Die (Un-)Möglichkeit von Karriereplanung. Ein berufsbiografischer Rückblick

In Einführungsgottesdiensten wird der, die Einzuführende von der einführenden Person kurz vorgestellt. Bei mir war dies am letzten Freitag Oberlandeskirchenrat Rainer Kiefer. Augenzwinkernd sprach er davon, dass sich meine berufliche Biografie der letzten fünfzehn, zwanzig Jahre wie eine gezielte Karriereplanung liest, hin auf genau diese Stelle als Landessozialpfarrer und Fachbereichsleiter Kirche. Wirtschaft. Arbeitswelt.  Ein Gedanke, der mir einige Tage zuvor auch schon durch den Kopf ging.

Auf einem Studientag unseres Fachbereichs stellten wir uns gegenseitig unsere beruflichen Lebens(ver)läufe anhand von Karten und einem Faden vor. Und mir fiel schon auf, dass im Unterschied zu anderen mein Faden sehr gerade da auf dem Boden liegt, ausgehend von Zivildienst über Vikariat, Pfarrstelle, KDA im Rheinland, Promotion und dann über Osnabrück nach Hannover.

Allerdings trügt der Schein.
Und zwar sehr.

Die Entscheidung, mich vor bald dreißig Jahren für die nebenamtliche KDA-Arbeit zu entscheiden, entsprang dem Zufall, dass auf meiner allerersten Kreissynode ein/e Synodalbeauftragte/r gesucht wurde. Jede/r Pfarrer/-in musste solch ein Mandat übernehmen, frei war auch noch die Sektenbeauftragung. Das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, Sozialethik dagegen, ja, dachte ich, das passt eher. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was ich unter KDA verstehen sollte.

Die Entscheidung für das Fernstudium Berufs- und Wirtschaftspädagogik/Arbeits- und Organisationspsychologie hatte ursprünglich mit dieser Schwerpunktsetzung nichts zu tun. Ich hatte damals überlegt, vielleicht wäre ein Schulpfarrstelle ganz spannend für mich und bekam den Hinweis, ohne pädagogische Zusatzausbildung wird das nichts. So fing ich in Hagen an – und merkte schon im Grundstudium, nein, Schule ist doch nichts für dich. Mittlerweile hatte ich aber so viel Spaß an Pädagogik und Psychologie gefunden (kommt ja beides im Theologiestudium nicht sooo intensiv vor), dass ich Lust hatte, weiter zu machen. Nur die Schwerpunkte wechselten, und ich schloss mit einer Arbeit über die gerade in Kraft getretenen Hartz-Gesetze ab.

Auch die Promotion kam irgendwie und auf eher verschlungenen Wege zustande. Geträumt hatte ich schon als junger Student davon, in der Massenuniversität in den achtziger Jahren war mir dieser Weg verschlossen, die Gründe dafür kann ich hier nicht ausbreiten. Geblieben war über all die Jahre die Idee, mal ein Buch zu schreiben. Da lief sogar eine Wette zwischen meiner Frau und mir, sie sagte, du schreibst das schon irgendwann. In der Beschäftigung mit Frithjof Bergmann und seiner These: „Es gibt kaum etwas, das Menschen glücklicher und zufriedener macht als eine Arbeit, die sie wirklich, wirklich wollen“ wurde mir dann deutlich, dass das Schreiben so eine Arbeit ist, die mich glücklich macht. Es kam der glückliche Umstand hinzu, dass ich die Chance hatte, ein Kontaktstudiensemester in Bochum zu machen, weil in unserer Gemeinde durch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Theolog/-innen ein Nachwuchspfarrer Dienst tat, der gerne bereit war, mal für drei Monate ALLES zu übernehmen. Am Ende der drei Monate stand die Idee: Du schreibst dein Buch und verbindest es mit der Promotion. Wunderbarerweise geriet ich da mit Traugott Jähnichen an einen Doktorvater, der mich an einer sehr langen Leine führte, so dass es mir überhaupt möglich war, dieses Projekt neben dem Gemeindepfarramt durchzuführen.

Dann war ich fertig, 2011/12, und die Kinder waren aus dem Haus. Zeit, mich mal nach anderen Stellen umzuschauen. KDA-Pfarrstellen im Rheinland, auf die ich mich hätte bewerben können, gab es nicht. Ich bewarb mich hier und da. 2012 wäre ich fast nach Berlin gewechselt, auf einer Pfarrstelle des Diakonissenhauses Berlin-Teltow-Lehnin, theologischer Beratung des Vorstands und eingebunden in die Schulung von Mitarbeitenden. Haarscharf, so wurde mir mitgeteilt, bekam ich nach einem längeren und aufwändigen Verfahren die Stelle am Ende nicht, sondern mein einziger verbliebener Mitbewerber. Das tat weh, Berlin und Brandenburg, das hat mich sehr gereizt.

„Zwischendurch“ steckte ich meine Kreativität ins Schreiben und verfasste ein Buch, Zeitsprung – Gemeinde 2030. Ich begann gerade mit den Vorüberlegungen zu einem weiteren Buch, als sich die Chance eröffnete, mich in der hannoverschen Landeskirche auf eine Referentenstelle im KDA  bewerben zu können. Aber auch hier, es war wieder haarscharf. Wir lebten in einer gekündigten Mietwohnung, das Verfahren zog sich hin und ich hatte Michael Klatt, meinem Vorgänger im heutigen Amt, gesagt: Wenn ich vor den Bewerbungsgesprächen eine neue Wohnung finde, nehme ich die und ziehe die Bewerbung zurück, eine Alternative habe ich nicht, wir brauchen im Herbst eine neue Bleibe.

Nun, zum Glück war der Wohnungsmarkt in Voerde seinerzeit leer gefegt. Hannover wollte mich und wir zogen nach Osnabrück, vor gerade mal zwei Jahren. Und nun der nächste Schritt. In der Rückschau hat sich alles gefügt, so scheint es. Perfekte Karriereplanung, könnte man meinen.

Aber es scheint eben nur so. Im Nachgang kann ich die Fäden leicht beschreiben, wenn „alles“ geklappt hat. An den Wegmarken sieht das immer aus und die vier Jahre, in denen ich mich vergeblich auf verschiedene Stellen beworben habe, waren für meine Frau eine quälende Zeit zwischen Hoffnung und Enttäuschung.

Während ich das schreibe, fällt mir ein, dass mein Lehrer Wilfried Härle uns jungen Leuten in einer Vorlesung mal erklärte, warum das mit dem Determinismus (es gibt keine Freiheit, alles ist „vorherbestimmt“ bzw. folgt zwingend aus dem Vorausgehenden) nicht stimmt. In der Rückschau, so Härle, sieht es oft und schnell so aus, als würde eins zwingend auf das andere folgen, ja aus ihm heraus erwachsen. Nach vorne geschaut hilft der Determinismus aber eben nicht, weil die Zukunft immer offen ist. Wer schon mal vor schwierigen Entscheidungen stand, weiß wovon ich spreche. Das Denkgebäude des Determinismus ist daher sinnlos, weil es keine Hilfe für die Entscheidungen in den Herausforderungen der Gegenwart darstellt. Ich fand das sehr einleuchtend. Und im Blick auf meine „Karriere“ bestätigt sich das wieder: Es „scheint“ eben alles so schön aufeinander aufzubauen, aber in „Wirklichkeit“ war es ganz anders.

Aber ich bin auch noch aus einem anderen Grund sehr zurückhaltend, bei solchen Versuchen, rote Fäden im Leben zu finden und daraus einen Sinn im Leben abzuleiten. Denn solche Ansätze müssen für mich auch vor den Kindern am Grenzzaun in Idomeni standhalten, den Frauen in den Bombenkellern von Aleppo und den sich auf der Flucht in Afrika befindlichen Männern, die sich urplötzlich Gewehren gegenüber sehen, die von dem Land geliefert wurden, dass doch das Ziel ihrer Träume ist… Was sage ich denen denn? Genauer: vermutlich komme ich nie in die Verlegenheit. Aber was ich über Lebenswege, Lebensplanung usw. denke und vielleicht auch anderen nahe bringe, muss auch diesen Realitäten standhalten. So liegt die Herausforderung für mich darin, stets nach vorn zu schauen, offen und neugierig – in dem Wissen, es kann alles im nächsten Moment ganz anders sein und werden. Ich kann dabei Hoffnungen haben und Träume hegen und ja, auch Ziele verfolgen. Aber das macht nicht den Sinn des Lebens aus.

Diese Haltung finde ich in diesen Worten Dietrich Bonhoeffers wieder:

 Ich glaube,
daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Faktum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet
und antwortet.

Somit bleibt mir zu der scheinbar perfekten Karriereplanung nur zu sagen:

Ich bin dankbar, dass ich heute hier bin.
Ich weiß, es ist nicht mein Verdienst, ich habe es nicht „verdient“.
Und morgen kann alles schon wieder ganz anders sein.

3 Gedanken zu “Die (Un-)Möglichkeit von Karriereplanung. Ein berufsbiografischer Rückblick

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