Liebe Gemeinde,
als in den letzten Wochen mit Menschen darüber sprach, dass ich heute einen Gottesdienst zum Linkshändertag veranstalte, erntete ich sehr verschiedene Reaktionen:
– Einige waren eher spöttisch, nach dem Motto: Was soll der Blödsinn? Das ist doch kein Thema für einen Gottesdienst.
– Einige reagierten überrascht, fragten: Mit so etwas beschäftigt sich die Kirche?
– Und wieder andere fanden das Thema interessant, sagten z.B.: Das finde ich spannend, ich bin auch Linkshänder, aber ich habe da eigentlich noch nie drüber nachgedacht, und es gibt wirklich einen Linkshändertag?
Nun, es gibt den Internationalen Linkshändertag tatsächlich seit 1976, wenn er auch in Deutschland ziemlich unbekannt ist. Eigentlich schade, denn Linkshändigkeit ist für viele Menschen in unserem Land ein Thema, eben weil sie so veranlagt sind. Geschätzt etwa jeder fünfte Bundesbürger ist linkshändig. Viele wissen aber gar nichts davon, weil sie in jungen Jahren umgeschult wurden. Andere nehmen ihre Linkshändigkeit gar nicht als etwas Besonderes war, haben alles immer schon „mit links“ gemacht. Es gibt auch kaum Bücher zum Thema und Herr Felder teilte mir mit, dass er auch kaum auf Filmbeiträge bei seinen Recherchen zu seinem Film gestoßen ist.
Da gibt es Millionen von Linkshänderinnen und Linkshändern, und keiner beschäftigt sich mit dem Thema, obwohl doch heutzutage wirklich jede auch noch so absurde Kleinigkeit in Talkshows ausgebreitet und in Ratgebern plattgetreten wird?!
Naja, ich gestehe, bis vor drei Jahren habe ich mich als Linkshänder auch nicht mit dem Thema beschäftigt.
Ich habe mich zwar schon als Kind geärgert, dass ich immer, wenn eine 13,8 cm lange Linie auf ein Rechenblatt zeichnen sollte, zunächst 30 – 13,8 rechnen musste, weil ich ja im Gegensatz zu den anderen bei der 30 anfange zu zeichnen. Und Scheren fand ich immer schon schrecklich, weil die beim Schneiden weh tun. Dennoch, auf die Idee eine Linkshänderschere zu kaufen wäre ich nie gekommen.
Erst als ich vor drei Jahren das Thema durch Zufall etwas genauer untersuchte und auch in Gruppen und Kreisen darüber sprach, stellte ich fest, dass es Menschen gibt, die immense Probleme mit ihrer Linkshändigkeit haben. Z.B. weil sie rechts schreiben lernen mussten und nicht mit links schreiben durften. Andere berichteten vom moralischen Zeigefinger, der immer hochging, wenn sie als Linkshänderin dem Gast zur Begrüßung das linke Händchen hinstreckte und zu hören bekam: du willst doch nicht etwa das schlechte Händchen der Oma zur Begrüßung geben?!
Da liegen so einige der Probleme begraben, die Menschen mit ihrer Linkshändigkeit haben. Links gilt gegenüber rechts als schlecht oder zumindest als weniger gut. Wir Menschen neigen dazu, die Welt schnell in schwarz und weiß einzuteilen. Die einen sind die Guten und die anderen eben nicht. Und dann entwickeln sich Vorurteile.
So sagte letztens ein Konfirmand ganz spontan, als wir über die Stelle im Glaubensbekenntnis sprachen, wo es heißt, dass Christus zur Rechten Gottes sitzt und ich sagte, nach der Meinung der allermeisten Menschen kann das auch gar nicht anders sein: ja, richtig, die rechte Hand ist ja die gute Hand und die linke die schlechte!
Solche Vorurteile gibt es reichlich. Dazu kommt, dass das, was die Linkshänderin der Linkshänder mit links macht, irgendwie falsch und schief aussieht. Manch einer kann nicht zuschauen, wenn er einen Linkshänder „mit links“ einen Nagel in die Wand schlagen sieht. Und ich gestehe, obwohl ich selbst Linkshänder bin, ich glaube nicht, dass ich mich so ohne weiteres von einem Zahnarzt behandeln lassen würde, der auf der linken Seite Platz nehmen würde…
Zugegeben, dass sind keine wirklichen Probleme, es sind eher Irritationen. Aber für Kinder, die etwas, das für sie selbstverständlich ist, als falsch oder schlecht bezeichnet bekommen, dürfte es schon ein Problem sein. Nämlich das Gefühl vermittelt zu bekommen, irgendwo bist du nicht so ganz richtig, wenn du immer mit der falschen Hand Guten Tag sagen willst…
Es gibt auch ernste Probleme bei Erwachsenen. Gut, ich habe gelernt, bestimmte Gebrauchsgegenstände mit einigen Verrenkungen zu bedienen. Aber als Linkshänder kann ich bestimmte Maschinen gar nicht bedienen. Ich dürfte es schwer haben, als Chirurg zu arbeiten. Es gibt da – so berichten Linkshänder – durchaus diskriminierende Geschichten. In manchen Teilen unseres Landes gibt es immer noch Grundschulen, die der Meinung sind, dass man unbedingt mit rechts schreiben lernen muss. Und es gibt Menschen, wenige, aber es gibt sie, die erhebliche psychische Probleme mit der Tatsache haben, dass sie umgeschult worden sind.
Glücklicherweise gibt es aber auch viel Bewegung in diesen Fragen. Die Zahl der Linkshänderanbieter ist – so weit ich sehe – in den letzten Jahren stark gestiegen. Als ich in dieser Woche zu Schreibwarenhandel Gross ging und nach einer Linkshänderschere fragte, bekam ich sofort eine Bastelschere. Und sogar auch ein Lineal! Und zu meiner großen Überraschung brachte eine unserer Grundschulen zum Projekttag mit Grundschülern eine Kiste mit Bastelscheren mit, in der auch Linkshänderscheren waren.
Also könnte man sagen, ist doch eigentlich alles weitgehend in Ordnung, warum greift jetzt ein Pfarrer das Thema im Gottesdienst auf?
Es sind zwei Gründe, die mich dazu bewegt haben.
1. Wenn Gott in seiner guten Schöpfung die Linkshändigkeit als Spielart mit eingebaut hat wie tausend andere Kleinigkeiten, dann ist es berechtigt, auch diese Spielart einmal nach vorne zu holen und sie ausgiebig zu betrachten. So wie wir vor einigen Monaten hier im Gottesdienst mal ein Gänseblümchen unter die Lupe genommen haben und uns daran gefreut haben. Dabei will ich gar nicht auf die spannenden, aber auch schwierigen Fragen eingehen, ob und in welcher Weise sich die Linkshändigkeit im Gehirn verorten lässt, ob Linkshänder anders empfinden, andere Fähigkeiten und Stärken besitzen als andere.
Interessanter und auch charmanter finde ich die Beobachtung, dass Linkshänder in manchen Lebenslagen offenbar Vorteile haben, die sie manchmal bauernschlau ausnutzen können. Bekannt sind die Beispiel von linkshändigen Boxern oder Tennisspielern, die ihren Gegnern taktische Fragen aufgeben. Das war auch schon zu biblischer Zeit so: im AT wird vor einer linkshändigen Elitetruppe berichtet, die im Kampf unübertroffen war. So ganz nebenbei erfahren wir so, dass schon vor dreitausend Jahren Linkshändigkeit als menschliche Besonderheit wahrgenommen worden ist.
Und so, finde ich, ist es doch schön, sich mal auf lockere und augenzwinkernde Art mit diesem Thema auseinander zu setzen. Wenn Sie, liebe Rechtshänderinnen und Rechtshänder, mal die Werkzeuge für Linkshänder in die Hand nehmen und betrachten, und sagen, ah ja. Das passiert nichts Großes. Aber ein paar kleine Aha-Erlebnisse. Und das ist viel wert! Gott hat uns so geschaffen mit unseren Begabungen und Stärken, wie mit unseren Schrullen und Schwächen. Und es ist in seinem Sinne, auch die scheinbar kleinen und unbedeutenden Dinge des Lebens zu betrachten und sich daran und darüber zu freuen.
2. Aber es ist auch in Gottes Sinn, und damit komme ich zum zweiten, die kleinen Benachteiligungen anzusprechen. Es gehört zum Aufgabe der Kirche, sich für Benachteiligte einzusetzen und Probleme öffentlich anzusprechen, Vorurteile aufzudecken und zu bekämpfen. Das folgt aus der Zuwendung Gottes gerade zu den Kleinen und Geringen, wie Jesus es uns vorgelebt hat. Dabei muss es nicht immer um die großen und weltbewegenden Themen gehen, sondern auch um die ganz kleinen Dinge des Lebens.
Dabei möchte ich jetzt nicht mit erhobenen Zeigefinger hinstellen und sagen: ihr bösen Rechtshänder, benachteiligt die Linkshänder nicht! Nein, das meine ich nicht. Aber ich habe ja eben schon davon erzählt. dass vor allem ältere Leute zumindest in ihrer Kindheit und Jugend massiv unter den damals offenbar noch viel ausgeprägteren Vorurteilen zu leiden gehabt haben, die das rechte Händchen als das gute und das linke als das schlechte Händchen hingestellt haben. Es tut einem solchen Linkshänder eben einfach gut, wenn er oder sie vielleicht nach Jahrzehnten sich mit einem Stück seiner eigenen Geschichte auseinandersetzen kann, vielleicht auch Verständnis für unangenehme Erlebnisse aus lange vergessener Zeit entgegen gebracht bekommt. Dies ist ein Stück Seelsorge an Linkshändern.
Zum anderen aber gilt es für die Kirche aber immer auch, vor ihrer eigenen Tür zu kehren. Unreflektiert transportieren manche biblische Texte die uralten Vorurteile über links und rechts. Selbstverständlich ist es im großen Gleichnis Jesu vom Weltgericht so, dass die guten Schafe zur Rechten in ewige Heil gehen, während die schlechten Schafe zur Linken in die ewige Verdammnis wandern. Und selbstverständlich führt die Rechte Hand Gottes den Sieg herbei und nicht die linke. Hier werden ganz unbewußt die offenbar damals schon vorherrschenden Vorurteile in die biblischen Geschichten übernommen und dies hat sich später in der christlichen Kunst fortgesetzt. Hier sind auf vielen Bildern auf der linken Seite die Schlechten und auf der rechten Seite die Guten abgebildet. Hier gilt es bei der Auslegung von Texten und der Interpretation von Kunstwerken auf diese verborgenen Vorurteile aufmerksam zu machen.
Und im ganz normalen Leben? Erhebe deine Stimme für die Schwachen, heißt es in der Bibel. Und das sind aus meiner Sicht vor allem linkshändig veranlagte Kinder. Da, wo die meisten erwachsenen Linkshänderinnen und Linkshänder drüber schmunzeln können, bei kleinen Kindern ist das anders. Sie verstehen buchstäblich die Welt nicht, wenn ihre linke Hand, die für sie wichtig und die richtige ist, plötzlich die falsche ist. Da ist noch viel an Aufklärung zu tun. Ich habe mir nach dem ersten Linkshändergottesdienst ganz bewusst vorgenommen, einem Kind, das mir die linke Hand zum Gruß entgegenstreckt, ebenfalls die linke Hand zu geben. Das hat schon zu einigen interessanten Gesprächen mit Eltern oder Großeltern geführt. Denn die alten Vorurteile sind immer noch lebendig und werden weitergegeben, wie auch die Äußerung meines Konfirmanden zeigt.
Und ich habe mir jetzt vorgenommen, ich werde mich erkundigen, wie das bei den Einschulungsuntersuchungen für angehende Grundschulkinder hier in Voerde ist, ob da nach Linkshändigkeit von vorne herein gefragt wird und dies notiert wird. Und ich werde weiter in meinem Kindergarten mal nachfragen, ob und wo da auf Linkshändigkeit geachtet wird und ob da z.B. linkshändige Bastelscheren vorhanden sind.
Kleinigkeiten, sicher. Aber die machen doch unser alltägliches Leben aus. Und nicht die sogenannten großen Themen. Und unser Gott ist an unserem ganzen Leben interessiert, nicht nur an den großen Fragen und Problemen.
Amen.