In dieser Woche habe ich die Website der Kirchengemeinde »entrümpelt« und bin dabei auf manch altes Schätzchen gestoßen. Unter anderem auch auf einen Bericht über die »Cybertaufe«, die ich 1999 gemacht habe. (Bericht von der Cybertaufe)
Die Geschichte ist jetzt bald 14 Jahre her und stammt aus der Frühzeit des Internets. Ein Jahr zuvor waren wir in Götterswickerhamm mit einer Gemeindehomepage online gegangen, das war den Zeitungen ein Riesenartikel wert, weil wir weit und breit die erste Kirchengemeinde mit einer Website waren.
Über eine Verwechslung lernte ich damals übers Netz meinen Namensvetter kennen. Dessen Freundin war ungetauft, und es kam, wie zu vermuten ist. Nach einer Weile setzten die beiden sich in Thüringen ins Auto, fuhren einmal quer durch die Republik und Heike wurde in Voerde getauft. Zusammen mit drei weiteren Menschenkindern, auch da ungewöhnliche Lebenswege im Hintergrund, alles nachzulesen auf der Website der Kirchengemeinde. Das Lokalradio berichtete, die Zeitungen sowieso. Vierzehn Jahre sind ins Land gezogen, der damalige Säugling wird in diesem Jahr konfirmiert und die Welt hat sich verändert durch die virtuellen Möglichkeiten.
Cybvertaufe – so ein Begriff würde heute keinem mehr einfallen in einer Zeit, in der Singlebörsen im Netz boomen. (Ja, ich habe auch schon kirchliche Hochzeiten gefeiert mit Paaren, die sich übers Netz kennengelernt haben. Kein Thema mehr.) So eine Geschichte würde heute kein Aufsehen mehr erregen.
»Damals« waren Heike und ihr Freund froh, einen Pastor zu finden, der die Taufe durchführt. »Damals« bekam ich auch als im Netz präsenter Gemeindepfarrer seelsorgerliche Anfragen aus ganz Deutschland, zu unterschiedlichsten Fragen. Kommt heute so gut wie nicht mehr vor. Bald jede Gemeinde ist im Netz, es gibt Chatseelsorge, Info´s per Mail und Facebook und Twitter. 1999 hatte ich noch nicht mal ein Handy.
»Damals« erzählten wir mit der Cybertaufe eine Geschichte von den überraschenden Möglichkeiten des Internets auch für die Kirche. Und ich fand es spannend, diese Geschichte mit zu erzählen.
»Damals« hatte ich das Gefühl, das Internet wird unser Leben verändern und wir als Kirchenleute und Christenmenschen tun gut daran, diesen Quantensprung der Kommunikation nicht zu verschlafen. Und so schaue ich mir die alten Bilder an und Frage mich, wo müssten wir eigentlich heute ran? An welcher Geschichte möchte ich heute mitschreiben?
Ich finde es mittlerweile viel schwieriger, diese Frage zu beantworten. »Damals« war klar, Email wird kommen und die Schneckenpost ablösen und neben dem Gemeindebrief ist so eine Homepage eine Art zweites Schaufenster für die Gemeinde. Die Entgrenzung der Kommunikation in den letzten Jahren (Web 2.0/Social Media) hat das alles noch mal gesprengt und die Entwicklung geht in die Breite.
– 1999 schien mir Thüringen weit weg zu sein, heute sage ich mir, ach, da kann man doch locker an einem Wochenende hin und zurück fahren. Mein Gefühl sagt mir, dass Räume zusammenrücken. Die Bereitschaft, sich irgendwohin zu einem »Event« auf den Weg zu machen, steigt. Und die Entfernungen, die ich bereit bin dafür zu überwinden, nehme ich als nicht mehr so weit wahr. Was bedeutet das für die kirchliche Arbeit, in der Fläche und vor Ort? Wie sieht es da aus um das Zusammengehörigkeitsgefühl von Gemeinden »vor Ort«?
– Ich hab seit ein paar Tagen ein neues Smartphone, weil das alte seinen Geist aufgegeben hat. Ich stelle erstaunt fest, was auch so ein 100 €-Teil mittlerweile drauf hat. Es hat eine Barcodescanner und es hat heute früh keine fünf Minuten gedauert, über Netz ein Programm zu finden und mit dessen Hilfe diesen Code zu erstellen. Wer neugierig ist, kann ja gucken, wohin das führt 😉
Das Gefühl, ständig im Netz zu sein, ständig online zu sein, verändert das Lebensgefühl. Um die »natürliche« Welt weitet sich »neuerdings« eine virtuelle Welt, unsichtbar und doch präsent. Ich kann mich da ständig einklinken, oder auch ausklinken. Hat so was von der Vorstellung von Heiligem Geist, der mich, uns umgibt. Natürlich weht und wirkt der, wann er will. Aber »da« ist er immer. Und dann frage ich mich, wie verändert diese virtuelle neue Welt die Sicht auf biblische Texte? Welche Geschichten sprechen neu oder anders aufgrund der virtuellen Erfahrungen? Wird nicht zB die Schöpfungsgeschichte von junge Leute heute ganz anders aufgenommen und eingeordnet als ich das als Jugendlicher erfahren habe? Weil die Spielehersteller Jahr für Jahr neue kreative und zugleich interaktive Welten »schaffen«, und mehr und mehr auch so, dass ich mit-schaffend tätig sein kann? In der Systematischen Theologie gibt es den Begriff des »Co-Creators« für den Menschen neben dem göttlichen Kreator. Und wie geht das weiter, wenn 3D nicht nur im Kino, sondern auch in den »alltäglichen« virtuellen Umgebungen mehr und mehr zur Normalität werden wird…?
– Ganz praktisch frage ich mich für Kirche: Bald wird es soweit sein, dass TV und Internet endgültig zusammen gewachsen sind. Spätestens dann, wenn Opa Müller und Tante Erna mit der Fernbedienung Netzseiten aufrufen können (vielleicht geht das auch schon…?), spätestens dann wird die Übertragung von Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen über Stream anfangen, Realität und Normalität zu werden. Und dann werde ich mich über Google Earth am Sonntag Vormittag in Millionen von Gottesdiensten weltweit einklinken können. Da stehen wir heute vielleicht da, wo wir 1995 standen und aufs Internet schauten. Da waren viele, auch ich fasziniert von den Möglichkeiten, die sich auftaten und die wir erahnten. Die Einbahnstraßenkommunikation des Web 1.0 hat Kirche allerdings wenig tiefgreifend verändert. Die nächste Stufe von Social Media, die permanente Verbindung mit dem Netz, wird dann vermutlich die Teilnahme von Menschen an Gottesdiensten usw. nachhaltig verändern. Es geht nicht um das Wollen dabei, wir werden das nicht verhindern können (und auch gar nicht wollen, oder?), sondern um das Wie. Und wir haben das nicht im Blick, wenn wir über Ressourcenverteilung nachdenken. Die ganzen digitalen Geschichten spielen kaum eine Rolle im kirchlichen Kontexten bei der Zukunftsplanung von Stellen, Gebäuden, Zuständigkeiten und Verteilungsfragen.
– Und dann frage ich mich, was denn eigentlich Seelsorge in der »realen« Welt zukünftig bedeutet. Nicht: »noch« bedeutet. Eventuell erlebt sie eine ungeahnte Renaissance? Weil durch das Hin- und Her zweier selbstverständlich nebeneinander und miteinander existierender Welten auch die Kohlenstoffwelt bewusster wieder wahrgenommen wird als heute? Vielleicht ist das sogar eine Chance für die parochiale Struktur der Gemeinden.
Fragen über Fragen. Ich merke jedenfalls wieder, das ist alles ganz spannend. Und ich erzähle gerne mit, wenn es um neue Geschichten geht.
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