Sag nicht, du bist zu jung (zu alt, zu klein, zu schwach, zu dumm)!

Gehalten in der Jakobi-Kirche in Hannover-Kirchrode. Für einen Freund habe ich einen Audio-Mittschnitt aufgenommen, den gibt es für alle hier zu hören:

*

Liebe Gemeinde,
Worte treffen mich manchmal unverhofft.
Ein Gedanke.
Ein Satz.
Schlägt ein.
Es tut nicht weh.
Aber ich spüre es im Magen.
Er zieht sich zusammen.
Mir ist klar:
Das war ein Treffer!

Jeremia ging es auch so.
Erst das schöne Wort vom Mutterleib.
Gott kennt mich schon immer.
Wer hört das nicht gerne.
Und dann – rumms!
Ich bestelle dich zum Propheten.

Du.
Bist.
Auserwählt.

Du.
Bist.
Berufen.

Das schlägt ein.
Jeremia weiß sofort:
Das hat dir etwas zu sagen.
Da geht etwas zu Ende.
Und etwas Neues beginnt.

Ich bin nicht Jeremia.
Aber die Erfahrung kenne ich auch.
Ein Gedanke, ein Satz, ein Wort
Trifft mich.
Und ich weiß
Sofort:
Das hat dir etwas zu sagen.
Und geht nicht wieder weg.
Eine Erkenntnis.
Eine Einsicht.
Eine Wahrheit.

Manchmal ist das ja auch toll.
Es fällt mir wie Schuppen von den Augen.
Und ich verstehe.
Eine neue Welt öffnet sich.
Ich ahne die Weite.
Spüre:
Es wird nicht mehr so sein wie vorher.
Unglaublich.

Vielleicht wird etwas wahr
Das ich nie zu hoffen wagte.
Ein Mensch sagt ja zu mir.
Ich bekomme eine Stelle.
Oder bin doch nicht todkrank.
Die Zukunft wird ganz anders als gedacht.
Erleichterung.
Jubel.
Grenzenlose Freude.
Ich will die ganze Welt umarmen.

Aber nicht selten geht es andersherum.
Wie bei Jeremia.
Die neue Wahrheit tut weh.
Gott sagt:
Du
Bist mein Prophet.
Ich habe dich dazu gemacht.
Du kannst das.
Ich brauche dich.
Dich.

Aber Jeremia schreckt zurück.
Will nicht.
Ich kann ihn gut verstehen.
Kenne das von mir.
Wenn sich unangenehme Wahrheiten aufdrängen:
Da suche ich nach Ausreden.
Ich doch nicht!
Ich bin zu jung.
Ich bin zu alt.
Ich bin zu klein.
Ich habe doch keine Ahnung.
Und dahinter stehen drei Worte:
Ich.
Habe.
Angst.

Es hilft uns nicht zu sagen:
Jeremia – der war doch eine Lichtgestalt.
Gott hat ganz persönlich zu ihm geredet.
Er war etwas ganz Besonderes.
Außergewöhnlich begabt.
Mir kann das nicht passieren.
Mir doch nicht.
Ich bin zu klein.
Zu jung.
Zu alt.
Dann drücken wir uns um eine Wahrheit.
Eine unangenehme Wahrheit.

Ja:
Jeremia ist eine Lichtgestalt der Bibel.
Was wir hier in dieser schönen Sprache lesen und hören
Ist ja erst im Nachhinein aufgeschrieben worden.
Viel später.
Wahrscheinlich war es viel unspektakulärer.
Jeremia stand es mit einem Mal vor Augen.
Glasklar:
Du musst jetzt den Mund aufmachen.
Und reden.
Im Namen Gottes.
Gott sprach nicht aus dem Himmel
Sondern in seinem Herzen.
Und Jeremia wusste sofort:
Das ist Gottes Stimme.
Und er meint mich.
Mich.

Jeremia hat gerungen.
Mit sich und dieser inneren Stimme.
Ich lege meine Worte in deinen Mund.
Mir würde schlecht vor Angst, wenn ich das hörte.
Da sagt jemand – Gott – was ich tun soll.
Und ich habe keine Wahl.

Wir könnten sagen:
Das ist lange her.
Und passt auch nicht in unsere Zeit.
Wir suchen nach Selbstbestimmung.
Suchen nach unseren Stärken und Potentialen.
Wollen diese einsetzen in Beruf, Ehrenamt und Familie.
Und Spaß soll es machen oder zumindest Freude.
Wir verfolgen die Linie:
Es geht allen am besten, wenn sie das tun, was sie am besten können.

Gut.
Aber vielleicht konnte Jeremia genau das am besten:
Reden.
Im Namen Gottes.
Die Mächtigen wegen ihrer Politik kritisieren.
Deswegen wurde er berufen.
Von Gott.
Weil Gott ihn dazu brauchte.
Genau dazu.
Auch wenn es weh tut:
Meine Stärken zur Geltung bringen macht vielleicht nicht immer Freude.
Ein unangenehmer Gedanke.
Für Jeremia.
Und für mich.

Jeremia lebte in unruhigen Zeiten.
Politisch ging vieles drunter und drüber.
Er nahm die Berufung an, floh nicht wie Jona.
Er redete.
Kritisierte.
Griff an.
Alles im Namen Gottes.
Er wusste, vielleicht ahnte er es auch nur:
Was ich vor meinem Auge sehe
Was ich in meinem Herzen spüre
Was ich mit meinem Ohr höre –
All das ist wahr und ich muss es sagen.

Aber am Anfang:
Da war dieser Moment von Angst.
Und Zweifel.
Vielleicht auch Fluchtgedanken, wer weiß.
Aufgeschrieben ist diese Geschichte ja erst viel später.
Da lässt man auch schon mal was aus und weg.

In der Rückschau sagt Jeremia aber eben auch:
Gott hat mich berufen.
Hat mir vor Augen gestellt, was ich sehen sollte.
Und mir Worte geschenkt, die ich sagen sollte.
Ich habe sie gesagt.
Ich habe ihm vertraut.
Leicht war es nicht.
Aber ich fühlte mich nicht allein.
Er hat mich getragen.
Meinen Mund geöffnet.
Stand hinter mir wenn ich sprach
Tröstete mich in der Nacht
Wenn ich schlaflos fragte:
Was wird jetzt wohl werden?

Doch wenn das so ist – kann es dann nicht auch mir so gehen?
Und Ihnen?
Sind wir bereit zu hören:
Du bist nicht zu jung.
Zu alt.
Zu klein.
Zu dumm.
Zu unbedeutend.
Leben geschieht nicht nur in der Komfortzone.
Wo wir uns gerne aufhalten.
Da setzen wir gerne unsere Stärken und Begabungen ein.
Aber da wo es weh tut – wie ist es da?

Wir sind nicht Jeremia.
Aber auch wir leben in unruhigen Zeiten.
Auch wir ahnen als Christinnen und Christen:
Vieles läuft nicht gut.
Und manchmal wissen wir ganz genau:
Hier und jetzt müsste ich den Mund aufmachen.
Und widersprechen.
Dazwischen gehen.
Wenn Menschen verunglimpft werden.
Wenn Wahrheit in Lüge verdreht wird.
Wenn Fakten geleugnet werden.
Wenn Menschen ausgegrenzt werden.

Ich weiß es dann ganz genau.
Höre in mir wie Jeremia:
Geh, wohin ich dich sende!
Ich lege meine Worte in deinen Mund.
Jetzt.
Und die Frage ist dann jedes Mal:
Vertraue ich und springe?
Oder bleibe ich stehen?
Schweige und wende mich ab?
Schäme mich und suche nach Ausreden?

Sehr genau spüre ich dann die Versuchung in mir.
Die sagt:
Du bist doch viel zu jung.
Zu alt.
Zu schwach.
Zu unwissend.
Und ich erliege ihr immer wieder.
Schweige.
Schaue weg.
Das ist so menschlich.
Denn Angst breitet sich in mir aus.

Diese Geschichte von Jeremia wird erzählt um Mut zu machen.
Mut, den Mund aufzumachen.
Gottes Worte zu sagen.
Das klingt so riesengroß.
Aber es gilt nur die Wahrheit zu sagen.
Wahre Worte in einer Zeit der Wortverwüstung.
Wir sind berufen die Worte Gottes zu sagen.
Jede und jeder an ihrem, seinem Ort.
Wenn wir sie nicht sagen, sagt keine und keiner sie.
Das ist eine harte Botschaft.
Weil sie weh tut.
Weil sie Angst macht.
Weil sie vielleicht auch Folgen hat.
Aber es ist Gottes Wunsch, dass wir dazwischen gehen.

Dazu gibt es die gute Botschaft.
Gott sagt zu Jeremia
Und zu mir
Und dir:
Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir, ich will dich erretten.
Und dann berührt er den Mund
Jeremias Mund und meinen.
Und ich höre:
Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund.
Und du:
Mach deinen Mund auf und rede.
Meine Worte.
Wahre Worte.
Amen.

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