Ein paar Gedanken, nachdem ich den ganzen Tag schon über den Beitrag von Ralf-Peter Reimann nachgedacht habe…
1. Die theologischen Fragen sind schon wichtig. Wann ist das Abendmahl »vollgültig«, wann ist es »richtig« gefeiert? Darüber muss immer neu nachgedacht werden, weil Leben und Menschen sich verändern. Theologie ist Reflexion des Glaubens auf der Grundlage der biblischen Überlieferung und wird daher niemals fertig. Theologie kann Grenzen versuchen zu markieren, innerhalb dessen sich Kirche bewegen kann, dies ist aber immer eine un-endliche Aufgabe. Die Digitalisierung des Lebens ist eine Herausforderung für theologisches Denken, und zwar sowohl im Blick auf die notwendigen neuen Grenzziehungen als auch im Blick auf die Formulierung der christlichen Wahrheit in der Sprache der Gegenwart, die Menschen verstehen. Damit ist nicht gemeint, dass jeder theologische Text für jeden Laien verständlich sein muss und kann. Aber es kann auch nicht beim einfachen Nachsprechen der »alten« Tradition bleiben, sondern wenn ich mich darauf beziehe, muss ich den Gegenwartsbezug deutlich machen.
2. Was ist zuerst, reflektierte Theologie oder zu reflektierende Praxis? Ich glaube, die Frage führt nicht weiter. Letztlich muss jede/r Pfarrer/Prädikant/Theologe oder -innen entscheiden, was er oder sie meint verantworten zu können und ob er oder sie erst den Weg durch die Institutionen geht oder das Risiko auf sich nimmt, zunächst »allein« zu handeln und damit etwas anzustoßen. Friedrich entscheidet sich offenbar für den letzteren Weg, so wie auch vor zwanzig Jahren die ersten Segnungen homosexueller Paare ohne vorherige Zustimmung der Kirchenleitung durchgeführt wurden Wenn ich mich recht entsinne, wurden die Segnungen für ungültig erklärt, aber ein intensiver Prozess in der rheinischen Kirche dadurch angestoßen. In anderen Fällen wurden solche Prozesse anders herum geführt.
3. Somit ist die Diskussion um das virtuelle Abendmahl eröffnet, wenn es heute Abend zu dem Gottesdienst so wie angekündigt kommt. Meine Frage geht dahin, ob und unter welchen Umständen ich ein virtuelles Abendmahl als »vollgültiges« Abendmahl ansehen kann. Eine Wirkung kann es auch entfalten, wenn die theologische Reflexion zu der Auffassung kommt, hier sei eine Grenze überschritten worden, der Geist weht nun mal wo er will, Was uns nicht von der Aufgabe entbindet, ihm hinterherzusinnen.
Nehmt hin und eßt, das ist mein Leib und mein Blut, tut dies zu meinem Gedächtnis. Für mich stellt sich vor allem im ersten Satzteil die Frage, ob ein Abendmahl denkbar ist, ohne dass ich das Abendmahl empfangen kann, ohne dass es mir ein/e andere/r gibt. Die anderen beiden Aspekte scheinen für mich einfacher zu sein. Erinnern geht auch gemeinsam ohne gleichzeitig am gleichen Ort zu sein, die Frage der »Wandlung« scheint zumindest aus meinem evangelischen Verständnis heraus auch ohne räumliche Gegenwart denkbar zu sein. Aber kann ich alleine vor dem PC sitzen, mit Brot und Wein (oder Saft) und es am Ende – nehmen, aber nicht empfangen? Ich denke, dass sich hier im Abendmahl die grundlegende Bedürftigkeit des Menschen spiegelt, daher würde ich momentan sagen: nein, das ist kein theologisch vollgültiges Abendmahl. Aber noch mal, diese Form kann dennoch wirken, ja auch Glauben hervorrufen, warum nicht? (Der Geist, weht wo er will). Denkbar wäre aber für mich, dass mehrere Menschen an den verschiedenen Orten zusammen kommen und sich im Rahmen der Abendmahlsfeier dann »vor Ort« gegenseitig Brot und Wein reichen.
4. Und noch ein letzter Gedanke. Ist eine virtuelle Gemeinschaft »real«, wenn die Teilnehmenden sich an verschiedenen Orten aufhalten und »nur« über Chat usw. kommunizieren? Das Verbundenheitsgefühl sagt da vermutlich bei vielen Zeitgenoss/inn/en, die sich mit den digitalen Medien tagtäglich befassen: »Ja«. Aber »fehlt« dann nicht etwas, das sinnliche Sich-in-einem-Raum-gemeinsam-Aufhalten? Ja, das fehlt. Allerdings frage ich mich, ob wir da nicht einem Vollkommenheitswahn aufsitzen. Die sinnliche Wahrnehmung unterscheidet da ganz sicher, aber: Wer sagt eigentlich, dass alle Sinne immer beteiligt sein müssen? Anders gefragt: was ist, wenn nicht alle Sinne beteiligt sein können? Ein Gehörloser kann nicht hören, ein Blinder nicht sehen, ein Mensch mit Magensonde kann Brot und Wein nicht empfangen (ich erspare es mir, es mir dennoch auszumalen), ein/e Rollstuhlfahrer/in vielleicht nicht zum Gottesdienstraum kommen, ein älterer Mensch schafft diesen Weg auch nicht mehr (unter anderem für diese Menschen sind TV-Gottesdienste da und ich höre das immer wieder, dass gerade ältere Menschen jeden Sonntagvormittag da vor dem Fernseher sitzen). Wenn wir hier aber zugestehen, dass die Vollgültigkeit eines Gottesdienstes – oder ich sage mal besser: die Vollwirksamkeit eines Gottesdienstes nicht an das Vorhandensein aller Sinne und aller sinnlichen Wahrnehmung gebunden ist, dann müssen wir dies auch im Blick auf das virtuelle Abendmahl mitbedenken.
Ich erinnere mich daran, vor Jahren habe ich von einer Begebenheit gehört, die mich nachhaltig beeindruckt hat. Ich weiß nicht, ob ich sie exakt – »vollgültig« 😉 – noch im Kopf habe. In einem südamerikanischen Foltergefängnis haben Menschen miteinander Abendmahl gefeiert: ohne Brot, ohne Wein. Sie hatten weder Brot noch Wein. Aber der Wunsch gemeinsam zu feiern war so stark, dass sie so getan haben »als ob«: Sie haben so getan, als ob sie Brot und Wein einander reichen.
Vollgültig im Sinne der theologischen Definition? Vollwirksam auf jeden Fall, und vielleicht war es ja so, dass die fehlenden Elemente das Erleben noch intensiver gemacht haben. Und das wäre dann auch meine abschließende Frage, ob ein virtuelles Abendmahl durch die bewusste Konzentration auf das was eben nicht da ist oder nicht geht (in einem »realen« Raum versammelt zu sein) anders und vielleicht intensiver »wirkt« als das sonntägliche Zusammensein im Kirchraum. Gar nicht mal als »Ersatz« für den normalen Sonntagsgottesdienst, aber als Ergänzung, Anregung, Bewusstmachen, ja auch als Provokation (im Sinne von pro vocare)? Ich bin gespannt auf Berichte und Reaktionen von der gottesdienstlichen Feier heute Abend.
Thank you for sharing thiis
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Nicht nur jeder Zelebrant muß selbst entscheiden – hier ist auch eine Entscheidung der geistlichen Autorität gefragt, ich könnte solche Entscheidungen nicht ohne meinen Gemeinderat treffen, und müßte wohl mindestens den regionalen Synodalrat einbeziehen.
Unter dem Originalartikel hat sich eine interessante Diskussion entwickelt. Da ist die Frage „zwischen Toast, Nutella und Facebook“. Worauf schon Paulus eine Antwort hatte: „wer aber unwürdig davon isset…“ nur: wird die gehört?
Da ist die Frage nach der Gemeinschaft via Internet, und einer antwortet, „und wenn sie zu drei oder fünf um den Bildschirm sitzen…“ Ja, aber dann brauchen sie doch den Bildschirm nicht!
Einer sagt, so wenige würden von den Gemeinden besucht zum Hausabendmahl. Wenn mich einer darum bittet, dann gehe ich hin, mit zwei oder drei Gemeindegliedern, und wir feiern Hausabendmahl.
In einer Zeit, wo das Internet zum schalen Ersatz („ersatz“ nennen die Franzosen den Muckefuck, der früher mal statt Kaffee angeboten wurde) für echte Beziehung wird, ist es meiner Ansicht nach Aufgabe der Kirche, real zu den Menschen zu gehen. Der inkarnierte Gott läßt sich nicht durchs virtuelle Web schieben, und nichts kann den echten Händedruck ersetzen, mit dem die Gemeinschaft der Abendmahlsfeier auch auf der Haut spürbar wird. Nichts kann ersetzen, das Brot aus der Hand des Mitmenschen zu empfangen und den Kelch, am besten mit den Worten „Der Herr ist mit dir“, wie es die französisch-reformierte Liturgie praktiziert.
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Pingback: Hoc est enim… | Ein feste Burg ist unser Gott
Der Kollege hat schnell geliefert, hier ein Bericht vom Online-Abendmahlsgottesdienst gestern Abend: http://t.co/6oUpnxWj
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