Dan Kieran: Slow Travel. Die Kunst des Reisens. (Rezension)

»Je mehr wir uns von unserer täglichen Routine entfernen, desto bewusster wird uns, was wir tun, und desto langsamer scheint die Zeit zu vergehen.« (S. 198)

In einem sind wir uns einig – wir steigen in kein Flugzeug. Dan Kieran nicht, weil er Flugangst hat und ich nicht, weil ich nicht weiß, warum ich das tun sollte.

Slow Travel – so heißt das schmale Buch, in dem Kieran von seinen Erfahrungen mit dem Reisen berichtet. Es ist eine Mischung aus Reiseberichten und Reflexionen. Vieles, was er beschreibt, spricht mir aus der Seele. Vieles erlebe ich ähnlich, vor allem, wenn ich mit meinem Rad allein unterwegs bin.

»Wenn man alleine reist, löst sich die eigene Identität auf, besonders wenn man langsam reist und lange unterwegs ist. Man spricht wenig, was an sich schon ziemlich meditativ ist. Dem Geist steht es frei, in oft vernachlässigte Bereiche des eigenen Ichs zu schweifen. Das kann zunächst beunruhigend sein, dich schon bald fühlt sich der Verzicht äußerst angenehm an.« (S. 38)

Genau diese Erfahrung habe ich in den Alpen auch immer wieder gemacht. Schweigen, Einsamkeit und dann ereignet sich irgendwann irgendetwas. Vorausgesetzt, das Tempo ist nicht hoch. Auf dem Rad besteht die Gefahr nicht, und mittlerweile reise ich lieber mit der Bahn als mit dem Auto. Es ist für mich entspannter, trotz der üblichen Probleme mit Pünktlichkeit, Schienenersatzverkehr, Handygesprächen im Abteil und so weiter. Aber mal ehrlich – mit dem Auto ist es auch nicht wirklich toll: Staus, Hitze, Nerven…

Ich frage mich manchmal, ob wir durch die ganze »Zeit-ist-Geld«-Mentalität nicht in einem Wahn gefangen sind: Die Bewegung von hier nach dort soll möglichst schnell und ohne jede Hindernisse funktionieren. Kieran ist auch dieser Meinung. Er spricht von der Abfertigung bei Flugreisen und von der Beobachtung, dass die Reise an sich so unbedeutend wird. Schade eigentlich. Kieran hält gerade die Schwierigkeiten, die überraschenden Hindernisse für die bedeutenden Ereignisse. Das habe ich in diesem Jahr auch erlebt, im Ötztal, tief hinten drin. Eigentlich wollte ich an einem Tag von Oetz mit dem Rad nach Meran fahren. Das klappte aber nicht, durch einen Defekt und mangelnde Kraft in den Beinen. Die Folge: eine ungeplante Übernachtung in Untergurgl. Im Nachhinein: der Höhepunkt dieser Reise. Eine unglaubliche Stille.

Letztendlich kommt Kieran pointiert und provozierend zu der These:

»(Bei Jay Griffith) lernte ich, dass das Wort travel ursprünglich von dem französischen Wort travaille – Arbeit – abstammt, das wiederum auf das lateinische Wort trepalium zurückgeht, das ein dreizinkiges Folterinstrument bezeichnet. Reisen soll schwierig sein. Wir sollen leiden, uns unwohl fühlen und uns Gefahren aussetzen, wenn wir wirklich reisen wollen.« (S. 180f.)

Beißend scharf kann er zwischen Reisen und Tourismus unterscheiden, wobei er so ehrlich ist, dass auch er »Urlaube« kennt, in denen er sich einfach nur an den Strand legt, um sich zu erholen. Mit Reisen hat das für ihn aber wenig zu tun.

»Wenn man genug Geld hat (…), kann man um die ganze Welt fahren, ohne einem einzigen Einheimnischen zu begegnen, außer denjenigen, die einen bedienen – was mehr oder weniger genau das ist, wohin der moderne Urlaub uns gebracht hat.« (S. 203)

Seine Philosophie vom Reisen wird vor allem in den Berichten von Reisen nach Marbella, nach Wien, im Milchauto durch Großbritannien oder eine Adlertour im Dezember nach Mull anschaulich. In Wien z.B. war er etliche Tage und hat nur eine der sogenannten Sehenswürdigkeiten gesehen, ein Bild von Gustav Klimt. Die »großen« Attraktionen verbreiten eher Langeweile und lassen Menschen ratlos zurück, wie er am Beispiel des Buckingham Palast beschreibt. Dort beobachtete er einst die Touristen. Sie stehen plötzlich vor dem Ziel ihrer Reiseführer-Träume (weil »man« da hin muss) – und in den Gesichtern spiegelt sich Ernüchterung, Enttäuschung, weil nichts in einem passiert. Das ist eine schöne Beobachtung. Ich kenne das auch. Mich interessieren eher die Ecken und Kanten, wenn ich mit der Kamera durch eine Stadt streife. Ich suche im Bild festzuhalten, was ich gerade empfinde, was sich mir jetzt aufdrängt – und das sind dann beispielsweise die Regenrinnen in Innsbruck, wie im Juni geschehen.

»Das Wichtigste an jedem Trip – wie man sich gefühlt und was man gelernt hat scheint sich erst Jahre später in der Erinnerung zu manifestieren. Wenn es wirklich wichtig ist, wird man sich daran erinnern.« (S. 34)

Auch hier bin ich nahe bei Kieran, der allerdings aus diesem Grund auch auf Fotos verzichtet. Da bin ich anderer Meinung. Aber mir geht es auch weniger um die Schnappschüsse, sondern um das Festhalten von Emotionen. Reiseführer im üblichen Sinn findet Kieran langweilig und noch mehr, sie bereiten Menschen eher Schuldgefühle (»Das musst du aber gesehen haben!«). Er bereitet sich eher mit Prosa auf die jeweiligen Reiseziele vor (Forsyths Schakal z.B. vor einem Parisbesuch).

Kieran´s Reflexionen sind manchmal interessant, manchmal ermüdend. Die Unterscheidung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte auf Reisen und Urlaub anzuwenden, ist für mich nicht wirklich originell. Am Ende wundert es mich auch nicht, dass er das ganze Leben als eine Reise auffassen kann. Auch nicht wirklich neu. Diese Abstriche muss ich machen und ich gestehe, ich habe einige Seiten überschlagen, weil ich lieber weiter in seinen Reiseberichten lesen wollte. Hier ist er authentisch, spannend und anregend. Das hat mich angeregt, mir über meine Lust am Reisen Gedanken zu machen. Meine eigenen Erwartungen, Hoffnungen und Absichten im Blick auf das Reisen zu reflektieren – dafür bietet Kieran einen schönen Spiegel.

Wer allerdings Pauschalurlaub auf Mallorca oder in Antalya für das höchste der Gefühle hält, wird mit dem Buch nichts anfangen können. Denn:

»Wenn es ums Reisen geht – oder auch um Liebe und Kreativität –, ist es unerlässlich, dass man sowohl die Kontrolle als auch die eigenen Vorurteile aufgibt.« (S. 136)

Dan Kieran, Slow Travel. Die Kunst des Reisens

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