Am letzten Wochenende während der intensiven Jahrestagung der »Offenen MentorInnen Akademie der Neuen Arbeit« in Freiburg hatte ich zum ersten Mal seit Abschluss meiner Dissertation den Eindruck, dass eine wesentliche inhaltliche Veränderung sinnvoll sein könnte.
In »Entgrenzung und Begrenzung von Arbeit« habe ich dargestellt, dass Arbeit heute aufgrund vielfältigster Veränderungen nicht mehr definierbar ist. Ich schlage daher vor, »Arbeit« in der Gegenwart in ihrer Vielfalt unter drei Dimensionen zu betrachten, zu beschreiben und zu bewerten: Lebensunterhalt, Lebensfülle und Lebensausdruck (S. 117-128).
Die beiden erstgenannten Dimensionen liegen dabei auf einer Achse. Lebensunterhalt richtet den Blick auf das Notwendige, Lebensfülle stellt die Frage nach dem Genug (an Gütern, aber auch an »Arbeit«). Es gibt eine Grenze, unter derer Menschen nicht menschenwürdig leben können, und es gibt nach oben eine Grenze, oberhalb derer Menschen mit ihrem – erarbeiteten, ererbten – Reichtum nichts mehr wirklich anfangen können.
Die Dimension Lebensausdruck liegt dazu »quer«, sie nimmt auf, dass Arbeit etwas mit meiner Person zu tun hat, meinen Stärken, Fähigkeiten, Begabungen usw.
Die Frage nach der Lust am und im Arbeiten, nach der Motivation zu und in der Arbeit habe ich seinerzeit nicht als eigene Dimension gesehen, sondern unter der Überschrift »Reflexion lustfördernder Arbeitsbedingungen« im zweiten Teil meiner Untersuchung behandelt (S. 272ff.).
Mittlerweile glaube ich aber, dass es hilfreich ist, auch die Lebensfreude als eigene Dimension zu betrachten und zwar als »Gegenüber« des Lebensausdrucks.
Im Spaß an und in der Arbeit, an der Lust am Arbeiten, in der Freude am Tätigsein leuchtet etwas auf, was Lebensausdruck nicht abdecken kann. Lebensfreude stellt die Frage nach der Motivation, nach dem Wofür, nach dem Sinn des Arbeitens und zwar schärfer als ich sie bislang im Lebensausdruck verortet habe. Wo erlebe ich intensive Freude in der Arbeit? Wenn ich zum einen ganz dabei bin, mich aber zugleich in einem Kontext auf ein Ziel hin ausrichten kann, wenn ich das Gefühl habe, am rechten Ort zu sein.
Diese Zuspitzung wurde durch folgende Beobachtung ausgelöst. Es kann sein, dass ich – um es mit Frithjof Bergmann zu sagen – sehr wohl weiß, welche Arbeit ich »wirklich, wirklich will«, dass mir aber zugleich der Kontext, in dem ich mich gerade bewege verwehrt, so tätig sein zu können. Warum auch immer. Hier geht die Lebensfreude am und im Arbeiten verloren, weil ich nicht so kann, wie ich wirklich will – und so in langweiligen oder entfremdeten Arbeitssituationen gefangen bin oder auch gar keine Arbeit ausüben kann (z.B. durch Krankheit). All dies gilt keineswegs nur für die Erwerbsarbeit, sondern auch für Hausarbeit, Familienarbeit, Eigenarbeit, ehrenamtliche Arbeit usw.
Lebensunterhalt und Lebensfülle gehören dabei wie oben bereits ausgeführt zusammen. Sie nehmen die Losung des Evangelischen Kirchentags 2013 »soviel du brauchst« auf (Exodus 16,11-18), die hier gut geeignet ist, weil sie sowohl als Feststellung als auch als Aufforderung gelesen und verstanden werden kann.
Parallel passt für das andere Dimensionenpaar die Aussage: »soviel du kannst«, die ebenso im Indikativ als auch im Imperativ gehört werden kann.
Soviel du kannst, sollst du, darfst du dich in deiner Arbeit ausdrücken (können) mit deiner Person, und soviel du kannst, sollst du, darfst du darin mit Lebensfreude tätig sein.
Somit ergibt sich folgendes Schema:
Lebensunterhalt und Lebensfülle –
aufgespannt zwischen soviel du brauchst.
Lebensausdruck und Lebensfreude –
aufgespannt zwischen: soviel du kannst.
Das innere Ziel der gesamten Arbeit – keineswegs nur der Erwerbsarbeit! – ist »das gute Leben aller« (Vgl. S. 230).
(Grafisch dargestellt ergibt sich eine Kugel – »das gute Leben«, die durch die beiden Achsen »soviel du brauchst« und »soviel du kannst« aufgespannt wird.)
Diese vier Dimensionen von Arbeit sind nicht so zu denken, dass sie immer und in jeder Tätigkeit vorkommen müssen, damit es sich um Arbeit im vollständigen Sinn handelt. Es ist eine idealtypische Darstellung, die hilft, Tätigkeiten zu bewerten und zugleich Zielsetzungen anzugeben. Menschen brauchen Lebensunterhalt. Lebensfülle zu erleben und mitzugestalten ist genauso so sinnvoll und notwendig, aber nur bis zu einer bestimmten Grenze. Arbeit gelingt im Blick auf das gute Leben aller am Besten, wenn ich mich in meiner Arbeit ausdrücken kann und Freude dabei empfinde. Dennoch ist klar unter den Bedingungen unserer Welt, dass dies nicht jederzeit alles vollgültig zu verwirklichen ist. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn Menschen dauerhaft eine oder mehrere dieser Dimensionen nicht ausleben oder erleben können, dann ist im christlichen Sinn Arbeit nicht vollständig.
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