Verbinden, verbunden, Verband – Über die Doppeldeutigkeit einer „Dreifaltigkeit“

Ist Euch/Ihnen schon mal aufgefallen, dass die Worte verbinden, verbunden, Verband in ihrer „Dreifaltigkeit“ doppeldeutig sind?

Ich verbinde eine Wunde, danach ist sie mit einem Verband verbunden und kann heilen.

Ich verbinde mich mit Menschen, weiß mich anschließend mit ihnen verbunden und wenn dies noch einen stärkeren äußeren Rahmen braucht oder wünscht, dann bilden wir einen Verband.

Ich glaube, diese Doppeldeutigkeit ist kein Zufall.

Wir können auf vielfältige Weise etwas miteinander machen, kooperieren, Projekte zustande bringen, aber dies kann alles ohne Verbundenheit untereinander geschehen.
Natürlich hat all dies mit Beziehungen untereinander und den dahinterstehenden Bezogenheiten zu tun, in den wir uns alle ununterbrochen bewegen.

Verbundenheit ist aber mehr.

Verbundenheit zwischen Menschen hat mit dem Verbinden von Wunden zu tun.
Mit den Wunden, die wir uns als Menschen gegenseitig zufügen und empfangen.
Mal als Täter/-innen, mal als Opfer.

Verbundenheit ist nur möglich, wenn wir uns so verbinden, dass Schmerz, Leid, Tränen, Scheitern, Entbehrung, missachtete und unbefriedigte Bedürfnisse mitgedacht werden.
Im Blick sind.
Sinnvollerweise ausgedrückt werden.
Sowohl die ganz persönlichen Wunden als auch Verletzungen, die ich als Rollenträger/-in zufüge oder empfange.
Sei es als Mann und Frau.
Sei es als Wohlhabende und prekär Lebende.
Sei es als Mensch des Westens und Mensch der Einen Welt.

Verbundenheit entsteht durch das Verbinden der Wunden.
Das ist mit einer oberflächlichen Beziehung nicht möglich, es braucht Mut und Vertrauen.
Denn ich zeige mich verletzlich und muss es zugleich aushalten, dass die/der andere dies ebenfalls wagt.
Und wir vielleicht feststellen, dass eine einfache Lösung unmöglich ist.

Der Akt des Verbindens hält die Situation offen.
Die Wunde heilt nicht, indem sie beseitigt wird.
Sondern sie heilt, weil sie verbunden wird und in diesem Geschehen etwas Neues entsteht, entstehen kann.
Verbundenheit beinhaltet daher Aktualisierung und Transzendierung meiner, deiner, unserer Situation.

In der Aktualisierung wird unsere Beziehung in den Blick genommen, die Wunden gesehen und geöffnet.
Manche Wunde braucht nur gesehen werden, andere Eiterbeulen müssen überhaupt erst geöffnet werden.
Dies geschieht durch Achtsamkeit, durch Mit-Denken, Mit-Fühlen.

Ich sehe meinen Schmerz in den Tränen der Anderen.
Ich höre deinen Schmerz in der Stimmung deiner Worte.
Ich spüre unsere Verletzung(en) in Gestik, Mimik und Körperspannung.

Dieses achtsame Wahrnehmen geht auch einseitig, in der Form der Empathie.
Wenn ich zwar etwas wahrnehme, es vielleicht auch ausdrücke, aber der/die Andere(n) nicht antwortet/n, reagieret/n kann/können oder will/wollen.
Zur Verbundenheit führt dies erst, wenn wir uns im Moment miteinander verbinden.
Wir zwei oder wir, die wir uns hier begegnen.

Es muss dabei nicht alles gesagt, ausgesprochen werden.
Es reicht das Spüren und Verbinden.
Durch Blicke, Umarmungen oder gemeinsame Tränen.
Ja, das ist missverständlich – aber Worte, Gesten, Taten sind es auch.

Und dieses Geschehen wirkt weiter in unserem Gedächtnis.
Die Erinnerung an den Akt des Verbindens hält die Verbundenheit so auch über Raum und Zeit lebendig.
Sich untereinander solcherart verbinden verstehe ich daher als einen Akt der Heilung.
Oder zumindest den Beginn derselben.
Weil etwas verbunden worden ist und der Verband die Wunde hält und schützt.
Daher öffnet sich die Verbundenheit zur Transzendierung der Situation.

Damit meine ich, dass nun etwas Neues geschehen kann.
Aber eben auch erst jetzt.
Der Akt des Verbindens ermöglicht und schafft Verbundenheit.
Und eröffnet so Chancen.
Hier geht es um das, was ich an anderer Stelle mit dem „Stehen vor der leeren Leinwand“ beschrieben habe.

Der Verband schließlich ist dann der bewusste Versuch, die Verbundenheit „festzuhalten“.
Er ist etwas äußerlich Sichtbares.
Schenkt einerseits zusätzlichen Schutz für die heilende Wunde.
Anderseits ist er sichtbarer Ausdruck einer Verletzung, einer Verletzlichkeit meiner, deiner, unserer Person.

Nachtrag für die christlich orientierten oder interessierten Leser/-innen:

Ich bin davon überzeugt, Jesus war in der Lage, so zu verbinden und Verbundenheit zu schaffen.
Zwischen sich und dem/der/den Anderen.
Aber auch mit der Macht, die wir gewohnt sind, Gott zu nennen und uns so manche Erfahrung mit ihr vorschnell verbauen.

In der Doppeldeutigkeit von Verbinden und Verbundensein fällt mir für sie der Begriff „Grund unseren Seins“ ein.
Noch so ein doppeldeutiger Begriff.
Grund als Ursprung, Begründung und vielleicht auch Ziel.
Grund als Ort in der Tiefe, in die ich mich, wir uns fallen lassen können, in der Gewissheit, nicht im Bodenlosen zu versinken, sondern irgendwann und irgendwo aufgefallen zu werden.

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