Tschüss Twitter, es war schön mit dir, aber jetzt ist es vorbei

Ich habe drei Anläufe ab 2009 gebraucht, um mich auf Twitter zurechtzufinden. Ab dann habe ich es geschätzt und geliebt.

Viele Jahre war es ein Ort für kollegialen Austausch unter Pfarrkolleg:innen. Mit vielen anderen aus meinen Netzwerken stand ich über Twitter in Kontakt. Lange war es auch der Ort, über den ich Informationen bezog. Meist ging das schneller als über Tagesschau, Sportschau oder kirchliche Medien.

Ich habe in den Jahren immer wieder gesagt: Twitter ist das soziale Medium, das am besten zu mir passte. Kurz, schnell, einfach. Und angenehm.

Nichts mehr ist davon übrig.

Die Diskussionskultur ist zerstört. Informationen bekomme ich gut an anderer Stelle, da ist vieles besser geworden. Kollegialer Austausch tendiert gegen Null – das hat aber auch damit zu tun, dass ich mich aus Langeweile und Ekel vor einer stärker polarisierender und besserwisserischer Sprache nach und nach rar gemacht habe. Im letzten Winter habe ich vier Wochen Twitter-Pause gemacht und nichts vermisst.

In den letzten Tagen bin ich durch die Liste meiner Follower:innen gegangen und festgestellt: Es gibt nur noch wenige Menschen, mit denen so etwas wie Dialog und Austausch stattfindet – und mit fast allen stehe ich auch auf anderen Kanälen in Beziehung. Warum also noch auf Twitter bleiben?

Es war lange Sentimentalität, die mich zögern ließ. Twitter zu verlassen fühlte sich so an, wie einen schönen und sehr vertrauten Ort nicht mehr besuchen zu können. Dabei war der Ort schon lange im Verfall, meine Gefühle haben mir das vernebelt, obwohl ich auf der sachlichen Ebene alles glasklar sah.

Was Elon Musk jetzt hier in wenigen Tagen umgesetzt hat, ist katastrophal. Bei Sebastian Leber lese ich im Tagesspiegel Sätze wie diese (https://www.tagesspiegel.de/meinung/das-neue-twitter-unter-elon-musk-es-ist-schlimmer-gekommen-als-befurchtet-8836084.html – leider hinter der Bezahlschranke):

„Elon Musk hat (…) klargestellt, dass die Kontrollmechanismen noch gar nicht geändert wurden, derzeit also weiterhin die alten Grenzen des Sagbaren gelten. Doch der ausgekippte Hass ist zu groß, als dass seine Mitarbeiter jetzt noch mit dem Löschen hinterherkämen. Sie wurden einfach überwältigt. Man muss sich das mal vorstellen: Es gibt Menschen, die glauben, endlich wieder alles sagen zu dürfen – und das erste, was ihnen dann einfällt, ist Judensau.“

Oder:

„Die Entlassungswelle von Mitarbeitern, die laut Musk zur Wirtschaftlichkeit der Plattform beitragen soll, hat am Freitag auch das Moderationsteam betroffen. Dessen Kapazitäten, gemeldete Hassposts zu überprüfen und gegebenenfalls zu löschen, wurden so zurückgefahren. Zusätzlich hat Elon Musk auch die gesamte Menschenrechtsabteilung des Unternehmens gefeuert. Und die komplette Abteilung ‚Ethik, Transparenz und Rechenschaftspflicht’“.

Und:

„Fatal ist, dass das Ausmaß der schlagartigen Verrohung für einige Nutzer zunächst unsichtbar bleibt: nämlich jene, die selbst nicht Ziel der Attacken sind. Weil sie das Glück haben, zur Mehrheit zu gehören.“

Ich habe mich gefragt: Soll ich mich jetzt darüber freuen, dass ich zu denen gehöre? Oder ist es geboten, für die Mehrheit zu reagieren und zu gehen?

Die Debatte läuft auch schon auf Twitter. Soll ich gehen und mich so zumindest im Akt der Verweigerung solidarisch mit all denen erklären, die unter Hass und Hetze leiden? Oder soll ich bleiben und den Hetzer:innen von rechts und links das Feld nicht überlassen? Doch: Was heißt Letzteres? Muss ich dann nicht konsequenterweise auch in die Debatten einsteigen und mich so bewusst und aktiv zur Zielscheibe machen? Ich glaube, das ist wenig sinnvoll und geht am Kern des Problems vorbei.

Denn Elon Musk ist ein gnadenloser Unternehmer. Seine Argumentation geht dahin, dass er Geld verdienen muss mit „seiner“ Plattform. Dafür braucht es User:innen und Werbekunden. Er kennt nur diese Sprache. Ich nehme ihm einen User weg. Aus reiner Sentimentalität habe ich eben mein Twitter-Archiv angefordert. Wenn ich es habe, kann und werde ich meinen Account deaktivieren.

7 Gedanken zu “Tschüss Twitter, es war schön mit dir, aber jetzt ist es vorbei

  1. Danke für die Gedanken. Mich beschäftigt aber mehr die Frage, ob und was mir ein Netzwerk wie Twitter oder Mastodon bringt. Vor Jahren war mir das sonnenklar, heute weiß ich es nicht mehr. Dialog und Austausch scheinen immer weniger zu gelingen. Noch geht es auf Instagram (in meiner Blase) und auf LinkedIn. Das macht mir den Abschied von Twitter und ggf. Mastodon leichter.

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  2. Ich bin kein Informatiker, sondern ein Ingenieur, der seit inzwischen 25 Jahren Linux benutzt. Seit 22 Jahren Debian.
    Ich war bis 2019 auf Facebook (https://uli.popps.org/2019/05/und-tschuess-facebook/) und suchte mir eine Alternative und fand das Fediverse. Damals brachte ich auf meinem Server nur Mastodon zum laufen. So bin ich da gelandet. Für mich war klar, daß, wenn ich in ein soziales Netzwerk nochmal eintauche, ich mich von keinem Sonst abhängig machen will.
    Also mache ich das selbst, wenn man so will. Ich fühle mich ganz wohl im Mastodon, aber habe inzwischen auch erfahren, daß man von Admins schnell abgeklemmt wird (https://uli.popps.org/2022/10/offener-brief-an-die-admins-von-chaos-social/). Ich sehe es ein, daß es bei Diskussionen, bei Wörten, die man benutzt, Grenzen gibt. Diese Grenzen werden jedoch leider oft schwammig definiert und im Zwiefelsfall wird dann „scharf geschossen“. Da herrscht Willkür. Leider. Und die Illusion, daß im Fediverse Pluralismus und Diskussion angesag ist, die ist stark angeschlagen. Ja, ich bin enttäuscht, aber weniger von den Admins, die que(e)rschießen, sondern deren usern, die sich das gefallenlassen.
    Aber vielleicht wollen sie doch lieber in ihrer Sozialblase wohnen? Ich weiß es nicht.

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    1. Benjamin Koppe

      Hallo Ulrich, ich denke der Unterschied ist, dass die Leute sich ihre Filterblasen stärker selbst aussuchen können. Jeder kann seine eigene INstanz betreiben, jeder kann Leute blocken und ja, Admins können ganze Instanzen blocken. Ich hab bei mir zum Beispiel auch gab .ai geblockt, weil ich das nicht brauche, was da so läuft.
      Und ich kenne auch Deine Seite, ich wurde auch schon – allerdings bei Twitter – völlig unvorbereitet geblockt und von einer Seite, bei der ich dachte, alles sei töfte. Gibt es, Krönchen richten und weiter.
      Es ist natürlich schade, wenn man mit bestimmten Menschen nicht mehr kommunizieren kann, weil man von deren Instanz geblockt wurde. Aber es ist halt auch so: Die Admins machen das oft ohne Geld und in ihrer Freizeit, dass sie da auch mal überreagieren, vielleicht auch nur, um Ruhe zu haben, ist menschlich verständlich.
      Wer trotzdem mit Dir kommunizieren will, kann auf eine andere INstanz umziehen. Wenn nicht, war es wohl auch nicht so wichtig. Ich denke, da muss sich noch viel einrenken. Bisher war das Fediverse eher wenig bespielt, mit mehr Leuten kommen komplexere Probleme, grad auf den größeren Instanzen, a wird Moderation schnell ein full time job oder mehrere.

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  3. Benjamin Koppe

    Verständlich das alles. Ich war bei Twitter immer mal drin, dann wieder nicht und ich glaub in den meisten Fällen auch mit Dir verbunden, auch wenn ich vielleicht nicht viel kommuniziert habe.
    Wie sind die Pläne für die Zukunft? Wechsel zu Mastodon/ins Fediverse, oder doch einfach die alternativen Verbindungswege nutzen?

    Im ersteren Fall würd ich gerne auf kirche.social hinweisen, betrieben von luki.org

    Hab grad gelesen die haben noch Platz aufm Server 😉

    Wie auch immer, Gottes Segen

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      1. Benjamin Koppe

        Mehrwert, keine Ahnung. Gibt vielleicht gar keinen. Aber seitdem bei der Dorflinde die Leute zum Plausch treffen nicht mehr ist, ist das Fediverse ein gewisser, na ja, nicht Ersatz, aber vielleicht Alternative. Weil ist ja doch digital und nicht so beisammen wie in Person.

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  4. Lieber Matthias, schon seit einiger Zeit möchte ich meinen Twitter-Account löschen. Die jüngsten Entwicklungen und dein Blogartikel motivieren mich jetzt, das endlich umzusetzen.
    Liebe Grüße, Regina

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