kommt und wohin sie geht.“
So weit scheint alles klar.
II.
„… und du hörst sein Sausen wohl, du hörst die Stimme der Geistkraft.“ Eine Hintertür? Von den beobachteten, vielleicht auch nur vermuteten Wirkungen her denken und Erfolg und Scheitern im Pfarramt definieren?
Wir lernen gerade NKF. Da gilt es auf der linken Seite des Haushaltsbuches Ziele zu definieren. Und zwar so, dass sie erreichbar und überprüfbar sind. Doch hilft uns das wirklich weiter? Glaube zu wecken und zu schaffen kann ja kein solches Ziel sein. Und wenn eine Gemeinde als Ziel ausgibt: Den Gottesdienstbesuch um fünfundzwanzig Prozent zu steigern – dann mag dies überprüfbar sein. Aber es sagt nichts darüber aus, ob in gleichem Maße Glauben verstärkt oder geschaffen wurde. So kommen wir nicht weiter.
III.
Ich scheitere vor allem an mir selbst. Bei Erfolg und Scheitern geht es um Dinge, die mir wichtig sind. Welche Ziel will ich erreichen? Wo hänge ich mich mit Herzblut hinein und erhoffe Resonanz, Anerkennung, Wertschätzung?
Ich glaube, dass es uns Pfarrerinnen und Pfarrern leicht fällt, Scheitern zu verdecken und zu verstecken, auch vor uns selbst. Wir stehen selten in direkter Konkurrenz untereinander. Wir werden nicht nach einer wie auch immer definierten Leistung bezahlt. Wenn wir uns mit unseren „Angeboten“ auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten nicht durchsetzen, können wir schnell nach theologischen korrekten „Entschuldigungen“ greifen. Aber wie sieht es in mir aus?
Scheitere ich, wenn zum Familiengottesdienst wieder einmal nur zwei Kinder und sechzig Erwachsene kommen?
Scheitere ich, wenn Menschen sich über mich ärgern und aus der Kirche austreten?
Was ist mir wichtig, woran hängt mein Herz, wo steckt meine Leidenschaft drin – dort tut es weh, wenn ich meine Ziele nicht erreiche. Wir tun tausend Sachen als Pfarrerinnen und Pfarrer, manche gelingen, manche nicht. Aber das Gefühl, zu scheitern, empfinde ich nur bei wenigen Dingen.
Auch größere Zeiträume lassen mich nach Erfolg und Scheitern fragen.
Ich bin im Oktober 25 Jahre in meiner Kirchengemeinde – empfinde ich das in der Rückschau als eine Erfolgsstory oder als eine Geschichte des Scheiterns? An welchen Stellen ist es mir wichtig, wo schaue ich hin, was ist mir im Rückblick wichtig? Wo habe ich das Gefühl, ja, hier hattest du Erfolg, und nein, dort bist du gescheitert oder gar vor die Wand gefahren? Welche Signale empfange ich dazu aus meiner Gemeinde, wie werte ich diese?
Oder unser Superintendent – wie blickt er kurz vor dem Ruhestand auf seine Zeit in der Leitung dieses Kirchenkreises zurück? Herrscht Zufriedenheit über das Geschaffte vor oder das mulmige Gefühl, den Ansprüchen nicht gerecht geworden zu sein, den eigenen und/oder der anderer? Welche Herzensprojekte sind gelungen, welche nicht?
Wenn ich hier bei solch einer Bilanz das Gefühl habe, unter dem Strich bist du gescheitert,oder bei den Bereichen, die mir ganz besonders am Herzen lagen, dann tut das weh.
Theologisch gesehen mag dieses Empfinden noch so unsinnig sein. Auch aus systemischer Sicht, die mir sagt, so einfach lassen sich Ursache und Wirkung doch nicht bestimmen. Doch ich bin als Pfarrerin, als Pfarrer auch Mensch und von daher nehme ich Scheitern persönlich.
Ich setze mich in Strukturdiskussionen für den Erhalt eines bestimmten Arbeitsbereiches ein – und dann bestimmt eine Synode mehrheitlich, diesen nicht weiter zu führen. Gescheitert, alles umsonst?
Ich ackere allein oder mit anderen daran, ein Lieblingsprojekt auf die Beine zu stellen – und dann macht die Nachbargemeinde etwas Ähnliches und mein, unser Projekt scheitert. Alles umsonst?
Ich stecke viel Kraft und Zeit in den Aufbau von veränderten Strukturen oder Einrichtungen ein, das Ergebnis kann sich am Ende sehen lassen – und dann muss ich mit ansehen, wie sich in der Praxis die Struktur nicht bewährt. Alles umsonst?
Scheitern tut weh, auch im Pfarramt. Wo gehen wir hin mit unserem Schmerz, den Schuldgefühlen, der Verzweiflung?
Theologisch gesehen ist Scheitern „einfach“, menschlich schwierig. Weil ich permanent am Bewerten, Vergleichen, Urteilen bin. Und mich schnell in Frage stelle, wenn ein Projekt mit Herzblut scheitert. Dabei muss ich daran gar nicht schuld sein. Nicht nur die Mitgliederbefragung weist immer wieder darauf hin, dass es an vielen Stellen gesellschaftliche Trends gibt, gegen die einzelne Gemeinde oder gar einzelne Pfarrersleute kaum ankommen.
IV.
Und hier ist die Brücke zu vielen, die unternehmerisch scheitern. Natürlich gibt es Fehleinschätzungen, Fehlentscheidungen. Aber viele Unternehmen, viele Unternehmungen scheitern aus Gründen, die nicht in der Person der Unternehmerin liegen. Oft ist es ein Mischmasch aus persönlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Allerdings neigen wir in Deutschland – im Unterschied zu anderen Kulturen und Nationen – dazu, im Fall des Scheiterns vor allem uns selbst die Schuld zu geben. Und wer unter uns scheitert, erlebt ganz oft, dass er von seiner Umgebung so behandelt wird, manchmal wie ein Aussätziger. Das scheint, so sagen mir Fachmenschen, ein typisch deutsches Phänomen zu sein. Ich frage mich, ob unsere fünfhundertjährige Tradition im Umgang mit Schuld und Vergebung in der Nachfolge Martin Luthers mit dazu geführt hat, dass wir Deutsche Scheitern so schnell persönlich nehmen. Sollte diese Vermutung zutreffen, dann wäre zu fragen, was wir hier von anderen Kulturen und Ländern lernen können um Umgang mit Erfolg, Leistung, Scheitern und Versagen. Auch als Pfarrerinnen und Pfarrer.
V.
Scheitern ist ein Thema, über das nicht gerne gesprochen wird. Für den amerikanischen Soziologen Richard Sennet ist es gar das „große moderne Tabu“. Umgekehrt meint der katholische Theologe Herbert Frohnhofen, dass die Erfahrung des Scheiterns eines der Grundthemen, „wenn nicht gar das Grundthema der Bibel und damit jüdisch-christlicher Lebensdeutung (ist). Dabei wird das Scheitern des Lebens bzw. im Leben beileibe nicht als Ausnahme, sondern (…) faktisch eher als Normalfall wahrgenommen und gedeutet.“
Gründe genug, sich damit zu befassen, jede und jeder ganz individuell und auch gemeinsam. Letzteres wollen wir heute Vormittag tun.
Amen.
Literatur:
-
Herbert Frohnhofen: Scheitern als Herausforderung. Thesen zur Lebensdeutung aus philosophischer und jüdisch-christlicher Sicht
( http://www.theologie-beitraege.de/scheitern.pdf ) -
Susanne Zehetbaur: Scheitern.
( http://engagiert.de/no_cache/engagiert-archiv/2012-11-single/article/scheitern.html ) -
„Wenn Angst die Seele frisst …“ Das Risiko beruflichen Scheiterns als Herausforderung für Einzelne und für die Unternehmenskultur. Tagung der Evangelischen Akademie Rheinland, Bonn, 27. – 28.9.2013. epd-Dokumentation 8/2014. Darin u.a.:
-
Matthias Jung: Scheitern. Mitleiden. Klagen.
(Ursprünglich veröffentlicht unter:
https://blogmatthiasjung.wordpress.com/2012/11/21/scheitern-mitleiden-klagen/ )
Pingback: Scheitern. Ein Querschnittsthema – bilder und gedanken
Pingback: (Mein) Lebenslauf des Scheiterns | matthias jung
Pingback: FuckUp Night – oder auch: Vom Umgang mit unternehmerischem Scheitern | neubegehren entfacht das feuer