Klarheit durch Präsenz oder: meine ganz persönliche Corona-Krisenbewältigung

März 2020, die ersten Wochen im Lockdown.
Ich bin fasziniert, neugierig, erschrocken.
Und stumm.

Ich spreche mit meiner Frau auf langen Spaziergängen.
Ich telefoniere, lerne Zoom und Co, kommuniziere in den sozialen Netzwerken.
Ich rede viel, finde kaum Worte für das, was ich fühle.
Irgendwann schleicht sich die Ahnung in mein Herz:
Deine vertraute Welt geht gerade unter.
Langsam, aber stetig.

Kurze Zwischenzeiten kommen.
Sonne, Wärme, draußen sein, im Café sitzen.
Im August 2020 bin ich mit jungen Leuten in Griechenland.
Im Herbst ein Wochenende in der Akademie in Neudietendorf.
Das und anderes lenkt mich ab.
Von der Gewissheit, dass sich noch sehr viel mehr ändern wird.

Der Winter 2020/21, gefühlt eine einzige Katastrophe.
Immer wieder neue Einschränkungen.
In meinem beruflichen Umfeld, in Arbeitswelt und Wirtschaft, geht es drunter und drüber.
Wo anfangen?
Nichts ist greifbar.
Immer stärkerer Nebel breitet sich um mich herum und in mir aus.

Ich habe mich an Zoom gewöhnt, gebe digitale Workshops.
Das ist spannend, manchmal befriedigend oder gar schön.
Aber der Bildschirm schaut mir starr und kalt entgegen.
Immer noch und immer mehr.
Ich rede digital und fühle mich einsam.

Was einst lebendig sprudelte, tröpfelt traurig.
Ich brauche das Gespräch im Café, auf dem Gang.
In der Bahn, bei Sekt und Schnittchen auf einem Empfang.
Ich brauche den fremden Betrieb, die fremde Stadt, das ferne Land.
Ich muss die anderen sehen und fühlen, vielleicht auch riechen.

Die winzigen Bewegungen wahrnehmen.
Auch die kleinen Widerstände, in mir und den anderen.
Digital geht das nicht.
Nicht für mich.

Sommer 2021.
Ich darf drei Monate eine berufliche Auszeit nehmen.
Nichts anderes tun als lesen, schreiben und ein klein wenig reisen.
Ich verschlinge zahlreiche Bücher, schreibe Essays.
Ich bin erneut Griechenland, diesmal zwei Wochen.
Bei 40 Grad und den Waldbränden wenige hundert Kilometer südlich.

Das Fenster schließt sich wieder.
Das Virus schlägt zurück.
Trotz aller Impffortschritte geht es erneut nach Hause in die Isolation.
Vor die Kacheln auf dem Bildschirm.
Vieles, was geplant wurde, wieder abgesagt, digitalisiert.
Das deprimiert.

In diesen Monaten höre ich immer wieder:
Corona löst eine Sinnkrise in mir aus.
Irgendwie geht es mir auch so.
Um es mit Frithjof Bergmanns berühmten Mantra von New Work zu sagen:
Ich weiß immer noch, was ich wirklich wirklich will, vielleicht klarer denn je.
Aber wie und wo, alles ist unklar, brüchig, verzwickt.

Dann kommt der Moment im November, der alles ändert.
Hoffnung schafft.
Mich aufatmen lässt.

Eine Arbeitsgemeinschaft trifft sich nach anderthalb Jahren wieder in Präsenz.
Wir reden zwei Tage von morgens bis abends.
Beim Frühstück und Mittagessen, auf den Wegen in Nürnberg.
Beim Abendessen, in den Arbeitsphasen, in den Pausen.
Abends verfolgen wir, wie Eintracht Frankfurt im Europacup spielt.
Und reden dennoch immer weiter.
Wir haben uns so viel zu erzählen.
Es tut unglaublich gut.

In diesen Tagen wird mir klar:
Es wird eine Zeit kommen, in der wir wieder miteinander reden werden.
Auf Parkbänken, auf Festen und Tagungen, in der Kantine.
Wir haben so viel zu erzählen.
Ich spüre die Lust dazu, bei mir und anderen.
Das Neue aufbrechen.
Der Nebel wird sich lichten und Klarheit einziehen.

Februar 2022.
Die Sonne schimmert durch das milchige Weiß.
Ich erlebe die ersten kleinen Pflänzchen des Neuen.
Hier und da.
Zart und flüchtig.
Unaufhaltsam.

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