Predigtvorbereitung „mit was auf die Ohren“

In der letzten Woche habe ich zusammen mit Birgit Mattausch im Michaeliskloster in Hildesheim einen Predigtworkshop geleitet, unter der Überschrift: „Politisch prophetisch poetisch predigen“.

Dabei habe wir eine Übung eingesetzt, die sehr gut bei den Teilnehmer*innen ankam. Birgit als Expertin für kreative Schreibmethoden ist der Meinung, dass wir dieses Tool „erfunden“ haben. Daher lohnt es vielleicht, wenn ich die Übung kurz beschreibe. Denn sie ist einfach und daher leicht in die eigene Predigtmediation zu integrieren.

Wir haben mit prophetischen Texten aus der hebräischen Bibel gearbeitet. Drei haben wir ausgewählt, und zwar in der Übersetzung von Martin Buber. Die Teilnehmer*innen zogen je einen Text. Anschließend hat jede und jeder den Text laut gesprochen und dabei als Sprachmemo auf dem Handy aufgezeichnet.

Anschließend ging die Gruppe in die große, zum Kloster gehörige romanische Michaeliskirche und hat sich dort den aufgenommenen Text wieder und wieder angehört – mit den entsprechenden Ohrhörern. Die Aufgabe lautete: Wie hört sich der Text an, während ihr durch eine euch unbekannte Kirche wandert? 

Anschließend hatten die Teilnehmer*innen Zeit, in die Stadt zu gehen und dabei weiter den Bibeltext zu hören. Was fällt ins Auge? Wie verbindet sich Wörter mit dem, was ich sehe? Wie hört sich Jesaja oder Ezechiel an der Bushaltestelle, in der Fußgängerzone, im Einkaufszentrum an? Und schreibt einen kleinen Text dazu.

Birgit und ich waren sehr gespannt, was die Teilnehmer*innen anschließend berichten. Die Rückmeldungen waren überaus positiv. Gerade die sperrige Buberübersetzung erschloss sich erst nach und nach durch das immer wieder neue Hören. Plötzlich tauchten Einfälle auf, Beobachtungen. Der Text wurde vertrauter, die Umgebung gleichzeitig fremder.

Das spiegelte sich in den kleinen Textsequenzen – und auch in der Predigtschreibphase am nächsten Tag fanden bestimmte Beobachtungen Eingang in die Entwürfe, obwohl es da um ganz andere biblische Texte ging.

Natürlich kam uns entgegen, dass sich alle in einer für sie fremden Stadt bewegten. „Ich kann mir nicht vorstellen, mit Ohrhörern durch mein Dorf zu gehen, da würden die Leute komisch gucken“, sagte ein Teilnehmer. Oder: „Ich habe mich gefragt, was die Leute hier an der Haltestelle sagen würden, wenn sie wüßten, was ich gerade höre.“ Eine andere Teilnehmerin „experimentierte“ eine Weile damit, dass sie nur auf einem Ohr den Bibeltext hörte und mit der anderen den Geräuschen aus der Umgebung lauschte.

Wären die Effekte genauso gewesen, wenn wir die Texte in der Lutherübersetzung gesprochen hätten? Oder wenn wir die Texte nicht selbst aufgenommen hätten? Beide Antworten: ja. Allerdings schmälert das die Grunderfahrung nicht: Den Text, über den ich demnächst in der Regel in einem Kirchraum predige, mir in einer Dauerschleife anzuhören und mich dabei an Orte aus dem Nahraum zu begeben, idealerweise aus meinem direkten Umfeld – aber warum nicht auch im Wald, im Nachbarort? 

Und ich glaube, es ist eine besondere Erfahrung, die eigene Stimme zu hören. Auch mit den kleinen Stolperern oder Fehlern, die beim Lesen geschehen. So ist die Aufnahme nicht so „perfekt“ wie bei einem professionellen Einlesen.

Übereinstimmend sagten alle Teilnehmer*innen: Es passiert etwas, wenn es in der Predigtvorbereitung „etwas auf die Ohren gibt“. Probieren Sie, probiert es doch mal aus!

 

 

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