Wer sich gegenwärtig mit Öffentlichkeitsarbeit befasst, wird erschlagen von der stetig wachsenden Fülle von Formaten und Plattformen. Viele öffentliche Institutionen stehen vor der permanenten Herausforderung, hier Schritt zu halten. Dabei reagieren sie häufig in der Weise, dass sie die für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Personen damit beauftragen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen. Sollen hier qualitativ hochwertige Ergebnisse erzielt werden, entsteht ein Dilemma, das ich überspitzt so beschreiben möchte:
Entweder muss jede Einrichtung spätestens im Jahrestakt das Personal aufstocken, um Schritt zu halten. Mit diesem Weg aber wachsen die entsprechenden Abteilungen Jahr um Jahr und die Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen den Öffentlichkeitsmitarbeitenden und den „eigentlichen“ Fachleuten ebenso.
Da dieser Weg unwahrscheinlich oder allein aus finanzieller Sicht ausgeschlossen ist, können die Öffentlichkeitsmitarbeitenden nur auswählen, wo sie sich – begründet und in Absprache mit den Vorständen o.ä., versteht sich – engagieren. Die Schulung von Mitarbeitenden für die Zuarbeit oder die Vorbereitung von Veröffentlichungen nimmt hier einen besonderen Raum ein. Dies braucht Zeit, oft so viel Zeit, bis ein neues Medium schon nicht mehr neu ist. Oder das Ergebnis bleibt zwangsläufig häufig dilettantisch und ist im Endeffekt eher negative statt positive Werbung. Dies wissen die dort Tätigen meist selbst und es entsteht Frust. Besser kann ich es aber nicht, so könnte der verzweifelt-resignierte Aufschrei auf beiden Seiten lauten.
Ich beschäftige mich seit Jahren aus einer „komfortablen“ Position mit diesen Fragen. Komfortabel meint, ich bin kein hauptamtlicher Öffentlichkeitsmitarbeitender, sondern all das, was da in den letzten zwanzig Jahren über uns hereingebrochen ist in seiner Vielfalt und Abgründigkeit fasziniert mich. Das Evangelium hat aus meiner Sicht seit je her eine Tendenz, aktuelle Kommunikationswege und -techniken zu nutzen, wenn auch Institution und Tradition von Kirche hier auf der anderen Seite oft hemmend wirken.
Ich habe mich immer „nebenbei“ mit den sozialen Medien befasst und dieses „Nebenbei“ ist dabei mehr und mehr zu einem Schlüsselbegriff geworden. Dabei leitet mich die Erfahrung, dass soziales Netzwerken nur gut sein kann, wenn ich es quasi nebenbei machen kann. Es muss zu mir passen, sei es nun Twitter, Facebook, Pageflow oder was auch immer. Sonst ist/wird es anstrengend und das sieht man dem Ergebnis an – es wirkt bemüht. Wenn ich gefragt werde, sollen wir uns als kirchliche Einrichtung auch noch auf Facebook präsentieren, dann lautet meine Antwort: Nur wenn ihr eine oder einen habt, die/der das mit Leidenschaft nebenbei macht.
Nebenbei meint dabei: Es muss wie selbstverständlich sein, mal eben einen Tweet posten oder eine Statusmeldung auf Facebook oder ein Foto auf Instagram. Und gleiches gilt für die aufwändigeren Formate wie ein Blog, eine Website, ein Pageflow. Und gerade in der stetig wachsenden Zahl von Formaten, die immer variantenreicher und spezieller werden, sehe ich hier eine Chance für Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie die Kunst des Nebenbei zum Maßstab macht und diese in ihren Einrichtungen zu implementieren sucht.
Was meine ich mit der Kunst des Nebenbei?
Diese Kunst hat ein Standbein und ein Spielbein.
Das Standbein sind die Kulturtechniken, die ich heute als Arbeitgeber/-in voraussetzen kann und von meinen Mitarbeitenden erwarten kann. Diese Techniken können dann wie selbstverständlich angewendet werden. Dabei gilt es sich darüber zu verständigen, welche der heute auf dem Markt der Möglichkeiten befindlichen sozialen Netzwerkformate bereits zu diesen allgemeinen Kulturtechniken gehören.
Ich habe das für mich vor Jahren an einem Beispiel gelernt. Innerhalb von drei Jahren führte ein und dieselbe Organisationsberatung die Untersuchung von zwei Verwaltungseinheiten in meinem ehemaligen Kirchenkreis durch. Im Abschlussbericht der ersten Untersuchung hieß es sinngemäß: „Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeitenden geschult werden in der Handhabung von Officeprogrammen.“ Drei Jahre später las ich dann: „Grundkenntnisse in Word und Excel können von den Mitarbeitenden erwartet werden, ggf. haben diese selber dafür Sorge zu tragen, dass sie sich hier weiterbilden.“
So wirklich dramatisch war das alles nicht, weil mittlerweile Grundkenntnisse entweder in der Schule vermittelt wurden oder die Menschen selber auch aus privaten Gründen ein Interesse daran hatten, die entsprechenden Programme nutzen zu können, nebenbei, sozusagen. Genau diesen Effekt einer kohortenmäßigen Verschiebung von dem, was als grundlegende Kommunikationstechniken vorausgesetzt werden kann, gilt es zu nutzen. Es ist immer eine besondere Herausforderung für viele ältere Mitarbeitende, die hier schnell eine Entwertung ihrer bisherigen Kulturtechniken vermuten und verbissen und/oder gekränkt sich neuen Wegen verweigern. Hier ist Geduld und Fingerspitzengefühl nötig, und das weiter unten beschriebene Spielbein kann helfen.
Im Blick auf die explodierenden Möglichkeiten, die die sozialen Netzwerke heute bereit stellen, stellt sich mir aber die Frage, ob die hauptamtlichen Öffentlichkeitsarbeitenden an dieser Stelle nicht entlastet werden können. Kann nicht vorausgesetzt werden, dass heutige Mitarbeitenden Grundkenntnisse darin besitzen, Fotos im Netz zu veröffentlichen, Kurztexte von 140 Zeichen zu twittern, eine Ankündigung auf der Website oder auf Facebook zu posten? Zumindest was die gemeinschaftliche Pflege einer Website anbetrifft, möchte ich dies postulieren. Und es entlastet die Hauptamtlichen um eine Menge Alltagskram. Klar, die Hierarchie wird flacher, aber wollen wir das nicht so oder so?
Ich plädiere also dafür, zumindest die Kulturtechnik Websitepflege (nicht Programmierung!) als Voraussetzung zu sehen, die gegeben ist. Oder vorausgesetzt werden kann. „Nebenbei“ zu erledigen wie telefonieren, Emails schreiben. Das ist das Standbein.
Das Spielbein fragt nun, welche Vorlieben und Fähigkeiten habe ich in meinem Betrieb, meiner Abteilung, meiner Einrichtung? Alle sozialen Formate bedienen zu wollen führt, wie schon oben beschrieben, in die Überforderung und zieht dilettantische und somit wohl zumeist kontraproduktive Ergebnisse nach sich. Ist es nicht sinnvoller zu fragen: Habe ich Menschen, für die Facebook oder Twitter so selbstverständlich ist, dass sie dies nebenbei machen könnten? Habe ich Menschen, die mit ihrem guten Blick dafür prädestiniert sind, Fotos, „Schnappschüsse“ zu schießen und sie auf Instagram zu posten? Habe ich Mitarbeitende, die Lust am Erzählen haben und gerne an Pageflows tüfteln? Habe ich Mitarbeitende, denen das Schreiben von Texten leicht fällt, so dass sie „wie nebenbei“ ein Blog führen können?
Ganz klar: Nebenbei meint nicht in meiner Freizeit! Öffentlichkeitsarbeit verstehe ich in einer sich stets digitaler und virtueller präsentierenden Welt als Teil jedes (!) Arbeitsplatzes, für den entsprechende Zeitfenster bereit gestellt werden müssen. (Und dabei kann „nebenbei“ auch gefragt werden, welche alten Zöpfe aufgegeben werden können, um Platz zu schaffen.) Diese zeitlichen Ressourcen vorausgesetzt, öffnet sich in einem Konzert der Formate auch die Tür, Menschen mit ihren Fähigkeiten einzubeziehen, die sich mit den neuen Techniken schwer tun. Diese Abstimmung und Differenzierung zu managen, wäre erste und vorrangige Aufgabe der Öffentlichkeitsmitarbeitenden. Neben der Aufgabe, den Markt der Möglichkeiten im Auge zu behalten und neue Angebote zu machen – motivierend, nicht fordernd. Ihre zweite Aufgabe wäre darauf zu achten, welche „Veröffentlichungen“ von Inhalten welcher Art auch immer sich dafür eigenen, „nebenbei“ auch noch an anderer Stelle genutzt zu werden. Also: Ein Vortrag oder eine Predigt wird als Audio-/ oder Video-File mitgeschnitten und ins Netz gestellt. Ein/e Superintendent/-in wird im Lokalradio interviewt, vielleicht gibt der Sender das Interview zur Verbreitung frei. Und so weiter und so fort.
Im Idealfall entsteht um eine von allen gemeinschaftlich gepflegte Website ein Blumenstrauß mit guten, weil nebenbei und damit authentisch gestalteten weiteren Angeboten der Präsentation meiner/unserer Inhalte im Netz und der damit verbundenen Einladung zur Kommunikation. Quasi nebenbei.
Pingback: Sozialanwaltschaft – Barmherzigkeit drängt auf Gerechtigkeit | matthias jung
Hat dies auf Θ TheoNet.de rebloggt und kommentierte:
„Haben Sie Spaß!“, so heißt es in den Social Media Guidelines der drei NRW-Landeskirchen. Social Media „nebenbei“ zu machen, kann nur gelingen, wenn der Twitterer, die Bloggerin, der Snapchatter oder die Facebookerin auch für ihre Einrichtungen gerne in den jeweiligen sozialen Netzwerken unterwegs sind. Wenn fachliche und Social Media-Kompetenz so zusammenkommen, ist wird die institutionelle Kommunikation im besten Sinne des Wortes persönlich.
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