Wo ist Heimat? – Andacht im Pfarrkonvent

Wo ist Heimat?

Ist Heimat dort wo ich geboren bin? In dem Haus, dem Ort, dem Landstrich?
Ist Heimat dort, wo ich zuhause bin? Wo ich heute wohne, in dem Haus, dem Ort, dem Landstrich?
Ist Heimat dort, wo ich mich vertraut fühle, mit einem Haus, einem Ort, dem Landstrich?
Ist Heimat dort, wo Menschen sind, denen ich mich zugehörig fühle? Oder verbunden? Oder verpflichtet?

Wo ist Heimat?

Hier am Niederrhein leben viele Menschen, die nach dem Krieg ihre Heimat verlassen haben. Ich habe mich gefragt, würde ich ähnlich empfinden wie sie, wenn ich – ja, was eigentlich verlassen müsste, vertrieben würde? Aus dem Haus, dem Wohnort, der Region, dem Land, dem Erdteil? Es wäre sicher furchtbar – aber würde ich davon sprechen, dass ich grade meine Heimat verliere und verlassen muss?

Wo ist Heimat?

Biblisch gesehen ist das einfach:
Unsere Heimat ist im Himmel (Philipper 3,20). So die ältere Lutherübersetzung.
Genauer hingeschaut dann doch wieder nicht.
Luther 1984 übersetzt: Unser Bürgerrecht ist im Himmel
BigS: Wir aber sind Bürgerinnen und Bürger einer himmlischen Gemeinschaft.
(Für die Theolog/inn/en: ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει. Heimat?)
Also, Heimat ist doch wohl etwas anderes als Bürgerinnen- und Bürgerrechte.

Wo ist Heimat?

Die evangelische Kirche in der Pfalz nimmt diesen Begriff seit einigen Jahren auf. Alexander Ebel, persönlicher Referent des Kirchenpräsidenten, hat am Freitag auf dem pfälzer Kirchenblog dazu geschrieben:

»Unter dem Motto ›Heimat | Kirche | Pfalz‹ erscheinen seit 2009 jährlich vier neue Plakat- und Postkartenmotive: zwei mit pfälzisch-regionalem Bezug, zwei mit Bezug zum jeweils aktuellen Themenjahr der EKD-Reformationsdekade. (…) Auf allen Motiven ist unsere eigens produzierte (…) Kirchenbank zu sehen, die aber eben gerade nicht in der Kirche steht, sondern überall dort, wo ›Kirche in der Welt‹ ist.«

(“aha…” Heimat unser im Himmel. Und also auch auf Erden?)

Die vier Sätze für 2013 lauten:
Heimat ist, wo du dich frei bekennen kannst.
Heimat ist, wo Versöhnung geschieht.
Heimat ist, wo du der Stadt Bestes suchst.
Heimat ist, wo du niemals alleine gehst.

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Gerade das letzte Motiv sorgte für ein gewisses Aufsehen, denn die Kirchenbank stand auf dem Betzenberg in Kaiserslautern und der Satz spielt natürlich an auf den Song »You´ll never walk alone«.
Allerdings fällt auf, dass auf keinem Foto Menschen zu sehen sind. Dafür hat es auch Kritik gegeben. Noch mal Alexander Ebel:

»Der naheliegende Ulk ›Sehr realistisch; alles genauso leer wie die Kirchen‹ wird gleich doppelt gebrochen: zum Einen ist nicht nur die Kirchenbank leer, sondern auch die Welt, in der sie steht; zum Anderen weisen ›Requisiten‹ (ein Rucksack, ein Korb mit Obst, Trikots, Spielsachen …) darauf hin, dass Menschen ganz in der Nähe sind, nur mal kurz weg, bald wieder da. Sie müssen und werden ihre ›Heimat‹ mit Leben füllen.
Und wir bieten Definitionen an, aber nicht nur eine, sondern viele: ›Heimat ist, wo …‹ sind alle Motive überschrieben, und die Formulierungen zeigen nicht nur die schillernde Vielfalt des ›Heimat‹-Begriffs, sondern bringen immer noch eine zweite Ebene mit, bieten eine Offenheit über die Kirche und die Pfalz hinaus.«

Wo ist Heimat?

Ich gestehe, dass ich mich schwer tue mit dem Heimatbegriff. Meine eingangs gestellten Fragen beantworte ich alle mit »nein«. Alle.

Aber die Doppeldeutigkeit der Sätze aus der Pfalz regt mich an. Heimat ist kaum in Worte zu fassen, Heimat hat mit Gefühlen zu tun.
Mit dem Gefühl, dazuzugehören.
Zuhause zu sein.
Angekommen zu sein.
Verwurzelt zu sein.
Das spiegelt sich auch in den Motiven wieder, welche die Pfälzer ausgewählt haben. Zugleich verweisen die Sätze über diese Welt hinaus. Sie brechen den »weltlichen« Heimatbegriff. Heimat wird transparent für eine andere Wirklichkeit. Das hat meine Phantasie angeregt. Ich fing an, nach weiteren Sätzen zu suchen. Und je mehr ich fand, desto mehr erschloss sich mir der Sinn der pfälzer Plakataktion.

Wo ist Heimat?

Heimat ist, wo du dich geliebt fühlst.
Heimat ist, wo du aufrecht gehen darfst.
Heimat ist, wo Kinder sein dürfen.
Heimat ist, wo mir auf Augenhöhe begegnet wird.
Heimat ist, wo nicht weg geschaut wird.
Heimat ist, wo geteilt wird.
Heimat ist, wo der Morgen nicht fern vom Abend ist.
Heimat ist, wo Erde Frucht bringt.
Heimat ist, wo ich mit offenen Armen empfangen werde.
Heimat ist, wo du glauben darfst.
Heimat ist, wo Brot und Wein auf dem Tisch stehen.
Heimat ist, wo Zukunft gesucht wird.
Heimat ist, wo deine Faust sich öffnet.
Heimat ist, wo ich begeistert bin.
Heimat ist, wo du (F)feste feiern kannst.
Heimat ist, wo nicht Mann, nicht Frau ist.
Heimat ist, wo deine Tränen getrocknet werden.
Heimat ist, wo ich frei machen kann.
Heimat ist, wo du ein offenes Ohr findest.
Heimat ist, wo ich über Mauern springen kann.
Heimat ist, wo der Himmel auf Erden ist.

Amen.

5 Gedanken zu “Wo ist Heimat? – Andacht im Pfarrkonvent

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  3. Pingback: “mmh…” Heimat – kuckucksuhrig, krachledern, kirchlich? | protestantisch pfälzisch profiliert

  4. Alexander Ebel

    Und noch viel mehr wunderbare „Heimat ist, wo“-Slogans! Ganz herzlichen Dank fürs Sich-Anregen-Lassen, Weiterdenken und Weiterführen. Schön, wenn Gebloggtes solcherart Intertextualität erzeugt. Und ich werde mir wohl meinerseits ein paar Absätze leihen für die nächste Hausandacht im Speyerer Landeskirchenrat …
    Exakt „Heimat ist, wo du Feste feiern kannst“ hatten wir übrigens schon 2012 (vgl. http://bit.ly/HKP_Wurstmarkt) – dafür gibt’s also kein Honorar mehr 😉
    Gab’s im Pfarrkonvent denn Reaktionen?

    @Bundesbedenkenträger: „Wozu betonen oder herausstellen“ – die Initiative ist in gewisser Weise auch eine lockere Weiterführung unserer Kircheneintrittskampagne ab 2005. So verstanden, richtet sie sich (auch) an Menschen, die „vergessen“ haben, dass Kirche Heimat sein kann. – In Verbindung mit der Plakataktion mal direkt zu fragen: „Ist Kirche für Sie persönlich Heimat? Warum?“, halte ich übrigens durchaus für denkbar. Werde die Idee mal in meinem Herzen bewegen und weitertragen …

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  5. Bundesbedenkenträger

    Ja, Betze ist schon auch Heimat. Genauso wie die Leute, genauso wie der Landstrich. Das ist ja auch alles immer zusammen. Würde es auseinandergerissen, dann würde schon was fehlen, das richtige Heimatgefühl käme so nicht auf. Zumindest anfangs nicht. Ich habe aber erlebt, das stelt sich ein. Im Studium hab ich einige Städte durchgemacht, und die Erfahrung gemacht, daß man sich nach ner Weile auch daheim fühlt, auch ohne Familie und FCK. Selbst an die lutherische Liturgie kann man sich gewöhnen.
    Mit der Plakataktion bin ich nie warm geworden. Auch wenn Kirche Heimat ist, was für die Pfalz sichr für mehr Menschen gilt als an meinem derzeitigen Studienort Greifswald, frag ich mich, wozu man das betonen oder herausstellen muß. Inzwischen frag ich mich, ob es vielleicht mal lohnend wäre zu überlegen, wieso Kirche Heimat ist. Bei einer Plakataktion würde man das den Leuten aber unterstellen, auch denjenigen, die mit Kirch gar nix am Hut haben. Und so ne Aktion würde dann wohl nach hinten losgehen.

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