Von der Predigt gibt es auch einen Mittschnitt (vielen Dank an das Team in der Pauluskirche!):
Tonaufnahme der Predigt in der Pauluskirche Osnabrück am 16. August 2015
Wir sind es gewohnt, zu arbeiten.
Die Hände in den Schoss zu legen liegt uns nicht im Blut.
Wer rastet, der rostet.
So lautet ein Sprichwort, dass die Älteren unter uns sicher noch kennen.
Im Tun sind wir gut.
Mit dem Lassen tun wir uns dagegen schwer.
Klar, man kann auch mal ausspannen.
Ein Sonntagnachmittag mit der Familie.
Ein Biergartenbesuch mit Freundinnen.
Ein paar Tage am Strand in der Sonne liegen.
Körper und Geist brauchen ja Erholung.
Um wieder fit zu werden.
In einem Lied im Gesangbuch (EG 163) – wir singen es noch – heißt es:
„Unsern Ausgang segne Gott,
unsern Eingang gleichermaßen,
segne unser täglich Brot,
segne unser Tun und Lassen,
segne uns mit selgem Sterben
und mach uns zu Himmelserben!“
Gott segne unser Tun und Lassen.
Den ersten Teil verstehe ich gut.
Gott segne unser Tun.
Es liegt nicht allein bei mir, ob Gutes aus meinem Tun erwächst.
Manche Folgen sind nicht absehbar.
Unvorhergesehenes kann immer dazwischen kommen.
Gott segne mein Tun –
das ist ein Wunsch, eine Hoffnung.
Ich weiß, der Erfolg meines Tuns liebt beileibe nicht immer in meiner Hand.
So sehr ich mir das wünsche.
Aber Gott segne mein Lassen?!
Er segne, dass ich dies oder jenes nicht tue?!
Ich spüre ein Grummeln in mir, wenn ich diesen Satz höre.
Etwas lassen müssen ist nicht schön.
Es tut weh.
Mir fallen dabei sofort Menschen ein, die ich in der Gemeinde besucht habe.
Es waren meist ältere Frauen, weit über achtzig.
Sie waren es gewohnt, ihr Leben lang zu arbeiten.
Nun konnten sie es nicht mehr.
Vielleicht machen die Augen nicht mehr mit.
Oder die Hände.
Viel Wehmut lag in ihren Stimmen.
Den ganzen Tag nur im Sessel sitzen, todlangweilig.
Wozu bin ich noch da, wenn ich nichts mehr tun kann?
Gott segne mein Lassen – das wäre kaum einer über die Lippen gekommen.
Oder ich denke an Menschen, die ihre Arbeit verloren haben.
Weil sie nicht mehr gebraucht wurden.
Zu alt, zu ungebildet, zu langsam.
Oder einfach nicht so leistungsstark wie eine Maschine.
Die 24 Stunden rund um die Uhr „arbeiten“ kann.
Gott segne dein Lassen – klingt das nicht wie Hohn in den Ohren von Erwerbslosen?
Oder für junge Menschen ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt?
Und doch ist ein Widerhaken in dem Satz.
Ich ahne, Gott segne mein Lassen, da ist etwas Wahres dran.
Ich überlege noch mal.
Etwas lassen können.
Etwas gut sein lassen können.
Etwas loslassen können.
Es anderen überlassen.
Es aus der Hand geben.
Die Kontrolle darüber verlieren
Es liegt dann nicht mehr in meiner Macht.
Wo ich doch ungern von anderen abhängig bin.
Niemand zur Last fallen will.
Tief sitzt das drin.
Wie oft habe ich von älteren Gemeindegliedern gehört:
Meine Familie, die haben alle so viel zu tun.
Lieber verzichte ich darauf, dass sie mich zum Seniorenkreis fahren.
Und von anderen aus der Gemeinde abgeholt zu werden, nein, das geht ja gar nicht.
Die jüngere Generation kennt das Gefühl auch.
Ich muss ständig erreichbar sein.
Also checke ich auch am Wochenende meine Mails.
Ich könnte etwas verpassen oder übersehen.
Und abgehängt werden.
Eine andere, ein anderer könnte schneller sein.
Oder besser.
Wer rastet, der rostet.
Das Sprichwort hat viele Facetten.
Gott segne mein Lassen, das macht mir erst mal Bauchschmerzen.
Ich könnte den Anschluss verlieren.
Und was sagen die anderen?
Wenn ich etwas nicht mehr tue, freiwillig etwas sein lasse?
Bei diesem Gedanken kriecht die Angst in mir hoch.
Gott segne mein Lassen.
Er segne das, was ich nicht tue.
Nicht mehr tue.
Oder von vornherein nicht tue.
Puh, erst mal tief durchatmen.
Und dann denke ich aber:
Wer nicht lassen kann, fällt irgendwann ins Burnout.
Oder erleidet vielleicht einen Herzinfarkt.
Oder wird einsam.
Denn das rastlose Tun schreckt andere ab.
Wenn ich das akzeptiere, dann wird mir klar:
Im Lassen liegt die Kraft der Kreativität.
Und die der Verwandlung.
Meine Hände können nicht mehr oder die Augen?
Aber ich kann erzählen.
Oder stumm dabei sitzen, zuhören.
Das ist nicht leicht.
Für mich, denn ich weiß es gibt noch so viel Sinnvolles zu tun.
Für die Seniorin, die in ihrem Stuhl aus dem Fenster schaut.
Für den sich um seinen Job Ängstigende.
Für die Erwerbslose, den Erwerbslosen.
Gott segne mein Lassen – ja, was passiert denn dann?!
Mit mir, an mir und durch mich erst mal nichts mehr, oder?
Segen, das ist mehr als ein guter Wunsch.
Da liegt Macht drin.
Gesegnet werden ist eine Erlaubnis, eine Verheißung.
Ein Ansage mit Wirkung.
Die Kraft des Segnens verstehe ich vielleicht leichter, wenn ich erst mal vom Gegenteil ausgehe.
Vom Fluchen.
Da liegt ein Fluch drauf.
Was für ein furchtbarer Satz.
Da geht etwas schief, immer wieder, trotz aller Bemühungen.
Es ist unheimlich, man kann machen was man will.
Wir verfluchen nur ganz selten.
Da, wo es dennoch geschieht, spüren wir die zerstörerische Wirkung.
Das ist auch eine Ansage mit Wirkung.
Der oder die Verfluchte wird in eine Ecke geschoben, vielleicht ausgestoßen.
Es wird eine unheilvolle Wirkung ausgelöst.
Ich ahne die Macht, die sich mit dem Fluch verbindet.
Und ich meine jetzt nicht diese dummen Sprüche, die zum Spannungsabbau dienen.
Wie:
„Verdammt noch mal!“
„Verflixt und zugenäht!“
Das ist eher harmlos.
Dagegen:
„Du sollst verflucht sein!“
„Ich verdamme dich!“
Oder auch:
„Gott soll dich verfluchen!“
Spüren Sie den Unterschied?
Gesegnet wird mehr und öfter, Gott sei Dank!
In jedem Gottesdienst.
In vielen Gesprächen am Krankenbett.
Im Gottesdienst zum Schulanfang und im Reisesegen vor dem Urlaub.
Bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen.
Wir setzen darauf, dass mit dem Segen etwas geschieht.
Ich stelle mich bewusst in Gottes Macht-Bereich.
Ich hoffe, dass sein Geist wirkt.
An mir, mit mir, durch mich.
Gott segne also unser Tun und unser Lassen.
Dass er unsere Arbeit segnet, segnen möge, okay.
Gut, wenn er an mir und mit mir und durch mein Tun wirkt.
Aber durch mein Lassen?
Hm.
Alles ist Gnade, alles ist Geschenk, dieses Leben.
Dass ich vieles tun kann, ist Geschenk.
Aber es ist auch ein Geschenk, Dinge lassen zu können.
Es befreit.
Mich und vielleicht auch andere.
Segnen stellt meine Füße auf weiten Raum.
Im Segen Gottes lasse ich beides an mir geschehen:
Tun und lassen können.
Tun und lassen dürfen.
Segen heißt, ich erwarte Gutes, trotz allem.
Segen ist nicht ein Einverstandensein mit allem und jedem.
Manches führt nicht zum Guten, sondern zum Schlechten.
An den Segen glauben heißt nicht, das alles, was geschieht, gut und richtig ist.
Gott segne unser Tun und Lassen – das heißt auf keinen Fall Ja und Amen zu allem und jedem sagen.
Auf keinen Fall.
An die Kraft des Segens glauben heißt daher auch:
Widerstand leisten.
Kraft zum Widerstehen erhalten.
Überall dort, wo Leben, wo gutes Leben bedroht ist.
Und das ist es, an vielen Stellen in dieser Welt.
Bleibt die Frage:
Was soll ich nun tun?
Und vor allem, was soll ich lassen?
So ganz konkret, damit es auch gesegnet sei?
Ich glaube:
Wenn ich ehrlich in mich hineinhöre –
dann weiß ich meist ganz genau, was zu tun ist.
Oder zu lassen.
Gott segne all mein Tun.
Gutes möge daraus entstehen, für mich und andere.
Gott gebe mir die Freiheit, Dinge tun zu können.
Und er schenke mir Gelassenheit, in all meinem Tun.
Er weite meinen Blick.
Für Anfang und Ende.
Vor allem für meine Mitmenschen.
Er wirke in mir die Zuversicht, das mein Tun gute Folgen hat.
Auch wenn ich sie nicht immer sehen kann.
Gott segne aber auch mein Lassen.
Gutes möge daraus entstehen, für mich und andere.
Gott gebe mir die Freiheit, Dinge lassen zu können.
Und er schenke mir Ge-Lassen-Heit, in all meinem Lassen.
Er weite meinen Blick.
Für Anfang und Ende.
Vor allem für meine Mitmenschen.
Er wirke in mir die Zuversicht, das mein Lassen gute Folgen hat.
Auch wenn ich sie nicht immer sehen kann.
Gott segne unser Tun und Lassen.
Amen.
Passend dazu habe ich ein schönes Zitat von Ina Prätorius gefunden aus „Der besondere Text“:
„Machen macht müde
Warten schenkt Wachheit:
genau so viel Geistesgegenwart,
wie jetzt nötig ist,
bis zum nächsten Loslassen.“
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