Warum mich Twitter gerade nervt

Am 1. November schaue ich morgens in meinen Twitter-Account hinein, lese drei, vier Threads und beschließe spontan, ich mache einen Monat Pause, dieses ganze Empörungsgerede von rechts nach links und wieder zurück nervt mich nur noch.

Anfang Dezember merke ich, Twitter nervt immer noch und macht mir keinen Spaß mehr. Das überrascht mich sehr, denn bislang war Twitter mein soziales Netzwerk, ich liebe es seit Jahren.

Gestern Abend in einer der mittlerweile seltenen und daher so wertvollen Gespräche in Präsenz sagte eine Dialogpartnerin: Es gibt zurzeit so viele tolle inhaltliche digitale Angebote, Vorträge, Workshops, Diskussionen. Aber ich stelle fest, dass diese Runden nicht ansatzweise so in mir nachhallen, wie ein Treffen in einem Café, auf einem Spaziergang oder in einem öffentlichen Raum. Ich dachte, ja, das erlebst du auch so. Es fehlt der Geruch einer Kerze oder von Blumen, die Temperatur im Raum, die tickende Heizung oder die Musik im Hintergrund und all diese kleinen nonverbalen Signale, die ausgetauscht werden. Digitalität ist toll, aber sie presst alles in ein Schema von 1 und 0, Digitalität ist eine gesiebte Realität, um ein Bild von Sarah Spiekermann aufzunehmen.

Heute früh luge ich aus Gewohnheit, eher widerwillig um die Ecke bei Twitter hinein. Nach zwei, drei Threads verging mir gleich wieder die Lust. Es war eigentlich nichts Besonderes, aber dieses „ach-was-hat-der/die-schon-wieder-gesagt“ oder „wie-werden-wir-in-der-digitalen-welt-besser“ oder „hört-mal-ich-habe-da-eine-frage“ oder „kirche-muss-dies-oder-jenes-tun-oder-lassen“, ich ertrage es gerade nicht. Und auch der Versuch, der mir wahrlich selbst nicht fremd ist, mit schönem Sprachwitz Aufmerksamkeit zu erzielen, nach dem Motto „schaut-mal-wie-toll-ich-formulieren-kann“, löst keine Freude (mehr) aus. Was geht da in mir vor, frage ich mich?

Ich horche in mich hinein und spüre, dass die digitale Welt in diesen Tagen und Wochen Überdruss in mir erzeugt. Ich bin auch überreizt, rein in Twitter, raus in LinkedIn, oft zwischen zwei Zoom-Konferenzen, wenn denn überhaupt eine Pause eingeplant ist und so weiter und so fort.

Ich mag das gerade nicht mehr. Vor allem auch deswegen, weil ich meine grundsätzlich positive Einstellung zur Digitalität nicht verlieren möchte. Ich finde es toll, mein Enkelkind via Video oder Zoom sehen zu können. Meine Eltern hatten diese Möglichkeit vor dreißig Jahren nicht. Ich finde es großartig, mit Menschen über Grenzen hinweg in Kontakt stehen zu können. Gestern hatten Christine und ich eine Runde mit einer Frau in Potsdam und einem Ehepaar in Wien. „Früher“ haben wir uns einmal im Jahr für drei Tage getroffen, da besteht eine tiefe Verbundenheit und ein gemeinsamer Denkweg über lange Zeit. Und ich merke, in solch einer digitalen Runde geschieht etwas, wir können anknüpfen an eine Geschichte. Ähnlich geht es mir, wenn ich mich mit Paris und Katerini treffe oder im familiären Raum.

Deswegen bin ich gerade gedanklich und emotional in die Richtung unterwegs, noch sehr viel genauer zu überlegen, wie viel dieser medialen und gesiebten Kommunikation ich gerade ertragen kann, um nicht gänzlich die Lust an ihr zu verlieren. Ich vermute, Twitter wird mich erst einmal selten sehen.

Wie geht es Ihnen und Euch gerade mit der Digitalität?

P.S. Dabei ist das gleichzeitig ein Treppenwitz: Ich teile diese Gedanken in einem digitalen Medium auf meinem Blog und verbreite den Beitrag über die sozialen Netzwerke, auch über Twitter. Verwirrende Zeiten.

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