(Am Ende des Textes gibt es einen Link zu einem Audiomitschnitt des Vortrags auf Youtube)
1. Einleitung
Liebe Männer,
je näher die Männervesper kam, desto mehr habe ich mich gefragt: Was um alles in der Welt soll ich Ihnen heute Abend eigentlich über Arbeit erzählen? Gestandenen Männern, die bereits ihr ganzes Leben arbeiten und gearbeitet haben? Viele von Ihnen sind schon im verdienten Ruhestand. Doch hier meldet sich schon der erste Stolperstein: Wenn ich mit Rentnern spreche, dann stöhnen viele über ihren Un-Ruhestand. Viele grinsen dabei verschmitzt oder verschwörerisch, manche klagen aber auch nachdenklich: Das hatten sie sich anders vorgestellt. Wieder andere empfinden ihr Rentnerdasein eher als Grabesruhe. Ausgeschieden aus dem Erwerbsarbeitsleben, ausgeschieden aus dem Leben. In der Wochenzeitung „Die ZEIT“ war vor einigen Wochen ein sehr ehrlicher Bericht über einen Mann und das tiefe Loch, in das er nach seiner Pensionierung stürzte (Link: Herr Vahl hört auf). Ungewöhnlich, weil Männer normalerweise nicht über solche Erfahrungen und Gefühle reden. Aus Scham, sollte doch der Ruhestand ein Zeit der Freude und der Freiheit sein. Und was sagen die anderen…
Was ist Arbeit und was nicht? Wo fängt Arbeit an, wo hört sie auf? Und was ist eigentlich „gute Arbeit“? Ist Arbeit gut, wenn sie mir gut tut? Und wenn ich das bejahe – ist es dann egal, was ich arbeite? Und umgekehrt: Was ist, wenn Arbeit, die sinnvolle Dinge hervorbringt, mir nicht gut tut? Also zum Beispiel die Arbeit von Kranken- und Altenpflegern, die oft unter sehr belastenden Bedingungen Gutes für Menschen tun?
Was auf den ersten Blick so einfach und vertraut daherkommt, stellt sich bei näherem Hinschauen als sehr kompliziert dar.
2. Kurzer Gang durch die Geschichte
Fangen wir mal ganz vorn an. Vor dreitausend Jahren, in der Bibel.
Schon auf den ersten Seiten geht es um Arbeit. Wir Menschen, Männer und Frauen, bekommen im Paradies den Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Dann kommt der Sündenfall. Adam und Eva, Mann und Frau werden aus dem Paradies vertrieben. Nun wird die Arbeit so beschrieben, wie sie oftmals empfunden wird, als mühselig und schwer. Uns Männern wird gesagt:
„Mit Mühsal sollst du dich von Acker nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ (Genesis 3, 17b-19)
Dennoch, die hebräische Bibel, unser Altes Testament, beschreibt bei aller Last die Arbeit als sinnvoll und befriedigend. Auf den Punkt gebracht im Buch Kohelet, auch Prediger Salomo genannt:
„So sah ich denn, dass nichts Besseres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil.“ (Kohelet 3,22)
Die alten Griechen sahen das etwas anders. Körperliche Arbeit galt ihnen als minderwertig, ein freier Bürger arbeitete in diesem Sinne nicht. Er beschäftige sich eher mit Politik, Philosophie und Wissenschaft. Hier bei den Griechen beginnt es: Unterschiedliche Tätigkeiten werden verschieden gewertet.
Und das zieht sich durch bis heute: Wenn wir über Arbeit reden, dann geht es immer um Bewertungen von den Dingen, die wir tun. Was der eine als Arbeit auffasst, ist für die andere vielleicht noch lange keine Arbeit. Wir alle, Männer wie Frauen, tun Tag für Tag eine ganze Menge. Aber wir bezeichnen nicht alles, was wir tun als Arbeit.
Durch die Geschichte hindurch war Arbeit lange Zeit vor allem landwirtschaftliche Arbeit. Oder Handwerk. Die Fürsten arbeiteten nicht. Oder? Ist Politik Arbeit? Und die Soldaten? Ist die Kriegskunst – welch schreckliches Wort! – Arbeit?
Im Mittelalter brachten Mönche das Verständnis von Arbeit auf eine neue Stufe. Sie sprachen von ora et labora, von beten und arbeiten, und das sollte für sie im Gleichgewicht stehen. Das war auch eine Kritik der griechischen Abwertung der körperlichen Arbeit, die sich zum Beispiel in manchen Klöstern so ausdrückte, dass die Mönche sich dem Studium, dem Gebet oder dem Abschreiben von Texten hingaben, die Feldarbeit aber andern überließen. Ora et labora war hier eine Gegenbewegung. Aus der biblischen Lektüre heraus wurde die Abwertung der körperlichen Arbeit korrigiert.
Martin Luther sprach vom Beruf, in den ich von Gott gerufen werde.
„Einen Beruf zu haben, bedeutet in diesem Sinne (…) weit mehr, als nur irgendeine Arbeit zu verrichten. Als Beruf wird Arbeit hoch gewürdigt und das Arbeitsvermögen der Menschen in besonderer Weise anerkannt. (…) Zur Hilfe am Nächsten berufen zu sein, geht weit über alle Formen von Erwerbsarbeit hinaus und denkt ‚Beruf‘ ganz allgemein vom Auftrag Gottes zur Ausübung von Liebe in der Welt her.“ (Wegner, 9f.)
In dieser Berufung sind die einzelnen Berufe gleichwertig, weil alle gleich vor Gott stehen. In der ständig geprägten Zeit Luthers war das ein revolutionärer Gedanke.
So richtig in Fahrt kamen die Veränderungen der Arbeitswelt mit dem sich seit der Aufklärung entwickelnden Fortschritt und der Dampfmaschine. Menschliche Arbeit sollte leichter werden. Das war einer der Antriebe, und liebe Männer, da sind wir weit gekommen. Und offenbar noch nicht am Ende. Körperlich anstrengende Arbeit sollte und soll durch Technik entlastet werden. Waschmaschine, Spülmaschine, Computer, um nur mal ein paar zu nennen. Heute stehen wir vor einer Revolution der Roboter. In der Automobilproduktion setzt die Forschung hier auf weitere Erleichterungen für Menschen, die gebückt stehen oder über Kopf arbeiten müssen. Und auch im Pflegebereich wird an unterstützender Robotertechnik für Menschen gearbeitet, die viel heben und tragen müssen.
Aber das hat alles auch eine Kehrseite. Wir arbeiten im Schnitt weniger körperlich und Krankheiten durch Bewegungsmangel und falsche Ernährung nehmen zu. Und es gibt immer wieder Arbeitsplatzverluste durch die Technik.
Arbeit hat also viele Gesichter. Arbeit kann unglaublich befriedigend sein oder todlangweilig. Arbeit kann krank machen, keine Arbeit zu haben aber auch. In Zeiten knapper Arbeitsplätze heißt es schnell „Hauptsache, Arbeit!“ und dann wird weniger über Bedingungen, Entlohnung und Gesundheitsschutz gesprochen. Im sich gegenwärtig abzeichnenden Fachkräftemangel suchen Arbeitgeber händeringend nach Nachwuchs. Und sie denken darüber nach, welche Anreize sie über die eigentliche Arbeit hinaus bieten können. Das gibt es auch in der Kirche. Ich habe schon immer gerne Pfarrstellenausschreibungen gelesen. Vor zehn, fünfzehn Jahren bekam man lange Listen, manchmal über zwei Spalten, was der oder die Neue alles machen sollte. Die eierlegende Wollmilchsau war gar nichts dagegen. Seit wenigen Jahren findet man vermehrt in den Ausschreibungen Hinweise auf das frisch renovierte Pfarrhaus, während die Listen kürzer werden.
Arbeit verändert permanent ihr Gesicht und eins ist sicher, fertig werden wir mit der Arbeit nicht.
3. Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit
Nach diesem kurzen Ritt durch die Geschichte treten wir mal einen Schritt zurück und schauen auf das bisher gehörte.
Arbeit gehört zum Menschen, untrennbar. Von Martin Luther stammt das schöne Wort: Der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen. Arbeit – oder das, was wir darunter verstehen, verändert sich aber im Lauf der Zeit. Und das hat nicht nur mit dem Fortschritt zu tun, sondern vor allem mit den sich mit verändernden Bewertungen von Arbeit.
Wenn wir in Deutschland von „Arbeit“ reden, dann steht uns zuallererst die Erwerbsarbeit vor Augen. Mit Arbeit meinen wir die Arbeit im Beruf, die bezahlte Arbeit. Die Arbeit, die unser Leben strukturiert von Montag bis Freitag. Die Arbeit, auf die wir uns als Schüler und Studierende vorbereiten. Die Arbeit, die wir nach ca. 40 Jahren mehr oder weniger erleichtert hinter uns lassen.
Auf den zweiten Blick sieht das aber ganz anders aus. Das zeigt sich schon, wenn wir nur mal überlegen, in welchen Wortkombinationen Arbeit vorkommt:
Erwerbsarbeit.
Hausarbeit.
Schwarzarbeit.
Und noch viel mehr, überlegen Sie doch mal:
Trauerarbeit.
Familienarbeit.
Unternehmerische Arbeit.
Ehrenamtliche Arbeit.
Strafarbeit.
Drecksarbeit.
Zwangsarbeit.
In unserer Gesellschaft zählt bezahlte Arbeit mehr als unbezahlte Arbeit. Erwerbsarbeit ist gut und wichtig, Schwarzarbeit ist dagegen schlecht. Drecksarbeit ist ungeliebt und eklig. Zwangsarbeit und Sklavenarbeit sind unter uns verpönt. Die Griechen sahen das vor zweitausend Jahren ganz anders! Wie wir Arbeit bewerten ist also nicht fest gemeißelt in Stein.
4. Blickwinkel auf Arbeit
Jetzt möchte ich fragen: Was soll Arbeit eigentlich leisten? Für mich ganz persönlich als Individuum, für uns als Gemeinschaft? Arbeit war ja schon bei den Jägern und Sammlern arbeitsteilig organisiert. All das, was unser Leben ausmacht, geht nur arbeitsteilig. In Kooperation, vernetzt und verbunden. Das wird uns dann zum Beispiel klar, wenn der Strom ausfällt. Oder die Bahn mehr als zwei, drei Tage streikt.
a) Lebensunterhalt
Unstrittig ist ganz sicher, dass Arbeit dazu dient, unseren Lebensunterhalt zu sichern. Man könnte auch sagen: wir sichern unser Überleben durch Arbeit. In unseren Breiten steht das nicht so direkt vor Augen, aber es gibt ja auch andere Gegenden auf unseren Planeten. Und dort ist Überleben, die verzweifelte Frage nach dem Lebensunterhalt sehr wohl ein Thema. Und manchmal, zum Beispiel wenn der Strom ausfällt, merken auch wir, wie dünn das Eis ist.
Also, Arbeit soll Lebensunterhalt sichern. Das ist eine Binsenweisheit. Wenn wir ein wenig nachdenken, dann merken wir, hier geht es aber keineswegs nur um bezahlte, berufliche Tätigkeiten. Natürlich: Landwirtschaft, Wohnungsbau, Verkehrswege, Handel – all das und noch viel mehr ist nötig, um uns den Lebensunterhalt zu sichern. Und in diesen Bereichen verdienen viele Menschen ihr Geld. Geld, das sie wiederum für ihren Lebensunterhalt brauchen. Denn wir leben in einer Gesellschaft, die weitgehend auf Geld als Zahlungs-, ich könnte auch sagen: Tauschmittel setzt. Arbeit gegen Geld. Mit Geld kaufe ich Güter, die andere mit ihrer Arbeit hergestellt haben. Oder ich bezahle Dienstleistungen, die anderen wiederum Geld bringen. Aber zum Lebensunterhalt gehört noch mehr. Kochen. Waschen. Putzen. Kinder groß ziehen. Alte pflegen. Gemüse im Schrebergarten ziehen. Und da wird es interessant, denn auch durch unbezahlte Tätigkeiten wird ein Beitrag zum Lebensunterhalt von Menschen geleistet. Und das wäre dann auch Arbeit. Nicht gegen Geld. Vielleicht aus Liebe? In der Familie? Oder aus Nächstenliebe? Wie jetzt bei der Unterstützung von Flüchtlingen?
b) Lebensfülle
Wenn der Lebensunterhalt gesichert ist, dann beginnt der Bereich der Fülle. Kunst, Kultur, Feste, Feiern, Musik, Reisen – all das, was unser Leben reich und schön macht. Auch damit verdienen viele Menschen ihr Geld, dass sie zum Leben brauchen – und dass sie darüber hinaus gerne ausgeben für die schönen Dinge des Lebens. Aber auch hier zählen unbezahlte Tätigkeiten hinzu, zum Beispiel ehrenamtliche Tätigkeiten. Diejenigen, die es uns heute Abend hier schön gemacht haben, die – arbeiten nach diesem Verständnis.
Der Bereich der Fülle, der schönen Dinge beginnt mit dem Satz: „Ich will mir mal etwas leisten.“ Ich kann mir etwas leisten, wenn die lebensnotwendigen Dinge gesichert sind. Wenn ich das aber konsequent weiter denke, stellt sich irgendwann die Frage nach dem Genug. An Gütern, aber auch an „Arbeit“. Denn irgendwann kommt meine Fähigkeit zu Feiern, zu Reisen, zu konsumieren, mir etwas leisten zu können an eine Grenze. Dann kann ich zwar immer noch weiter horten – Geld, Güter –, aber ich habe nichts mehr davon.
Auf der Seite des Lebensunterhalt gibt es also den Punkt, wo es heißt: darunter ist zu wenig vorhanden. Unter einem bestimmten Level leiden und darben wir, schlimmstenfalls sterben wir. Aber es gibt auf der anderen Seite auch ein zu viel. Am Geld lässt sich das schnell deutlich machen: Irgendwann kann ich das Geld gar nicht mehr ausgeben, was ich immer noch mehr verdiene. Macht das dann noch Sinn? Jesus warnt uns im Gleichnis vom reichen Kornbauern genau davor. Umgekehrt können wir „schöne“ Güter in Massen produzieren und bezahlen – während mein Nachbar, meine Nachbarin auf dem Planeten ächzt und stöhnt. Es gibt ein Genug. Und das ist eine noch relativ neue, aber umso aktuellere Fragestellung. Die Debatte um den ökologischen Fußabdruck macht das deutlich: Wir leben bildlich gesprochen, auf zu großem Fuß. Wir verbrauchen zu viele Ressourcen. Der Klimawandel zeigt es an: Wir heizen die Atmosphäre mit immer mehr CO2 auf. Und bitte, es soll mir keiner sagen, dass es hier in Deutschland an dieser Stelle um die Sicherung des Lebensunterhalts geht. Zumindest bei den meisten von uns geht es um die Erkenntnis, dass wir eigentlich schon weit mehr als genug haben.
Unser aller Arbeit bewegt sich in diesem Rahmen, der unser Leben an beiden Enden bedroht: Auf der einen Seite durch zu wenig, auf der anderen Seite durch zu viel. Der Arbeit ein gesundes Maß geben, so lautet ein Themenheft, dass der KDA in diesem Jahr herausgegeben hat und der Titel nimmt dies auf.
c) Lebensausdruck und Lebensfreude
Arbeit hat aber auch eine individuelle Seite. Jeder von uns möchte gerne so arbeiten, dass die eigenen Fähigkeiten und Stärken zur Geltung kommen. Was wie eine Binsenweisheit klingt, im alltäglichen Leben und vor allem in der Erwerbsarbeitswelt ist das keineswegs selbstverständlich. Wie viele stöhnen unter einem Job, in dem sie nicht vorkommen. Aber ich möchte mich doch in meiner Arbeit ausdrücken können! Ich möchte stolz auf meine Arbeit sein. Sie soll meine Fähigkeiten und Begabungen zum Blühen bringen. Dieser Tage habe ich zwei ganz ähnliche, eindrückliche Berichte von Männern aus dem Management gehört. Der eine sagte: „Ich habe Jahre lang Abteilungen geschlossen, Einsparungen vorgenommen, immer nach den Vorgaben von oben. Und habe selbst sehr gut verdient dabei. Irgendwann habe ich mich vor dem Spiegel gefragt: Wenn du mal in Rente gehst, worauf willst du mal stolz zurückschauen? Ich wusste sofort: Diese Arbeit ist es nicht.“ Beide sind ausgestiegen aus der Karriere und haben andere Wege eingeschlagen, auf denen sie weniger, aber auch noch gut verdienen – aber jetzt sind sie stolz auf ihre Arbeit.
Sinnvollerweise soll mir meine Arbeit darüber hinaus auch noch Freude machen. Einer Arbeit nachzugehen, die zu mir passt und die mir Freude macht, manchmal fällt das auseinander. Ich gehe vielleicht einer Arbeit nach, die ich gut kann, mit der ich Geld verdienen kann und zum Wohl der Gemeinschaft beitragen kann, aber sie macht mir keinen Spaß. Früher hat man das unter dem Stichwort „Pflicht“ verhandelt. Andererseits gibt es aber auch unbändige Freude an bestimmten Tätigkeiten, da bin ich voll motiviert und dabei. Schön, wenn ich Arbeit habe, in der das zusammen fällt, meine Stärken kommen zum Einsatz und mir macht die Arbeit Freude. Ich habe zum Beispiel das Glück, als Pastor im KDA solch einer Arbeit nachgehen zu können und dafür auch noch bezahlt zu werden. Andere empfinden zum Beispiel Freude an ehrenamtlicher Arbeit, die ihnen hilft, einer belastenden und ungeliebten beruflichen Tätigkeit nachzugehen.
d) Arbeit und Frei-Zeit
Aber, natürlich, nicht das ganze Leben ist Arbeit. In unserer jüdisch-christlichen Tradition ist das mit dem Sabbatgebot oder der Sonntagsruhe verbunden. Da sprechen wir gerne von Freizeit. Wir merken an diesem kleinen Wort wieder, wie sehr Arbeit unser Denken bestimmt: Frei-Zeit, von Arbeit freie Zeit. Und das ist okay, solange damit nicht nur Erholung von und für die Arbeit gemeint ist. Freizeit ist mehr. Kreatives Ausspannen, Zeit für die Liebe, Zeit für die Eigen-Arbeit (also Dinge, die ich nur für mich tue), Zeit für Spiel und Feier. So wie es ein Genug an Gütern gibt, gibt es auch ein Genug der Arbeit. Sonst werden wir krank. Menschen, die drei oder vier Jobs brauchen, um grade so über die Runden zu kommen, können ein Lied davon singen.
e) Idealbild von Arbeit und seine Grenzen
Das Idealbild von Arbeit sieht gegenwärtig also so aus:
Ich kann mit meiner Arbeit meinen Lebensunterhalt sichern und ich habe darüber hinaus noch Ressourcen für die schönen Dinge des Lebens, die ich mir leisten kann. Und all das erreiche ich durch eine Arbeit, die meinen Fähigkeiten entspricht und mir Freude macht, die mir aber auch freie Zeit ermöglicht.
Jetzt ist es eine Binsenweisheit, dass das nicht für jede Tätigkeit gleichermaßen gelten kann. In jedem Leben gibt es langweilige und ungeliebte Tätigkeiten. Aber, aus christlicher Perspektive gesagt, wenn eine von diesen vier Aspekten dauerhaft fehlt, dann läuft etwas verkehrt. Denn Gott will, dass wir genug zum Leben haben und unseren Gaben entsprechend handeln können, den Gaben die er uns gegeben hat. Und er will, dass wir Freude dabei empfinden, ich erinnere an das Wort aus Kohelet, dass es nichts Besseres gibt, als fröhlich seiner Arbeit nachzugehen. Der Extremfall ist der Künstler oder die Künstlerin, der/die mit Freude an ihrer Kunst arbeitet – aber am Hungertuch nagt. Brotlose Kunst, sagt man dann. Oder der Landwirt rackert sich Tag für Tag ab, ist mit Freude und Talent an der Arbeit, aber die Preise auf dem Brot- oder Milchmarkt schnüren ihm die Luft ab. Und wie schlimm es ist, von Hartz IV leben zu müssen, kann sich jeder selber ausmalen: Ich habe keine Erwerbsarbeit, ich kann mir so gut wie nichts von den schönen Dingen des Lebens leisten, sehe kaum eine Möglichkeit, meinen Fähigkeiten und Leidenschaften nachzugehen. Schlimm, weil es doch stimmt: Wir sind zum Arbeiten geboren wie die Vögel zum Fliegen. Wir wollen doch arbeiten! Zumindest die aller-, allermeisten. Die sogenannten Faulenzer, die unsere Sozialkassen belasten, ja, es gibt sie, aber jeder Statistiker wird ihnen sagen, die Zahlen spielen keine Rolle, es sind verschwindend wenig.
Mit diesem Idealbild, liebe Männer, können Sie mal durchgehen, was Sie Tag für Tag so tun. Am Arbeitsplatz, zuhause, im Ehrenamt. Was trägt zum Lebensunterhalt bei, was zu den schönen Dingen, worauf sind Sie stolz, was macht Ihnen Freude?
5. Arbeit von Männern und Frauen am Beispiel der Drecksarbeit
Ich komme nun zum letzten Punkt. Bisher kamen wir ja ganz gut weg, wir Männer. Wir arbeiten gerne und Arbeit ist schon unser Thema. Wenn ich in der Gemeinde Männer nach ihrem Beruf gefragt habe, dann fingen die meist an zu sprudeln. Aber wenn wir über Arbeit reden, dann müssen wir noch etwas anderes in den Blick nehmen. Und da wird es für uns Männer eher unangenehm.
Wir, liebe Männer, stehen auf der Sonnenseite, wenn wir über Arbeit sprechen. Frauen dagegen auf der Schattenseite. Das ist jetzt zwar plakativ, und plakativ ist immer auch falsch, aber es hilft manchmal. Denn es provoziert uns und genau darum geht es mir in diesem Abschnitt, ich möchte sie etwas provozieren.
„Das Statistische Bundesamt hat zuletzt 2003 ermittelt, wofür private Haushalte Zeit verwenden. Danach verbringen Personen ab zehn Jahren täglich durchschnittlich acht Stunden mit Schlafen, sechs Stunden für Freizeit und soziale Kontakte, dreieinhalb Stunden mit unbezahlter Hausarbeit und ehrenamtlicher Arbeit, drei Stunden mit Bildung und Erwerbsarbeit, zwei dreiviertel Stunden für Kleidung, Körperpflege und Ernährung. Wenig erstaunlich treten auch geschlechtsspezifische Unterschiede zu Tage: So leisten Frauen mehr unbezahlte Arbeit und kümmern sich mehr um soziale Kontakte, während bei Männern Erwerbsarbeit, Spiele und Mediennutzung dominieren. Mit wöchentlich 25 Stunden gegenüber 17 Stunden wird sogar [von Frauen] mehr unbezahlte als bezahlte Arbeit geleistet. Frauen arbeiten durchschnittlich 31 Stunden unbezahlt, Männer 19,5.“ (Bundeszentrale, 15)
Frauen werden im Schnitt schlechter bezahlt als Männer. Frauen arbeiten mehr als Männer in schlecht bezahlten Arbeiten. Und vor allem Frauen leisten nach wie vor noch die Mehrheit der unbezahlten Arbeiten in der Familie und im Haushalt. Klar, es gibt Ausnahmen. Aufs Ganze gesehen stimmt es trotzdem. Es gibt Berechnungen, dass die unbezahlten Tätigkeiten in Haushalt, Familie, Ehrenamt umgerechnet in Geld unser Bruttosozialprodukt schlicht verdoppeln würden! Diese Arbeiten zählen aber nicht so viel in unserer Gesellschaft. Weil Kochen, Waschen, Reinigen normalerweise nicht bezahlt werden. Das hat mit wichtig und unwichtig zu tun. Bezahlte Arbeit ist wichtiger als unbezahlte. Und wenn die unwichtigen Arbeiten doch bezahlt werden, dann eben schlecht.
Jetzt können Sie sagen: Da kann ich doch nichts dafür, dass ich als Mann geboren wurde. Da muss ich mich doch nicht für schämen! Richtig. Aber die Frage, wie ich mit dem Unterschieden umgehe, bleibt doch.
Sage ich: Tja, Pech gehabt, liebe Frauen, dass ihr mit falschen Geschlecht auf die Welt kamt? Das wäre zynisch.
Oder sage ich: Tja, ist halt so. Kann ich kleiner Mann auch nichts dran ändern. Also, weitermachen wie bisher, läuft doch eigentlich ganz gut. Das wäre die Variante Achselzucken. Manchmal verbunden mit einem kleinen Zugeständnis: Okay, ich bringe morgen den Müll runter.
Das bringt auch nicht viel. Was aber bringt denn was? Was macht Sinn?
Ich glaube, liebe Männer, Sinn macht erst einmal hinschauen. Das bringt was. Erst mal hinschauen. Die Unterschiede wahrnehmen. Und akzeptieren, dass dies so ist mit der Sonnen- und der Schattenseite. Nicht achselzuckend und nicht zynisch. Und auch nicht schuldbewusst. Nein, ich kann nichts dafür als Mann geboren worden zu sein. Ich kann auch nichts dafür als Europäer oder Deutscher geboren zu sein. Und wir stehen immer im Strom der Geschichte, die zu uns gehört und uns prägt und die wir aber auch weiterschreiben. Durch unser Tun und Lassen. Hinschauen hilft. Und dann kann ich versuchen, mich in die Rolle von Frauen hineinzudenken oder zu hineinzufühlen. (Ich kann Frauen auch fragen, aber heute Abend geht das nicht.) Also, den Unterschieden nachspüren, auch den Vorstellungen, die uns prägen, die wir irgendwann gelernt haben. Das bringt eine Menge. Weil wir alle von Bildern geprägt sind, die uns meist nicht bewusst sind, aber unser Denken und Handeln bestimmen.
Ich möchte das am Beispiel der Drecksarbeit verdeutlichen. Die Theologin Ina Praetorius hat das in deutlichen Worten so beschrieben:
„Was man zuweilen ‚Dreckarbeit‘ nennt, kommt häufig mit dem in Berührung, was ‚Kot‘, ‚Stuhl‘, ‚Fäkalien‘ oder ‚Scheiße‘ heißt. Weil alle Menschen Teil der Natur sind, ist es, bei aller Sehnsucht nach reinigender Vergeistigung, ein unabänderliches Faktum, dass wir nicht nur ununterbrochen mit Luft, Wasser und Nahrung versorgt werden müssen, sondern auch Schmutz produzieren. Dreck in allen seinen Spielarten verschwindet nicht von selbst, sondern muss aufgefangen, weggeputzt, in Sanitäranlagen verwaltet, entsorgt oder umgewandelt werden, zum Beispiel in Düngemittel oder Biogas. Insofern arbeitsteiliges Wirtschaften […] eine gesellschaftliche Veranstaltung zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Lebenserhaltung und der Lebensqualität ist, sind Tätigkeiten, die sich mit der Verarbeitung oder Entsorgung von Scheiße und anderen zuweilen als unangenehm oder ekelhaft empfundenen Stoffen – Urin, Leichen, Erde, Dung, Müll… – befassen, nicht nur ein notwendiger, sondern ein zentraler Teil der Ökonomie.“ (Praetorius, 65)
Soweit so gut. Dem stimmen wir zu. Der Dreck muss weg und das ist Arbeit und macht Arbeit. Gern beschäftigen wir uns mit dem Thema aber nicht. Es stinkt halt. So. Und wer macht jetzt den Dreck weg? Vielfach doch Frauen. Auch, weil wir Männer meist wichtigeres zu tun haben. Die Ökonomin Ulrike Knobloch schreibt:
„Führungspositionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind schwer zu erreichen, wenn man von der unbezahlten Arbeit nicht entlastet wird. Schon allein die mit diesen Stellen direkt verbundenen Aufgaben sind von einer Person während der normalen Arbeitszeit nicht zu bewältigen. Ich bezeichne diese Positionen deshalb als ‚No-jobs-for-one-alone‘. Am unteren Ende der Gehaltsskala befinden sich dagegen häufig Personen, die neben der bezahlten Arbeit auch einen Großteil der unbezahlten Arbeit selbst verrichten (wollen oder müssen).“ (Knobloch, 9)
No-jobs-for-one-alone. Jobs, die von einem Mann (oder auch einer Frau) nicht allein zu bewältigen sind. Solche Jobs zwingen mich dazu, zwischen wichtigen und weniger wichtigen Aufgaben zu unterscheiden und letztere auszulagern. Dies gilt insbesondere für die „Drecksarbeiten“ – aus Zeitgründen, und/oder weil ich es mir leisten kann. Sie werden durchaus auch bezahlt, aber schlecht. Dann zumeist von Frauen geleistet, oft außerhalb der Sozialversicherung. Nicht umsonst ist eine der häufigsten Fragen, welche Befürworter/-innen des Bedingungslosen Grundeinkommens gestellt werden: „Wer macht denn dann noch den Dreck weg!?“ Bislang wurde er immer noch weggemacht. Zur Zeit sind es vor allem Frauen, die dies nicht oder schlecht bezahlt tun. Reinigungsarbeiten sind unbeliebt und werden gern ausgelagert, versteckt. Für manch eine, einen ist es unter der eigenen Würde (!), ein Klo oder das Treppenhaus zu putzen. Stellen Sie sich unsern Oberbürgermeister oder Martin Winterkorn oder Uli Hoeneß vor, wie er das Klo putzt. Vielleicht tut er es sogar, aber es passt nicht so recht zu unseren Bildern und Vorstellungen. Umgekehrt: Können Sie sich Angela Merkel mit Putzeimer vorstellen? Schon eher, oder? So ist das mit den Bildern von Arbeit, die uns prägen. Es gibt Vorstellungen von wichtigeren und wertvolleren Arbeiten und weniger wichtigen und wertvollen Tätigkeiten. Und aufs Ganze gesehen, werden Letztere eher von Frauen geleistet. So wird der Dreck weggemacht von denen, die keine andere Erwerbsarbeit erhalten – oder sich keine „Putzfrau“ leisten können. Denn weg muss er nun mal. Dreck beseitigen steht am unteren Ende der Skala. Und er wird immer weiter nach unten in der Skala unserer Wertungen verschoben. Oft von Männern zu Frauen, aber auch unter den Frauen selbst. Die „Verschiebung“ von ungewollten, ungeliebten Arbeiten von denen, die es sich leisten können zu denen, die froh sind um jede Arbeit, diese Verschiebung ist kein reines Männerphänomen. Die Süddeutsche Zeitung hat da vor ein paar Tagen einen Artikel zu geschrieben: „Frauen, die Frauen ersetzen, die Frauen ersetzen.“ Immer mehr deutsche Frauen sind berufstätig, für immer Frauen gilt auch no-job-for-one-alone. 720.000 Arbeitsmigrantinnen leben in Deutschland, die die in unseren Augen unwichtigeren Aufgaben im Haushalt, im Garten, bei der Kindererziehung übernehmen. Und manch einer reibt sich schon die Hände angesichts des Heeres von Flüchtlingsfrauen, die man ja doch unterhalb des Mindestlohns die Drecksarbeiten machen lassen kann, die sollen doch dankbar sein, überhaupt einen Job zu bekommen.
Jetzt könnten Sie sagen: Das ist doch Arbeitsteilung! Haben Sie nicht vorhin gesagt, dass es ohne nicht geht? Ja, habe ich. Oder Sie könnten sagen: So ist halt Marktwirtschaft, Angebot und Nachfrage. Ich sage: Arbeitsteilung und Marktwirtschaft, okay, aber dann bitte soziale Marktwirtschaft. Aber vor allem geht es mir um die Wertschätzung der Personen, deren Würde ich hier beschädigt sehe. Aus der Sicht christlicher Ethik kann es nur einen konsequenten und „radikalem Respekt“ vor jeglicher Arbeit geben. Der Unternehmensberater (!) Andreas Zeuch sagt:
„(Dem Pförtner und die Putzfrau) gebührt derselbe Respekt wie dem Bereichsleiter oder der Geschäftsführerin. Allein schon deshalb, weil ja sonst niemand die Toiletten putzen will – aber sofort angewidert und genervt ist, wenn sie nicht sauber und gepflegt sind. Denn Wert dieser Arbeit können wir zum Beispiel erleben, wenn die Müllabfuhr streikt und es auf den Straßen zu stinken beginnt Auf diesen noch harmlosen Anfang folgen dann Ratten und Ungeziefer, bis schließlich Krankheiten und Seuchen ausbrechen. Nicht viel anders verhält es sich mit dem Reinigungspersonal in Krankenhäuser. Wir leben auf einer dünnen Schicht von Ordnung. Darunter brodelt das Chaos, von Menschen in Schach gehalten, denen wir zu wenig Respekt zollen.“ (Zeuch, 218 und Anm. 123)
Wenn wir über Arbeit nachdenken, dann gilt es zu fragen nach guter und weniger guter Arbeit. Nach sinnvoller und unsinniger Arbeit. Aber nach den Unterschieden, die wir in unseren Wertungen machen. Als Christinnen und Christen sind wir eingeladen, Gottes Perspektive für uns und die anderen zu übernehmen. Und das heißt: Respekt vor jeder guten Arbeit. Respekt vor denen, die unbezahlte Arbeit leisten. Respekt vor denen, die auf dem Markt auf den unteren Schienen tätig sind. Respekt vor allem auch für die, die unseren Dreck weg machen und oft übersehen werden von uns. Mit dieser Provokation entlasse ich Sie nun in die Pause vor der Diskussion und wünsche gute Gespräche!
Literatur
– Bundeszentrale für politische Bildung 2010: Haushalt – Markt – Konsum (Informationen zur politischen Bildung Nr. 308/2010)
– Knobloch, U. 2015: Kritische Wirtschaftsethik aus Genderperspektive. In: Beschorner, T./Ulrich, P./Wettstein, F. (Hrsg.): St. Galler Wirtschaftsethik. Programmatik, Positionen, Perspektiven, S. 263-282
– Praetorius, I. 2015: Wirtschaft ist Care oder: Die Wiederentdeckung des Selbstverständlichen, Heinrich Böll Stiftung Schriften zu Wirtschaft und Soziales Band 16, Berlin
– Wegner, G. 2014: Beruf. Reformation heute. Sozialwissenschaftliches Institut der EKD
– Zeuch, A. 2015: Alle Macht für Niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten
… und hier gibt es den Vortrag auch als Audiomitschnitt zum Hören: