»Zumeist hört die Lust von Frauen, unendlich aus ihrem Leben zu erzählen, abrupt auf, wenn sie aufgefordert werden, dies schriftlich zu tun. Die Barriere zwischen Sprechen und Schreiben scheint riesig zu sein. So geläufig sie einem mündlich zur Verfügung stehen, so sehr entgleiten die Worte, will man sie schriftlich niederlegen. Jetzt erweisen sie sich als ungenau, hölzern, unzureichend oder fehlen gar ganz. Nach großen Mühen bringen Frauen, die ohne Scheu ein Tonband besprechen, das – geschrieben – eine Länge von 15 Seiten umfasst, nach mehreren Stunden eine halbe handgeschriebene Seite zustande. Und sie sind immer noch mit sich zerstritten – es wurde nicht das, was sie sagen wollten. Wir denken, dass die Leichtigkeit des Sprechens auch eine Verhinderung zweifelnden Begreifens ist und nicht etwa eine weibliche Tugend. Der Zwang, sich Rechenschaft abzulegen über Gefühle, Gedanken und Sprache, wenn man etwas schriftlich niederlegen will, scheint uns ein wichtiger und produktiver Schritt in die Weltaneignung zu sein.« (Frigga Haug, Die Vier-in-einem-Perspektive, S. 188)
1. Ich erinnere mich, bei Hannah Arendt ähnliches gelesen zu haben, Denken sei keine »Arbeit«:
»Denken und Herstellen sind zwei voneinander geschiedene Tätigkeiten, die niemals zusammen fallen; um der Welt den ›Gehalt‹ seiner Gedanken mitzuteilen, muß der Denkende vor allem Aufhören zu denken und anfangen, sich des bereits Gedachten zu erinnern.« – »Den reinen Denkprozeß, den eigentlichen Gedankengang, muß der Künstler, aber auch der schreibende Philosoph, unterbrechen, wenn er das Gedachte so verwandeln will, dass es sich einer schriftlich-verdinglichenden Darstellung eignet. Denken als eine Tätigkeit ist so endlos wie das Leben, daß es begleitet.« (Vita activa S. 108/206)
Was ist dann mit Sprechen? Ist das noch Denken oder schon Gedachtes, Hergestelltes? Auf der anderen Seite kennen wir das »laut denken«, ins »unreine sprechen«.
2. Dieser unendliche Strom des Denkens – wie ist das, wenn ich ihn aus-spreche, hin zu einem anderen Menschen? Findet da schon Beziehung, Begegnung, Austausch statt – und/oder ist es vor allem ein Zeichen des Vertrauens, wenn ich mich traue, in Gegenwart eines anderen Menschen »laut zu denken«?
3. Schreiben als Weltaneignung zeigt das Paradox: da, wo ich mich ausgedrückt habe, eigne ich mir Welt an – und habe ich mich doch bereits davon getrennt, das Geschriebene ist nicht mehr und doch noch Teil von mir. Da zeigt sich das Widersprüchliche, Widerständige, Widerspenstige meiner/unserer Existenz zwischen Individuum und Gesellschaft.
4. Wo reden die Männer, wir Männer? Den unendlichen Strom der Gedanken kennen wir doch auch – aber wo trauen wir uns, vor wem trauen wir uns, laut zu denken…?