Vor einigen Tagen bin ich über Marcella und ihr Projekt #greensetters auf die Studie „Climate Visuals“ aufmerksam geworden. Im deutschsprachigem Raum ist die Studie nach meiner Kenntnis noch ziemlich unbekannt. In der Einleitung heißt es sinngemäß:
„Jeden Tag werden tausende von Bildern über den Klimawandel geteilt. Dennoch ist unser Wissen sehr begrenzt, wie Menschen visuelle Bilder des Klimawandels aufnehmen und interpretieren. Diese Lücke schließt diese breit angelegte Studie, in der es Interviews, ein Rating durch eine Online-Umfrage und Diskussionen über Fotos in Foren gab. Die Ergebnisse wurden in sieben Prinzipien zusammengefasst. Diese sollen Hinweise geben, wie bessere visuelle Geschichten über den Klimawandel erzählen werden können.“
Auf der Website gibt es eine umfangreiche Beschreibung der Studie als PDF: Climate Visuals Seven principles for visual climate change communication und es gibt eine Bilddatenbank mit zahlreichen Fotos zu den sieben Prinzipien.
Ich stelle die sieben Prinzipien vor und veranschauliche sie mit je einem Foto von der Website aus dem Bereich der frei verfügbaren Fotos. Beim Klick auf das Foto öffnet sich die originäre Quelle. Im Text gehe ich auch auf andere Motive ein, die aber nicht unter Creative Commons-Lizenzen zugänglich sind und die ich daher hier nicht zeigen kann.
1. „Echte“ Menschen zeigen statt inszenierte Situationen (Show ‚real people‘ not staged photo-ops)
Authentische Fotos kommen besser an als gestellte oder inszenierte Motive. Hier gab es die höchsten Zustimmungswerte und dieses Prinzip geht sehr weit: Selbst eine Aufnahme von Schüler/innen hinter einem Transparent, die im Rating eher besser bewertet wurde, weil sie einen „feel-good“-Faktor auslöste, fiel in den Diskussionsgruppen als gestellt durch. Auf Fotos von Politiker/innen kann verzichtet werden, ihnen wird keinerlei Glaubwürdigkeit im Blick auf den Klimawandel zugesprochen und von daher erzielen Bilder mit ihnen keinen positiven Effekt. Entscheidend ist aber, dass auf nahezu allen Fotos, die auf der Website als Beispiele eingestellt sind, Menschen zu sehen sind – auch wenn sie gelegentlich erst auf den zweiten Blick zu sehen sind.

2 Neue Geschichten erzählen (Tell new stories)
„Klassische Bilder“ wie Schornsteine, Entwaldung und Eisbären auf schmelzendem Eis wurden in der Online-Umfrage eher positiv bewertet, weil sie schnell verdeutlichen, dass es hier um den Klimawandel geht. In den Diskussionsgruppen haben diese Motive aber auch Zynismus und Müdigkeit ausgelöst. Und sie führen zu Abnutzungseffekten, rauchende Schornsteine sind ja schon seit Jahrzehnten ein bekanntes Motiv. Neue, unbekannte Bilder, oft auch mit Humor verbunden, führten aber in den Diskussionsgruppen dazu, dass dort in die Bilder Geschichten eingewebt wurden. Es wurde gefragt: Was passiert hier wohl gerade? Oder: Wow, was für ein Kontrast!(zB bei einem Hochzeitspaar in einem Überschwemmungsgebiet).

3 Die Klimakrise nicht am Individuum verdeutlichen, sondern an entsprechenden Größenverhältnissen (Show climate causes at scale)
Die Umfragen der Untersuchung bestätigen ein bekanntes Phänomen: Viele Menschen können keine oder nur schwer Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und ihren individuellen Verhalten herstellen – und reagieren emotional ablehnend, wenn Verbindungen aufgezeigt werden. Autofahren wird zB als so selbstverständlich aufgefasst, dass Bilder mit einzelnen Autos und ihren Insassen nicht geeignet sind, die Klimakrise zu verdeutlichen. Dagegen sehen Menschen überlastete Autobahnen negativ – sowohl in Bezug auf die Umweltauswirkungen als auch auf die persönlichen Unannehmlichkeiten zB in Staus. Vorgeschlagen wird daher, Motive zu suchen, welche die Folgen der Klimakrise an entsprechenden Größenverhältnissen aufzeigen.

4 Die Folgen der Klimakrise besitzen emotionale Wucht und können Menschen in Bewegung bringen (Climate impacts are emotionally powerful)
Die Untersuchung bestätigt frühere Forschungen: Bildern von Klimafolgen sind einerseits wirkungsvoll und lösen starke emotionale Reaktionen aus. Andererseits stellt sich aber schnell auch das Gefühl von Ohnmacht aus: „Was kann ich (schon) tun?“ Wenn die Motive implizit aber Handlungsmöglichkeiten nahelegen und aufzeigen, dann reagieren Menschen eher positiv. Die Studie verdeutlicht das an zwei Fotos: das eine zeigt einen Bauern mit seiner Kuh auf einem völlig vertrockneten Acker, das andere zeigt Menschen nach einem Taifun vor völlig zerstörten Häusern. Das erste Motiv löst hilflose Ohnmacht aus, das zweite führt bei (manchen) Menschen zu der Frage, was sie konkret tun können.

5 Es gilt, sowohl lokale als auch globale Folgen der Klimakrise sichtbar zu machen (Show local – but serious – climate impacts)
Bilder mit lokalen, regionalen oder nationalen Auswirkungen der Klimakrise lösen bei vielen Menschen intensive Gefühle aus, in Deutschland zB Fotos von Überschwemmungen. Dennoch muss bei der Auswahl von Motiven darauf geachtet werden, dass auch der Bezug zu globalen Folgen hergestellt wird. Denn es zeigt sich beispielsweise, dass Menschen in den westlichen Industriestaaten zwar mit Beunruhigung auf Fotos von Überschwemmungen in ihren Ländern reagieren, zugleich aber wird diese Emotion abgeschwächt durch das Zutrauen in die „bei uns“ vorhandene Infrastruktur, die auf solche Katastrophen „gut“ reagieren kann. Dies verringert den Impuls, selber aktiv werden zu wollen.

6 Bilder von Protestdemonstrationen sind nur selten sinnvoll (Be very careful with protest imagery)
Neben den Fotos mit Politiker/innen kamen Bilder, die Menschen bei Demonstrationen zeigen, mit am schlechtesten weg. Offenbar gibt es massive Vorbehalte gegen (und schlechte Erfahrungen mit) „typischen Umweltschützer/innen“. Protestbilder von Menschen, die direkt von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, wurden als authentischer und damit überzeugender angesehen. Als Beispiel wird in der PDF eine Gruppe indigener Menschen während einer Demonstration gezeigt.

7 Zielgruppen sind in ihrer Unterschiedlichkeit im Blick zu nehmen (Understand your audience)
Es ist eine Binsenweisheit, dass Fotos je nach persönlicher Präferenz unterschiedlich wirken. In der Studie wird recht allgemein zwischen „linkem“ und „rechtem“ Spektrum unterschieden und individualistische und marktwirtschaftlich ausgerichtete Werte (und damit verbundene Einschätzungen der Klimakrise) eher im rechten Spektrum verortet. Die Wirkung einzelner Motive ist dennoch nicht immer so schubladengemäß, wie vielleicht erwartet wird. Deswegen plädieren die Autor/innen für eine sorgsame Auswahl von Fotos im Blick auf die jeweilige Zielgruppe eines Beitrags. Eine Gemeinsamkeit konnte dennoch identifiziert werden: Bilder, die „Lösungen“ und somit konkrete Beispiele für die Bewältigung der Klimakrise zeigen, erzeugten in der Untersuchung meist positive Emotionen – sowohl im rechten als auch im linken Spektrum.

Mein Fazit:
Die sieben Prinzipien sind weitgehend selbsterklärend und klingen manchmal schon fast banal – aber in der Praxis sind sie keineswegs leicht umsetzbar. Für mich stellen sie einen guten Kompass dar, wenn ich demnächst wieder einmal nach Motiven Ausschau halte.

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