Harald Welzer beschreibt in seinem Buch „Selbst denken“ folgende Begebenheit.
Bei einem offiziellen Essen wurde ihm Thunfisch vorgesetzt wurde.
Thunfisch geht für ihn gar nicht.
So stand er vor der Frage, wie mit der Situation umgehen (S. 226-229)
Ich habe mich gefragt, warum ausgerechnet Thunfisch?
Vielleicht liegt es daran, dass ich gerne Thunfisch esse.
Außerdem erschreckte mich die Radikalität des Welzer´schen Nein.
Dabei hat er ja recht.
Mein Problem ist hier wie an anderen Stellen:
Ich nicht weiß, wo ich anfangen und aufhören soll.
Ein moralisch perfektes Leben scheint rein praktisch unmöglich.
Bei aller Anstrengung – es dürfte kaum einem, einer Mitteleuropäer/-in gelingen, den persönlichen ökologischen Fußabdruck auf 1,0 zu setzen.
Das heißt aber ja nicht, dass nichts möglich wäre.
Im Gegenteil.
Viele Menschen engagieren sich an den unterschiedlichsten Stellen.
Sie bemühen sich zu tun, was sie können.
Und was mit ihrer Grundüberzeugung übereinstimmt.
Sie tun es im Wissen, dass es letztlich unzureichend ist.
Wir tun es trotzdem, weil wir sagen:
Einfach so weiter geht auch nicht.
Unsere inneren Beweggründe können dabei sehr unterschiedlich sein.
Und das ist gut so.
Die Gefahr ist aber schnell, dass gegenseitig aufgerechnet wird.
Und man sich mit Vorwürfen begegnet:
Wie kannst du nur?!
Oder:
Wieso machst du das nicht (auch)?!
Konkret:
Wie kannst du nur Thunfisch essen?!
Ich merke, das ich dies als Angriff verstehe und mache erst mal dicht.
Mit etwas Abstand fällt mir ein, dass es mir umgekehrt mit dem Fliegen ähnlich geht.
Ich habe seit über vierzig Jahren kein Flugzeug mehr betreten.
Ich wüsste keinen Grund, warum ich fliegen soll.
Ich kann doch auf der Erde mit dem Rad, der Bahn oder auch mit dem Auto unterwegs sein.
Und ist nicht das Flugzeug energietechnisch gesehen der größte Umweltsünder beim Reisen?
Aktuell beschäftigt mich die Fliegerei aber.
Denn ich überlege, an einer hochspannenden Studienreise nach Griechenland teilzunehmen –
und dorthin geht es mit dem Flugzeug.
Ich denke darüber nach, was mir wichtig ist.
Genauer:
Was mir wichtiger ist.
Eigentlich finde ich Fliegen nicht in Ordnung.
Und kann auch gut darauf verzichten, was ein wichtiger Aspekt in der ganzen Sache ist.
Dann muss ich aber auf die ganze Reise verzichten.
Mir fällt ein, dass es die Klimakollekte gibt.
Mit der kann ich „meinen“ CO2-Austoßanteil für diese Reise kompensieren.
Und so weiter und so fort geht es im Gedankenkarussel.
Ich führe ein Gespräch mit mir selbst.
Über meine Werte und Wichtigkeiten, eingebunden in meine bisherigen Erfahrungen.
Erzähle mir Geschichten über das was wahr, ist und kommt.
Hier sehe ich einen Lösungsansatz für das eingangs beschrieben Dilemma:
Das gegenseitige Erzählen.
Thunfisch essen oder Fliegen –
für den einen geht das nicht, für die andere jenes.
Im Erzählen meiner Geschichte und im Zuhören geht es nicht um das gegenseitige Vorhalten und Aufrechnen.
Nicht um die Frage, ist das besser oder jenes wichtiger.
Die Welt rette ich eh nicht allein.
Aber in den Geschichten wird deutlich, was mir daran und dir daran bedeutsam ist.
Und wie das mit meiner, deiner biografischen Verwobenheit in diese Welt zusammenhängt.
Das verbindet im gemeinsamen Tun.
Ich weiß von dir und du von mir.
Überspitzt gesagt:
Du steigst ins Flugzeug und ich esse Thunfisch –
und doch wissen wir, wir sind gemeinsam auf dem richtigen Weg.
Aber vielleicht lerne ich auch von dir, wer weiß.
Ich komme durch´s Erzählen weg von mir und trete zwischen uns.
Ganz im Sinn von: Inter-esse, dazwischen sein.
Keiner von uns rettet die Welt allein.
Schon gar nicht durch moralischen Druck.
Aber wenn wir uns neugierig zwischen uns stellen und dort die Geschichten hören und erzählen, dann sind wir einen Schritt weiter auf dem Weg.