Heute ist wieder einmal der Internationale Tag des freien Sonntags. Vor exakt 1702 Jahren erließ Kaiser Konstantin ein Edikt, mit dem der Sonntag zum arbeitsfreien Tag erhoben wurde – nicht, ohne gleich die ersten Ausnahmen mitzubestimmen.
Vor zwei Jahren habe ich Interviews mit Menschen über „ihren“ Sonntag geführt und in einer Broschüre veröffentlicht. Die Broschüre erschien unter dem Namen „sonntagsfrei“ und ist auf der Website meines „alten“ Arbeitgebers nach wie vor via Download erhältlich.
Gestern fiel mir die Broschüre wieder in die Hände, weil ich wegen des Streiks von ver.di im ÖPNV einer meiner Klassen im Pestalozzi-Seminar eine Aufgabe für den „Distanzunterricht“ stellen musste.
Eines meiner Module, das ich unterrichte, beschäftigt sich mit Sinn und Zweck von Fest- und Feiertagen, und dazu gehört der Sonntag. Vorher sprechen wir allerdings ausführlich über Arbeit – denn ohne ein Verständnis von Sinn und Zweck unserer Arbeit lässt sich schwerlich über den bzw. die Ruhetage sprechen. Dabei schwingt immer die Frage mit, was gute Arbeit ist und welche Bedingungen schlechte Arbeit kennzeichnen.
Wir sind uns immer schnell einig, dass Ruhe mehr ist als Erholung von der Arbeit – für die Arbeit. Weniger Einigkeit besteht bei der Frage, ob es so etwas wie einen gemeinsamen gesellschaftlichen Ruhetag braucht. Reicht es nicht aus, wenn ich für mich einen guten Rhythmus aus Arbeit und Ruhe finde? Menschen, die im Schichtdienst oder in der Freizeitindustrie tätig sind, müssen schließlich auch am Sonntag arbeiten.
Trotz der vielen gut begründeten „Ausnahmen“ sind meine Seminarist:innen in der Regel mehrheitlich dafür, den gemeinsamen Ruhetag beizubehalten. Gerade familiäre Aktivitäten werden hier als Grund genannt.
Die Diskussionen decken sich mit den Interviews in der Broschüre. Diese wurde seinerzeit zu Recht von einigen Leser:innen kritisiert, weil ich viele Lebenslagen wie zB Obdachlosigkeit nicht im Blick hatte und der Kreis der Interviewpartner doch sehr aus „bürgerlichen“ Milieus stammte. Die Kritik ist berechtigt. Allerdings zeigen die Interviews aus dieser eher homogenen Gruppe schon, wie differenziert der Sonntag bzw. das Wochenende wahrgenommen und gestaltet wird.
Ich finde es nach wie vor anregend, mit anderen über den Ruhetag zu sprechen. Es geht dabei implizit immer auch um die Frage, wie ich meine Arbeit, mein Tätigsein bewerte und erlebe.
Daher lese ich auch Artikel, die sich mit der Ruhe beschäftigen. Vor wenigen Tagen erschien in der Zeit – hinter der Bezahlschranke – ein Interview mit Saundra Dalton-Smith unter der Überschrift: „Die meisten Menschen setzen Erholung zu Unrecht mit Nichtstun gleich“. Sie spricht dabei von sieben unterschiedlichen Arten der Erholung, es gibt körperliche, mentale, spirituelle, emotionale, soziale, sensorische und kreative Erholung.
Es lohnt, für sich einmal die sieben Arten durchzubuchstabieren unter der Frage, was könnte gemeint sein und wie erlebe ich das. Für mich neu und spannend war der Begriff der „spirituellen Erholung“. Darunter versteht sie:
Im Kern bezieht sie sich auf die Suche des Menschen nach einem höheren Sinn im Leben. Dies finden viele in religiösen Gemeindestrukturen oder ihrem Glauben an Gott. Wer nicht glaubt, kann spirituelle Erholung in anderen Organisationen finden, die ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit vermitteln. Auch karitative Tätigkeiten können sehr sinnstiftend sein und zur spirituellen Erholung beitragen.
(erschienen am 24.02.2023 auf Zeit Online)
Spirituelle Erholung, das finde ich eine schöne Formulierung. Und in der Definition von Saundra Dalton-Smith wird deutlich, dazu kann der Gottesdienst am Sonntag gehören, muss es aber nicht. Der Sonntag ist nicht für den Gottesdienst da, und in den letzten Jahren, spätestens seit Corona, gehen Kirchengemeinden auch auf andere Tage und Formate. Spirituelle Erholung geht auch am Werktag – aber es ist auch schön und sinnvoll, ihr gemeinsam am Sonntag nachzuspüren. In diesem Sinne wünsche ich ein erholsames Wochenende!