Schwerter zu Pflugscharen

Predigt am 10. August 2014

Dies ist’s, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. (Jesaja 2,1-5)

Jesaja 2

Liebe Gemeinde,
als ich den Predigttext las, hatte ich sogleich zwei Dinge vor Augen.

Zum einen die furchtbaren Bilder aus dem Gazastreifen.
Brennende Hochhäuser,
schreiende Menschen,
verzweifelte Kinder.
Aber auch die Fotos aus den Tunnel der Hamas.
Unheimlich …
Ich konnte mir vorstellen, welche Gefahr für Israels Bevölkerung von hier ausgeht.
Angesichts dieser Bilder, die sich ja endlos fortsetzen lassen:
Wer glaubt noch an diese Vision:
Schwerter zu Pflugscharen.

Das andere ist ein Aufkleber.
Der klebte auf dem Handschuhfach in meinem allerersten Auto.
Das war so Anfang der achtziger Jahre.
Zeit der Friedensbewegung.
Zeit der Demonstrationen in Bonn und Mutlangen.
Schwerter zu Pflugscharen, das war damals ein weit verbreitetes Motto.
Und auf dem Aufkleber in meinem roten Golf stand:
„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin …“

Stell dir vor

Dazwischen liegen bald dreißig Jahre.
Es kam die friedliche Revolution.
Der Fall der Mauer.
Das Ende des Kalten Krieges.
Wie viele andere dachte ich, dass diese uralte Vision des Jesaja mit dazu beigetragen hat.
Eben Menschen für den Frieden zu mobilisieren.
Im Hofgarten von Bonn, montags auf den Straßen von Leipzig.

Weit gefehlt.
Der Krieg auf dem Balkan, fast schon wieder vergessen, ein erster Schock.
Krieg in Europa, doch möglich.
Wir trösteten uns mit der Abrüstung.
Die atomare Bedrohung verschwand.
An deren Stelle traten gut nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Ost und West.

Ja, Krieg gab es weiter überall in der Welt,
In Afrika und im mittleren Osten.
Einer rief sogar den Krieg gegen den Terror aus.
Aber das war doch weit weg.

Dann kam Afghanistan.
Deutsche Soldaten starben im Kriegseinsatz.
Erstmals seit mehr als fünfzig Jahren.
Und Margot Käsmann sorgte für Aufruhr mit ihrem Satz:
„Nichts ist gut in Afghanistan“.

Und in diesen Tagen und Wochen stehen wir weltweit entsetzt vor einem Scherbenhaufen.
In Israel und Gaza gehen Menschen aufeinander los.
So als hätte es auch im Kriegseinsatz humanitäre Absprachen nie gegeben.
Die einen bomben, was das Zeug hält.
Die anderen verbreiten mit ihren Nadelstichen Furcht und Angst.
Und scheuen sich nicht, Zivilisten als Deckung zu benutzen.
Andere muslimische Gruppen ziehen eine Spur von Gewalt, Blut und Verwüstung durch den Irak.
Vertreiben Christinnen, Christen, Jesidinnen und Jesiden.
Sprengen sogar die Gotteshäuser der eigenen Religion.
Wenn sie ihnen zu „liberal“ erscheinen.

Und im Osten, in der Ukraine, nicht so wirklich weit weg von uns, da geht es drunter und drüber.
Noch ist nicht ausgemacht, ob es hier zu weiterer militärischer Eskalation kommt.
Die dann vielleicht eine Größenordnung annimmt, die alles in den Schatten stellt, was wir in unseren Breiten in den letzten Jahrzehnten erlebt haben.

Wo ist der Protest der frühen achtziger Jahre?
Was hat uns damals auf die Straßen getrieben?

Es waren doch Visionen wie dieses Wort des Jesaja.

Wir waren überzeugt:
Es muss und es gibt andere Möglichkeiten.
Als das Rüsten mit Waffen.
Als Konflikt-„Lösung“ mit Gewalt.
Als die ethnische und religiöse Säuberung der eigenen Territorien.
Um – angeblich – in Ruhe unter sich leben zu können.
Und indem die böse Bedrohung durch alles Fremde ausgesperrt wird.
Es gab die Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz von Völkern, Rassen und Religionen.
Die auch in dem wunderbaren Bild von Jesaja aufleuchtet.
Wir waren sicher:
Das ist auch Gottes Wunsch und Wille.
Wir stehen auf der richtigen Seite.

Wer Visionen hat, muss zum Arzt, meinte dagegen Helmut Schmidt.
Wir haben drüber gelacht.
Weil wir wussten, er liegt falsch.
Doch scheint er heute nicht wieder einmal recht zu behalten?

Aber genau hier liegt der Knackpunkt.
„Wieder einmal.“

Es ist ja nicht so, dass Jesaja´s Worte zu dauerhaftem Frieden geführt hätten.
Allein Israel selbst erlebte Gewalt ohne Ende.
Die Zerstörung des Tempels durch die Babylonier.
Die weitgehende Vertreibung durch die Römer.
Den Vernichtungsfeldzug im Holocaust.

Und doch weht aus den Worten des Jesaja etwas herüber, dass Hoffnung macht.
Und es wäre genial und zugleich geboten, wenn diese Vision auch heute zünden könnte.
Und zu einem friedlicheren Umgang miteinander anregen könnte.

Nicht für immer und ewig, nein.
Aber für den Moment.

Ja, es gibt kleinere Demonstrationen in den größere Städten.
Aber nicht einmal ansatzweise ist etwas von der Stimmung der Achtziger spürbar.
Sie trieb uns als Friedensbewegte gegen die Pershing-Raketen auf die Straße
Und ließ in Leipzig Menschen Montag für Montag demonstrieren.

Ich gehe noch einmal zurück in diese Jahre.
Und frage mich:
Was war für mich damals an dem Satz: „Schwerter zu Pflugscharen“ so faszinierend?
Wieso glaubte ich, hier spricht Gott zu mir, zu uns?

Es war das Gefühl, es bewegt sich etwas.
Es war das Gefühl, ich kann mitwirken an einer großen Bewegung.

Schwerter zu Pflugscharen.
Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.

Sätze, die motivierten.
In Bewegung brachten.
Hoffnung stifteten.

Und das ist heute auch möglich.
Vielleicht gelingt es nicht mehr, Hunderttausend im Hofgarten von Bonn zu versammeln.
Aber es gibt andere Möglichkeiten, Schwerter zu Pflugscharen zu schmieden.
Erste Schritte auf dem Weg dorthin sind für mich:

Genau hinsehen.
Und:
Beständig beten.

Genau hinsehen.

Uns werden pausenlos Bilder gezeigt.
Im Fernsehen, im Internet, in der Zeitung.
Von Zerstörung, von Blut, von Tränen, von Wut.
Sie wirken ganz unmittelbar.

Wer kann sich einer vor Verzweiflung schreienden Mutter entziehen?
Oder dem Leid einer Familie,die vor ihrem zerbombten Haus steht?

Genau hinsehen meint nicht, sich so tief wie möglich in die Not dieser Menschen zu versenken.
Sondern:
Von vornherein davon auszugehen, dass wir hier beeinflusst werden sollen.

Es geschieht unendliches Leid ihn den Krisenherden dieser Erde, ja.
Aber die Propagandamaschinen auf allen Seiten versuchen uns pausenlos auf ihre Seite zu ziehen.
Indem sie unsere Gefühle ansprechen.
Es ist schwer, sich dem zu entziehen.

Genau hinsehen meint:
Wenn ich das im Kopf habe, wenn die Bilder mich überfluten, dann hilft mir das.

Jonas Bedford-Strohm hat diese Woche in einem Aufsatz davon so geschrieben:
In dieser völlig unübersichtlichen Medienschlacht, gilt es sich verwirren zulassen.

Verwirren meint:
Nicht dem ersten Impuls meiner Gefühle nachgehen.
Sondern eine Brille aufsetzen und fragen:
Moment, wer hat diese Bilder jetzt gedreht und verbreitet?
Und was will er oder sie mir damit sagen?
Oder:
Welche Auswahl treffen die Medien, angefangen von der Bild-Zeitung bis zur Tagesschau, Heute, FAZ oder Süddeutsche?
Was zeigen sie mir?

Verwirren meint:
Misstrauisch gegenüber dem sein, was mir angeboten wird.
Möglichst viele verschiedene Artikel lesen.
Oder Berichte im Fernsehen von unterschiedlichen Sendern sehen.

Ich weiß, das ist anstrengend.
Wir wollen das nicht.
Bedeutet es doch, mich dem Leid noch länger auszusetzen.
Ich bin doch froh, wenn nach Gaza der Sport und das Wetter kommt.
Aber Schwerter zu Pflugscharen schmieden, das ist keine einfache Sache.
Dienst am Frieden kostet mich etwas.
Mindestens Zeit.
Und Kraft.
Und Nerven.

Und das Hinsehen lässt sich verbinden mit dem beständigen Gebet.

Beten für die verschiedenen Gruppen, Parteien und Anliegen.
Beten meint nicht, die Verantwortung einfach an Gott abgeben.
Nach dem Motto:
Gott, ich kann nichts tun, nur du kannst die Wende schaffen und Frieden.

Natürlich erfahre ich im Gebet die Grenzen meiner Möglichkeiten.
Und die sind oft sehr schnell erreicht.
So gesehen verschärft das Beten meine Ohnmacht.

Beständig im Gebet bleiben, das heißt:
Mir immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass da Menschen in Israel und Gaza, in der Ostukraine, im Irak gerade in diesem Moment unendliches Leid erfahren.
Das mag sich äußern im Stoßseufzer: Gott hilf!

Aber, auch wenn das nach so wenig aussieht, es hilft.
Meinen Blick zu klären.
Und es hilft denen, die das gerade am eigenen Leib erleiden müssen.
Weil sie wissen, andere beten für sie.
Eine Kollegin schrieb gestern im Internet:

„Eben für die Christen im Irak gebetet.
Was soll ich sagen?
Es war beim Beten,
als ob es mich sofort in den Strom tausender Gebete rein zieht,
die überall auf der Welt gebetet werden.
Ich kann das schlecht erklären,
glaube aber, dass man beim Beten durchaus die „Energie“ spürt,
mit der auch andere an der Sache dran sind.
Leute, betet.
Wenn ihr keine Christen seid, meditiert.
Oder schickt gute Gedanken.
Für die Menschen im Irak, im Iran, Gaza, Israel, Ukraine, Russland.“
(Christiane Müller auf Facebook)

Ist mir aus der Seele gesprochen.
Gott wird nicht mit dem Donnerkeil aus dem Himmel herab regieren, das weiß ich.
Aber das wir im Gebet solidarisch Seite an Seite stehen können, das weiß ich auch.
Und es verändert mich und meine Einstellung.
Zu dem, was mir hier und heute begegnet.

Für mich war das ein Schlüsselerlebnis vor einigen Wochen:
Deutschland spielte gegen Brasilien.
Während dieser wahnsinnig tollen neunzig Minuten kamen die ersten Nachrichten über die Medien herein.
Von Raketen auf Tel Aviv und Sirenen und Gegenangriffen.

Unsere Welt ist ganz oft verrückt und absurd und widersprüchlich.
Wir in unserem friedlichen Deutschland vergessen das oft schnell.
Das beständige Gebet an der Seite derer und für die, die in Unfrieden leben müssen, vermag hier die Augen zu öffnen.
Hinsehen und Beten sind daher zwei Seiten einer Medaille.

Schwerter zu Pflugscharen schmieden.
Es gibt die Hoffnung, die Vision vom Frieden.
Es ist Gottes Wunsch und seine Hoffnung für uns.
Lassen wir sie auf uns wirken, sie vermag Kraft zu geben.
Kraft zum Hinsehen.
Kraft zum Beten.
Wenn wir Christinnen und Christen diese Hoffnung nicht mehr haben, wer sonst?
Wir schulden der Welt unser Zeugnis.
Das weiterzugeben, was wir selbst von Gott empfangen haben.
Und täglich neu empfangen:
Liebe, Vertrauen, Zuversicht.
Trotz allem.
Amen.

2 Gedanken zu “Schwerter zu Pflugscharen

  1. Habe das eben gelesen und gedacht…hm, ich weiß nicht, ob das hilft. Dann hatte ich zuende gelesen und ich hatte eine Vision: Schwerter zu Flugscharen. Und aus den Flugzeugscharen fallen Millionen von Gebeten. Auf weißen Zetteln. In verschiedenen Sprachen. Es verwirrt die an den Raketenwerfern. Sie können keine Ziele mehr anpeilen. Vor lauter weißen Zetteln, auf denen Gebete stehen. Es verwirrt die mit den Gewehren. Sie können keine Hinrichtungen mehr vornehmen. Vor lauter weißen Zetteln, auf denen Gebete stehen. Auch in ihrer Sprache. Es verwirrt die Menschen, die aus lauter Verzweifelung nicht mehr wissen, auf wessen Seite sie stehen sollen. Weil sie sich erinnern, dass es auch friedliche Botschaften gibt. Wegen all der weißen Zettel, auf denen Gebete stehen. Von überall her auf der Welt. Schwerter zu Flugscharen.

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