Predigt über Genesis 19
Liebe Gemeinde,
zwei ineinander verschlungene Geschichten werden uns hier erzählt.
Vertraut aus unserem eigenen Erleben sind sie uns beide.
Glauben können wir aber nur der einen.
Die erste Geschichte erzählt von Gewalt und Verbrechen.
Sodom und Gomorra.
Sprichwörtlich gewordene Städte menschlicher Abgründe und Bosheit.
Nichts, was uns fremd ist.
Zumindest aus dem Fernsehen kennen wir das.
Und manch einer, eine hat Gewalt und Verbrechen im eigenen Leben erfahren müssen.
Im Krieg.
In der Familie.
Oder auf der Straße.
Wir Menschen sind manchmal bereit, anderen unsägliches Leid zuzufügen.
Jede Form von Menschlichkeit wird dann missachtet,
jeder Schutzwall überrannt.
Manchmal geschieht es im Verborgenen im Schutzraum der Familie,
oder im Dunkel der Nacht auf der Straße.
Manchmal aber ergreift das Böse aber auch ganze Gruppen.
Gerade erfahren wir das Tag für Tag aus den Medien.
Gotteskrieger sind im Irak und Syrien unterwegs.
Angeblich im Namen Allahs, aber das ist nur vorgeschoben.
Solche Greueltaten erlaubt der Koran nicht.
Mord.
Vergewaltigung.
Verschleppung.
Enthauptungen.
Massenhinrichtungen.
Immer wieder bricht unter uns die Unmenschlichkeit aus.
Auch in der Geschichte unseres Landes ist uns das nicht fremd.
Immer wieder gibt es ein Sodom und ein Gomorra.
Soweit ist uns diese Geschichte vertraut.
Leider.
Aber die Reaktion Gottes, die können wir so nicht glauben.
Ja, vielleicht ersehnen wir sie in solchen Zeiten herbei.
Die Macht Gottes, die vom Himmel herab für Ruhe und Ordnung sorgt.
Die Bösen straft und die Guten schützt.
Aber wir erleben es nicht.
Nicht in Syrien und im Irak.
Nicht in Israel und in Gaza.
Nicht im Kongo, in Afghanistan, Indien oder Pakistan.
Und auch an den Schloten von Auschwitz verhallten die Stoßgebete.
Nein, so bitter es ist,
Gott regiert nicht mit Donnerhall vom Himmel herab.
Er lässt uns die Freiheit auch die allergreulichsten Verbrechen aneinander zu begehen.
Und deswegen ist diese Geschichte hier so nicht zu glauben.
Gott sendet Engel, Sodom zu vernichten.
Diese Geschichte weckt unseren Widerspruch.
Ja, wir wollen gerne hier und da in der Menschheitsgeschichte Gottes Wirken festmachen.
Im Guten wie im Bösen.
Aber das wird schnell gefährlich.
Tun das nicht auch die Gotteskrieger der IS?
Berufen sie sich nicht auch auf Gott?
Diese Geschichte können wir nicht glauben.
Und wir sollten sie auch nicht glauben.
Um uns und andere zu schützen.
Wenn Gott irgendwo in unserer Geschichte wirksam ist,
dann bleibt uns das verborgen.
Es steht uns nicht zu, zu sagen:
Hier war Gott am Werk und dort nicht.
Aber die andere Geschichte, die hier erzählt wird,
die dürfen wir gerne glauben:
Es gibt Momente,
sie sind
– Gott sei Dank! –
selten,
da gilt es nicht zurückzuschauen.
Da dürfen wir nur nach vorn schauen.
Auch hier, um uns zu schützen.
Rette dein Leben,
sieh nicht hinter dich.
Eigentlich ist der Lot der Schwachpunkt in der Geschichte.
Was für ein Zögerling,
ein Looser.
Ist bereit, seine Töchter vergewaltigen zu lassen, um seine Gäste zu schützen.
Ist nicht bereit, ins Gebirge zu ziehen, ist ihm zu weit und zu schwer.
Eine jämmerliche Figur.
Entscheidungsarm.
Verängstigt.
Das kennen wir auch.
So bin ich auch immer wieder.
Gelähmt.
Bewegungslos.
Starre wie das Kaninchen auf die Schlange,
neige den Kopf und sage:
Nimm mich, dann habe ich es hinter mir.
Wie gut, dass Gott zwei Männer, zwei Engel an seine Seite stellt.
Nie und nimmer hätte Lot das allein geschafft.
Seine Frau, seine Töchter, seine Schwiegersöhne aus der Stadt zu schaffen.
Aber mit den beiden gelingt es.
Die Männer nehmen sie an der Hand und führen sie hinaus.
Alleine haben sie nicht die Kraft dazu.
Lot und seine Familie brauchen nichts weiter tun, als ihnen zu folgen und vertrauen.
Nur eins dürfen sie nicht tun:
Sich umdrehen.
Sie verlassen die Stadt und das Vernichtungswerk Gottes nimmt seinen Anfang.
Schwefel und Feuer regnen vom Himmel.
Ich stelle es mir vor wie aus dem Krieg.
Wenn Bomben fallen.
Und Raketen treffen.
Welche Gedanken gehen ihnen durch den Kopf, als sie die Einschläge hören?
Welche Gefühle bewegen sie?
Trauer über den Verlust von Haus und Hof?
Oder meldet sich auch Sensationsgier?
Warum Lot´s Frau sich umdreht, wird nicht gesagt.
Aber sie tut es.
Und erstarrt zur Salzsäule.
Auch das ist zum Sprichwort geworden.
Sie schaut in den Untergang einer Welt, die auch ihre war.
Und davon kann sie sich nicht mehr lösen.
Ob nun Faszination oder Entsetzen,
sie ist verloren.
Warum ist das im Leben manchmal so, dass wir nicht zurück schauen dürfen?
Trauerarbeit, Aufarbeiten der Vergangenheit,
das sind doch wichtige Vorgänge.
Oft Voraussetzung für Heilung.
Nur so können Verletzungen und Traumata überwunden werden.
Unter den Teppich kehren, tief im Herz verschließen, das hilft nicht.
Im Gegenteil.
Das Grauen bricht sich Bahn.
Irgendwie und irgendwann.
Die vielen Berichte von Soldaten, die aus Kriegen heimkehren, belegen dies anschaulich.
Also, warum ist das falsch, ja tödlich, dass sich Lot´s Frau umdreht?
Ich glaube:
Gott will uns sagen, durch seine beiden Boten:
Manchmal darfst du nicht zurückschauen.
Sonst ist die ganze Kraft verbraucht,
die dich zum Aufbruch trieb.
Nur ein Blick zurück,
und du bist verloren.
Schließt den Briefkastendeckel wieder, wirfst die Kündigung nicht ein.
Legst den Füller noch einmal aus der Hand, unterschreibst den Vertrag nicht.
Trägst den Koffer zurück und schließt die Tür wieder, statt ins Frauenhaus zu gehen.
Springst zurück aus dem Boot, das dich aus der Verzweiflung heraus hinüber nach Europa bringen soll.
Und schon ist es zu spät.
Für einen weiten Versuch fehlt dir jegliche Kraft.
Liebe Gemeinde,
das kommt in unserem Leben vor.
Es gibt Momente,
da ist zögern,
zurückschauen,
innehalten
falsch,
gefährlich,
und manchmal tödlich.
Ja:
Später,
morgen,
nächste Woche, nächstes Jahr,
da wird es gut und nötig sein, zurückschauen.
Wenn du ein Stück des Wegs voran gestolpert bist,
blind,
gefühllos,
angetrieben von dem Wissen,
nur so geht es,
Schritt für Schritt,
Tag für Tag.
In Angst und von Selbstzweifeln gequält,
ob das jetzt richtig war.
Und vielleicht geht es nur an der Hand anderer.
Die mich jetzt führen.
Und irgendwann ist es gut und richtig, drüber zu reden,
irgendwann.
Aber,
so zeigt diese Geschichte,
es gibt Momente im Leben,
sie kommen nicht tagtäglich vor,
– Gott sei Dank! –,
da gilt nur,
wie der Volksmund sagt:
Augen zu und durch.
Weil jedes Blinzeln das kleine Bißchen meine Mut und Kraft im Nu im Nichts zerbröseln lässt.
Deswegen ist es gut, dass diese an sich so schreckliche Geschichte in der Bibel steht.
Und wir ihre Botschaft hören und uns merken.
Für diesen Moment.
Der vielleicht kommt.
Hoffentlich nie kommt oder nur selten.
Weil er so hart und radikal ist.
Damit ich vorbereitet bin,
wenn er doch kommen sollte,
der Moment,
wenn hoffentlich auch mir ein Engel zur Seite steht und sagt:
Geh.
Jetzt.
Rette dein Leben.
Und schau nicht hinter dich.
Auf keinen Fall.
Denn sonst ist alles verloren.
Amen.