Über meine Söhne habe ich irgendwann erfahren, dass es so etwas wie Onlinegames gibt. Da von Hause aus neugierig bin, habe ich das ein oder andere ausprobiert. So kam ich eher zufällig zum Weltfussballmanager von RB-Games, betrieben von Rudolf Bucklisch. Das Spiel hat mich sofort fasziniert. Grafisch ansprechend, einfach zu verstehen, auf Langfristigkeit angelegt. Erste Erfolge konnte man(n) schnell feiern, wenn man in eine einfache Liga einsteigt, ein interessanter Live-Ticker, in dem die aktuellen Spiele verfolgt werden können, wenn man zuhause ist. Aber am besten gefiel mir, dass ich keine Nachteile habe wenn ich eben nicht zuhause sein kann (was in meinem Beruf oft genug vorkommt) und Einwechslungen oder Taktikwechsel je nach Spielstand eingeben kann.
Ich wählte einen Verein in Ghana. Nach wenigen Tagen überwies ich die 20 € für den VIP-Account, was mir erlaubte, vier Teams auf vier Kontinenten führen zu können und damit jeden Tag auch ein Spiel zu haben. Eine Leidenschaft war geboren.
Schnell meldete ich mich auch in dem dazugehörenden Internetforum an. Der Umgangston war sehr freundlich und von Respekt bestimmt. Den ruppigen, aber abschätzigen Ton, den ich in anderen Internet-Foren beobachtet hatte, gab es hier nicht. Das lag und liegt mit Sicherheit auch daran, dass der Webmaster selbst schwerbehindert (weitgehend blind) ist und er sich daher stark für einen wertschätzenden, freundlichen Umgangston einsetzt.
Schnell checkte ich das Spiel und Umfeld. Ich erfuhr z.B., dass der Webmaster sich hier nach seiner Katze Prinzy nennt. Auch andere, regelmäßige Spieler und Spielerinnen lernte ich schnell kennen. Und die ehrenamtlichen Teammitglieder, die mit Prinzy zusammen arbeiteten und die auf seltsame Namen wie dixis, Scrat, MrSurpirse oder Redlez hörten. Mein Nickname war anfangs noch nicht Eleutheria. Als ich vor dem Registrierungsformular saß, schrieb ich aus einer Laune Feuchtwanger dahin, das war der erste Schriftsteller, der mir in den Sinn kam (und den ich sehr schätze).
Als Feuchtwanger machte ich meine ersten Schritte in der Welt von WFM. Ich tastete mich im Forum langsam vor, meine Teams wurden besser, die Stadien wuchsen. Das Spiel und auch die Menschen im Forum machten mir immer mehr Spaß. So wurde ich nach und nach bekannter. Und ich outete mich in meinem Managerprofil als evangelischer Pfarrer, was zu irritierten, überraschten oder freundlich-interessierten Nachfragen führte. Ich hatte den Eindruck, dass es meinen Beruf aufwertete, dass ein Pfarrer auch solch ein Spiel spielt. Es gab immer wieder, bis heute, gelegentliche Fragen, die mit meinem Beruf zusammen hängen, auch seelsorgerliche Anfragen.
Irgendwann bekam ich dann mit, dass es zum Konzept von RB-Games gehörte, sogenannte »Usertreffen« (UT) zu veranstalten, an denen sich – organisiert von Teammitgliedern oder Rudolf Bucklisch selber – interessierte Menschen treffen, quatschen, spielen, Spaß haben. Ich dachte zwar schnell, schöne Idee, aber dass ich selber mal zu so einem Treffen fahren könnte, das war doch sehr weit weg von mir. Ich fand es eine absurde Vorstellung, mit dem Auto oder Zug durch halb Deutschland fahren, nur um ein paar Menschen zutreffen, die ich überhaupt nicht wirklich kannte und mit denen ich nie auch nur ein Wort geredet hatte. Aber das es andere Manager _innen taten, machte mich nachdenklich, und ja, auch neugierig.
Die Zeit verging, ein Jahr war schnell vorbei, das Spiel machte mir immer mehr Spaß, die Kontakte über das Forum wurden enger. Aus Feuchtwanger wurde eines Tages Eleutheria, diesen Namen hatte ich mir schon früher als Nickname in Skype zugelegt. Eleutheria, auf deutsch: Freiheit. Irgendwann hatte ich mal aus einer Laune heraus die griechischen Begriffe durchgeschaut. Ich fand, Eleutheria klingt gut und hat einen Bezug zur Theologie.
Immer im Juni lädt Prinzy zu seinem Geburtstag zu einem Usertreffen nach Kitzingen ein und es gibt dann auch Infos, Berichte und Bilder im Forum. 2008 im Juni war es wieder so weit – und während die Hartgesottenen sich auf den Weg nach Kitzingen machten, spürte ich auf einmal Sehnsucht und Eifersucht. Reichlich verwundert machte ich mir klar, dass grade in mir der Wunsch wach wurde, ach, wärst du doch auch dabei. Auf der anderen Seite dachte ich, du bist doch bescheuert, du kennst die doch gar nicht…
Der Sommer 2008 kam und als er ging, erschien im Forum die Einladung zum nächsten Treffen im Herbst nach Birkungen in Thüringen. Birkungen, nie gehört, ich schaute auf die Karte, 300 Kilometer. Ich schaute in meinem Kalender, ok, da war am Sonntag Erntedankgottesdienst, aber von Freitag bis Samstag Abend könnte das klappen – ich meldete mich an.
Am besagten Freitag stieg ich dann doch mit etwas mulmigen Gefühlen ins Auto Richtung Osten. Was würde mich erwarten? Da fährst du durch halb Deutschland, um ein paar Menschen zu treffen, die du über ein Onlinegame kennengelernt hast!? Wenn ich das zuhause erzähle… Was ist, wenn du mit denen live überhaupt nicht klar kommst und die »in echt« nicht so sympathisch sind wie über die Datenleitung? Oder was ist, wenn sie dir »in echt« mit Vorbehalten wegen deinem Beruf begegnen?
Fünf, ach, was sage ich, zwei Minuten nach meiner Ankunft war alles verflogen. Ich wurde – wie jede und jeder andere auch – mit großer Herzlichkeit empfangen, das Fachsimpeln über Spielstrategien und anderes mehr beherrschte den Nachmittag.
Und am Abend begann dann die eigentliche Geschichte zwischen mir und Rudi.
Er hatte schon mitbekommen, wer ich bin und zog mich abends, es war reichlich kühl, mit nach draußen, weil er etwas Persönliches mit mir besprechen wollte. Ich wunderte mich erst mal, aber dann erzählte er mir eine Geschichte aus seinem Leben und wollte meine Meinung als Pfarrer dazu hören. Wow, dachte ich, ist das jetzt der Pfarrerbonus, oder ist der immer so, was geht dann gerade hier grade ab?!
Das Treffen ging seinen Gang, ich hatte meine Kamera dabei und fotografierte viel, und als der Samstagabend kam und ich fahren musste, ließ es Prinzy sich nicht nehmen, mich zum Auto zu begleiten und mich sehr herzlich zu verabschieden. Ich war reichlich von den Socken nach diesen zwei Tagen und hatte auf der nächtlichen Heimfahrt einiges zum Nachdenken.
Doch damit war der Bann gebrochen, an den nächsten beiden Treffen in der Schweiz und dann in Kitzingen nahm ich auch wieder teil, wurde mehr und mehr Teil dieser Community. Die Beziehungen wurden enger, Gespräche intensiver.
Anfang Februar 2010 kam das Wochenende in der Wildschönau in Österreich. Das war dann der Punkt, wo aus einer freundschaftlichen Beziehung zwischen Rudi und mir eine Freundschaft wurde. Es hatten sich nur vier Leute angemeldet. Egal, dachte ich mir, du hast deine Bahnfahrt für 29 € gebucht, mach dir ein schönes Wochenende oben in den Bergen auf einer Almhütte. Schon die Hinfahrt war ein Abenteuer mit Zugproblemen und anderem mehr. Ich hatte Prinzy unterwegs in Nürnberg aufgabeln wollen, da gab es dann bahntechnisch eine Panne und unsere Handyakkus litten sehr, bis wir uns in München endlich trafen. In der Wildschönau angekommen, schafften wir grade die allerletzte Auffahrt mit der Seilbahn, hatten ein Riesenzimmer für uns zusammen und fanden einen freundlichen, aber verkaufstechnisch geschickten Hüttenwirt vor, der uns reichlich mit Alkohol versorgte…
Am nächsten Morgen krochen Prinzy und Eleutheria müde und mit ziemlich dickem Kopf früher als die anderen beiden aus den Betten, zogen sich bei großem musikalischem Lärm ein Frühstück rein und begannen zu diskutieren über Gott und die Welt. Mit einem Mal kam dann die Frage: Sag mal, ich überlege wegen der ganzen vielen Kirchensteuer aus der evangelischen Kirche auszutreten, das ist für meine kleine Firma eine große Belastung. Aber ich kenne jetzt dich und würde deine Meinung gerne dazu hören.
Ich war im ersten Moment sprachlos. In solchen Momenten sage ich dann meistens, da muss ich erst mal drüber nachdenken und äußerte mich auch Rudi gegenüber genau so.
Das Treffen nahm seinen Lauf, Spaziergang im Schnee, Schlittenfahren, Bad im Riesenzuber unter nächtlichem Sternenhimmel, Rückfahrt zum Bahnhof nach Wörgl, wo wir zwei Stunden auf unseren Zug warten mussten, während die anderen mit dem Auto weiter fuhren. In der Bahnhofsgaststätte hab ich mir gesagt, okay, jetzt riskiere ich mal offene Worte, alles andere wäre ja verlogen. Also eröffnete ich ihm auf unbequemen Stühlen bei Cola und Kaffee und so weiter, dass ich ihn durchaus verstehen könnte mit der Zwickmühle, aber grundsätzlich einen Austritt natürlich ablehne. Es entwickelte sich ein offenes Gespräch, wir gingen dann so auseinander, dass er vielleicht erst mal mit dem Kirchenamt in Bayern spricht und seine Situation schildert.
Rudi war erleichtert, dass ich das noch mal angesprochen hatte und konnte sich auch auf die Argumente einlassen. Wir fuhren wieder gen Norden, die ganze Fahrt endete genauso chaotisch, wie sie begann. Er stieg in Nürnberg aus, in Würzburg war dann Schluss für mich – der Sturm Xynthia legte den Bahnverkehr lahm. Mit den letzten Akkutropfen rief ich bei Prinzy an und fragte, ob auf seinem Sofa in Kitzingen – zwanzig Kilometer von Würzburg weg – ein Schlafplatz frei wäre… Ich kam zu einer Übernachtung in der Nähe der berühmten Katze, die mich allerdings in Ruhe ließ.
So war ich schon nahe an das ehrenamtliche Team herangerückt und wurde eines Tages für eine Weile Moderator im Forum für ein zweites Spiel von RB-Games. Schließlich kam der nächste Schritt, als wir im Team überlegten, wie wir mit einem Fall von sexueller Belästigung im Spiel umgehen sollten. Hintergrund war, das ein User immer wieder weibliche Spielerinnen anschrieb und anbaggerte. Ich habe mich da schnell mit eingeschaltet. So was geht ja nun gar nicht und als Pfarrer sah ich hier eine Verpflichtung, mich sofort zu äußern und zu positionieren, schließlich ist mein Beruf bekannt im Spiel und Forum.
Der betreffende Mann wurde nach kurzer Zeit wegen Uneinsichtigkeit und Wiederholungsgefahr aus dem Spiel ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang hatte sich eine Diskussion entwickelt, ob nicht ein Spiel, in dem auch minderjährige Jugendliche mit spielen, gut daran tut, einen Jugendbeauftragten zu haben, der für Jugendliche oder auch ihre Eltern als Vertrauensperson ansprechbar ist. Prinzy berichtete von Diskussionen unter Gamebetreibern, zumindest auf freiwilliger Basis so etwas als eine Art Gütesiegel einzuführen. Mir war klar, dass dies darauf hinauslaufen würde, dass ich diese Position übernehmen würde und hatte auch nichts dagegen. Viel zu tun habe ich da nicht, aber ich unterstütze gerne die Konzeption an dieser Stelle.
Fünf Jahre, nachdem ich eher zufällig ins Spiel gestolpert war, gehörte ich nun zum engsten Team von RB-Games. Eine »Karriere«, die ich mir damals nicht hätte träumen lassen. Nach wie vor bin ich fasziniert vom Spiel und der Gemeinschaft. Und ich lerne eine Menge über Menschen und ihre Leidenschaft für Online-Spiele, das erweitert auch meinen Horizont als Pfarrer. Ich habe Freunde gefunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Termin im Juni ist Jahr für Jahr gesetzt. Silvester 2012 haben meine Frau und ich in kleinem Kreis mit einem weiteren Ehepaar (beide auch WFM-Manager) bei Rudi/Prinzy in Kitzingen verbracht.
Im Januar werden es sieben Jahre sein, das ich mich bei WFM angemeldet habe. Mittlerweile war ich schon etliche Male Meister in Ghana und strebe es an, irgendwann mal die afrikanische Champions-League zu gewinnen. Das Spiel finde ich auch nach dieser langen Zeit noch spannend. Die Community im Forum ist etwas zerbröselt, andere soziale Medien wie Facebook und Twitter machen Konkurrenz. Mittlerweile logge ich mich in Spiel und Forum seltener ein als früher, die Freundschaften bleiben aber. Das Wochenende im Juni 2014 ist schon im Kalender markiert.
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Sehr schöner Bericht. Und ich kann alles nur bestätigen. Das Gefühl was man bei WFM erlebt ist einfach super.
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Als ehemaliger Hardcore-Spieler von WFM und Ehrenmitglied des RB-Teams kann ich diesen sehr schönen Artikel nur vollumfänglich unterschreiben.
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Toll erzählt und spannend zu lesen. Auch ich habe über WFM sehr nette User kennen lernen dürfen,woraus auch echte Freundschaften entstanden sind.
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