Sprachlos sein.

Drei Tage, drei Tagungen, drei Blickwinkel, viereinhalb Monate im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA)

Drei Tage, drei Tagungen, drei verschiedene Blickwinkel auf Arbeit und Wirtschaft.

Zunächst in Hannover, internes Fachgespräch mit Vertretern von E.ON und Ver.di.
Über die Herausforderungen der Energiewende für einen der vier großen Player auf dem deutschen Strommarkt.
Über die anstehende Aufteilung des Konzerns in zwei Teile zum Beginn des nächsten Jahres.
Über die daraus folgenden Konsequenzen für Verbraucher/-innen und Beschäftige.

Vorgestern in Osnabrück, Studientag der Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaft.
Es geht um Europa.
Ricard Bellera-Kirchoff berichtet als Gewerkschaftler über die Folgen der Finanzkrise in Spanien.
Es wird intensiv darüber diskutiert, wie Gewerkschaften in Deutschland sich hier positionieren und verhalten können oder sollten.

Gestern schließlich in Bad Godesberg, Fachtagung in der Akademie Rheinland.
Thema:
Christliche Unternehmensführung – Können wir (uns) das leisten?
Unternehmer/-innen und Verantwortliche aus dem Bereich der Diakonie diskutieren intensiv und kontrovers.

Drei Tage, drei Tagungen, drei verschiedene Blickwinkel auf Arbeit und Wirtschaft.

Dreimal erlebe ich mich als aufmerksamen, aber stummen Zuhörer.
Ich versuche, die verschiedenen Blickwinkel zusammenzubringen.
Es gelingt mir nicht.
Ich schaue mit EO.N auf Spanien.
Mit Spanien auf die engagierten christlich orientierten Unternehmer/-innen in Wirtschaft und Diakonie.
Und mit deren Erfahrungen auf das, was ich von EO.N und Ver.di gehört habe.
Ich frage mich:
Hat das alles etwas miteinander zu tun?
Sind das tatsächlich alles Akteur/-innen in ein und derselben Ökonomie?

Das ist natürlich eine rhetorische Frage.
Aber indem sie sich mir stellt, wirft sie ein Licht auf die verwickelten, verknoteten Strukturen, in denen wir uns alle arbeitend und wirtschaftend bewegen.
Und es ist kaum möglich, Kriterien für das Handeln zu finden, die allüberall gelten.
Das Gespräch ist dafür wichtig.
Austausch, Diskurs, Streit.
Und Transparenz.
Doch wie kann das gehen, wenn jedes Gespräch neue Einsichten eröffnet und neue Fragen stellt?

Ich fühle mich überfordert.
Und erleichtert.

Überfordert, weil mir in diesen drei Tagen kaum etwas eingefallen ist, wie ich diese teils dramatischen Herausforderungen bewerten könnte.
Nun mag man einwenden, dass musst du ja auch nicht.
Stimmt.
Aber als Sozialethiker in einer Referentenstelle des KDA wird nicht nur zuhören und Verständnis äußern erwartet (das auch).
Sondern auch Antworten auf die Frage:
Sag mal, wie siehst du das?

Erleichtert, weil ich derzeit nirgends in der Situation stehe, Entscheidungen in wirtschaftlichen Fragen mit vorzubereiten und treffen zu müssen.
Das war noch vor nicht allzu langer Zeit anders.
Als Mitglied in Leitungsgremien auf verschiedenen kirchlichen Ebenen war ich daran beteiligt.
Oft auch federführend.
Gehandelt habe ich hier aus langjähriger Erfahrung.
Ich könnte auch sagen, aus Routine.
Oder gewohnheitsmäßig.
Ob das immer gut ist?

Die Referententätigkeit tut mir gut.
Weil sie mir viele (!) neue Blickwinkel eröffnet.
Routinen und Gewohnheiten in Frage stellt.
Ich habe derzeit nichts zu entscheiden oder auf den Weg zu bringen.
Nur zuhören ist meine Aufgabe.
Und erzählen.

Erzählen.
Aufnehmen, was ich höre und weitererzählen.
So in Gespräche neue Blickwinkel einbringen.
In diesen drei Tagen ist mir das nicht gelungen.
Vielleicht war es zu viel Input, es ging ja Schlag auf Schlag.
Aber grundsätzlich, ja, das geht schon.
Das Gehörte drehen und wenden und weitererzählen.
Und:
Es deuten im Licht biblischer Erzählungen und theologischer Grundsätze.

Gestern gab es schon den ein oder anderen interessanten Impuls, den es lohnt, weiterzuerzählen.
Zum Beispiel:

Christliche Unternehmen, christliche Unternehmer/-innen sind nicht „besser“, moralischer oder ethischer als andere.
Diejenigen, die hier handeln, stehen wie alle anderen unter dem Dictum Luthers:
Simul iustus es peccator.
Auf deutsch:
Sowohl (von Gott) gerecht (gesprochen) als auch Sünder.
Das wird mitunter vergessen.
Wir erwarten von uns Christ/-innen mehr als von anderen.
Und reagieren schnell empfindlich, wenn wir von außen genau darauf angesprochen werden.
Nehmen wir so unsere eigene christliche Botschaft nicht ernst?

Oder:

Kirchliche oder diakonische Einrichtungen sind nicht besser als andere.
Hier waren sich die Fachleute weitgehend einig:
Die sinnvollen Führungsgrundlinien für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln unterscheiden sich nicht von Unternehmen in der freien Wirtschaft.
Worin liegt dann aber der „Mehrwert“ christlicher Unternehmen in der Diakonie?
Im Angebot, so der Leiter einer großen diakonischen Einrichtung im Rheinland, im Angebot.
Hier muss deutlich werden, woher wir kommen und wovon und woraufhin wir leben.

Drei Tage, drei Tagungen, drei verschiedene Blickwinkel auf Arbeiten und Wirtschaften.
Nach genau viereinhalb Monaten Referent im KDA der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.
Ich bin sprachlos.
Nachdem ich viele Jahre in der Gemeinde fast täglich reden musste, tut mir das gut.
Alles hat seine Zeit. (Kohelet 3,1)

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