Zachäus oder: Mit dem Smartphone auf die Kanzel

Predigt zur Konfirmation 2014 über Lukas 19,1-10

Liebe Konfis,

das ist Euer großer Tag. Ihr sitzt hier vorne, Ihr steht im Mittelpunkt. Wegen Euch sind diese alle hier gekommen. Am Ende Eures Konfirmandenjahres steht dieser Tag, dieser Gottesdienst. Erhofft, herbei gewünscht, wahrscheinlich auch mit Aufregung, uh, jetzt stehe ich den ganzen Tag im Mittelpunkt.

Für Eure Eltern, Patinnen und Paten, Großeltern ist das auch besonderer Tag. Weil Ihr konfirmiert werdet und weil es für viele Ihnen eine Reise in die Vergangenheit ist. Soweit sie evangelisch sind oder waren und konfirmiert wurden vor 25, 30 Jahren oder mehr.

Früher, das kann ich Euch sagen, da war vieles anders. Schwarzer Anzug für die Jungs, schwarzes Kleid für die Mädchen. Ziemlich steif sieht das auf den alten Fotos aus. Gesangbuch in der Hand, frisch geschenkt von der Oma. Mittags gab es gutes Essen und Geschenke, da gibt es keinen Unterschied. Nur die Geschenke, die sahen anders aus. Wenn man Glück hatte, gab es ein Buch. Wenn man Pech hatte, gab es silberne Gabeln und Löffel für die sogenannte Aussteuer. Ich hab auch zwei oder drei solcher Löffel geschenkt bekommen und hatte schon damals meine Zweifel, ob da jemals ein vollständiges Set für sechs oder gar zwölf Personen draus wird. Ich behielt recht. Ich weiß gar nicht, ob ich die Löffel noch habe. Früher war eben vieles anders. Ich habe damals darum gekämpft, meine Haare länger als einen Zentimeter wachsen lassen zu dürfen. Ich hab mich durchgesetzt, zur Konfirmation hatte ich dichtes, volles Haar, kann man sich heute kaum noch vorstellen.
Heute ist Jugendlichen anderes wichtig. Ein gutes Handy zum Beispiel.

Das sind ja auch coole Dinger. Ich hab auch eins. Hier. Da kann man Sachen mit machen …! Zum Beispiel kann ich jetzt hier auf der Kanzel ein Foto machen, so …

Und wenn ich das jetzt auf Facebook, Twitter, Instagram oder Whatsapp posten würde und dazu schreibe: Hey, schaut mal, was ich grad mache, ich predige im Konfirmationsgottesdienst – ich bin mir sicher, da bekäme ich so einige Likes und Retweets, wahrscheinlich schon, bis wir nachher wieder aus der Kirche raus sind!

Liebe Gemeinde, für mich ist das Smartphone ein gutes Symbol für all die Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Aber gleichzeitig wird daran deutlich, dass sich in unserem Empfinden, unseren Sehnen und Hoffen nichts geändert hat.

Wer hat das neueste, das angesagteste Teil? Wer hat die meisten Likes? Wer schreibt die coolsten Sätze, postet die tollsten Fotos? Und hier gibt es Gewinnerinnen und Verlierer.
Wie damals.

Da gab es die coolen Jungs. Auswendig lernen fünf Minuten vorher und hinterher schnell wieder vergessen. Wer zuhause lernte, na, der galt als uncool. Oder es gab Jungs, deren Haare noch viel länger waren als meine, und die deswegen bei den Mädels besonders hoch im Kurs standen.

Und die Mädels … Diejenigen, die sich trauten mit der Zigarette, die waren angesagt. Wow, ist die cool, das hätte ich mich nicht getraut, sagten oder dachten die anderen neidisch.

Aufmerksamkeit bekommen. Danach sehnen wir uns. Damals wie heute. Ob wir 14 sind oder 44 oder 74. Ich möchte, dass ich gesehen werde. Gelobt werden. Ich will gar nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen, nein. Aber dass man mich wahrnimmt, mich mag und es mir zeigt. Durch Worte, Gesten, durch Blicke, durch Taten, manchmal auch nur durch den simplen Like auf Facebook, Instagram und Co.

Und wenn ich diese Aufmerksamkeit nicht bekomme, dann geht es mir schnell schlecht. Ich denke: Keiner mag mich. Warum mag mich keiner? Da unterscheiden sich damals und heute nicht. Egal, ob ich 14, 44 oder 74 bin. Wenn ich keine Aufmerksamkeit bekomme, dann werde ich schnell traurig, deprimiert, ziehe mich zurück. Oder werde zynisch und am Ende manchmal sogar gewalttätig, weil sich mein Frust, meine Enttäuschung, nur noch Luft verschaffen will. Dann fühle ich mich für einen kleinen Moment besser und hinterher noch viel schlechter. Eine uralte Geschichte, Gesehen-werden-wollen um fast jeden Preis, das gab es auch schon zu biblischer Zeit.

Lukas erzählt in seinem Evangelium von der Begegnung zwischen dem Zöllner Zachäus und Jesus.

Zachäus, klein, reich und ein Ober-Zöllner, Chef einer größeren Zollstation am Stadtor von Jericho. Er hat, was man sich so wünschen kann: einen guten Job, der ihm einen Haufen Geld einbringt. So richtig schwer ist die Arbeit auch nicht, an der Schranke stehen und ein wenig verhandeln und dann abkassieren. Toll. Aber eins hat er nicht, ganz und gar nicht. Er gehört nicht dazu. Wahrscheinlich wurde er schon als Junge gehänselt und verlacht, die Kleinen haben es halt schwer. Oft, nicht immer. Sie werden beim Spielen als letzte ausgewählt, stehen im Tor und sind schuld, wenn die andere Mannschaft trifft. Die Großen kriegen die Mädchen ab, die Kleinen nur den Spott und manchmal auch die Prügel. Aber unser kleiner Zachäus muss schlau gewesen sein. Denn sonst hätte er diese Karriere nicht machen können. Klein, aber oho, den Spruch gab es in meiner Jugend. Geld ist oftmals das, mit dem ich mir Anerkennung, Aufmerksamkeit, ja Liebe kaufen kann, oder meine es zu können. Zachäus wird Zöllner, Oberzöllner und hat Geld, Geld satt. Doch leider ist der Zöllnerberuf einer, der überhaupt nicht beliebt war. Einmal, weil die Besatzungsmacht der Römer die Lizenzen vergab, zum anderen, weil die Männer an der Schranke betrügen und erpressen durften, wie sie nur wollten. Hauptsache, der Rubel rollte in die Kasse des römischen Reichs – und in die eigene Tasche.

Zachäus hat es eines Tages geschafft, Geld, rauschende Feste und noch mehr. Doch die Mitte seiner Sehnsucht bleibt weiter leer. Nichts ist mit echter Anerkennung, nichts ist mit Dazu-gehören, nichts ist mit Liebe und Wertschätzung. Ohne sein Geld wäre er ein Niemand. Und so ist er auch in seinen eigenen Augen ein Niemand.
Und Jesus erkennt dies, mit einem Blick, als er nach Jericho kommt und Zachäus auf einem Baum sitzend sieht, versteckt und verborgen vor den Augen der Anderen, die unten am Straßenrand stehen. Er sieht das ganze Sehnen, die Einsamkeit und das ganze Leid. Und er sagt zu ihm: Komm herunter, ganz schnell, bei dir muss ich heute zu Gast sein. Dieser Satz verändert das Leben des Zöllners Zachäus.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Eltern und Großeltern, Patinnen und Paten, so ist Jesus und so ist Gott.

Und das ist die Botschaft, die Message, die wir jeden Sonntag hier oben verkündigen oder am Krankenbett oder am Dienstagnachmittag in der Konfi-Stunde:
Ja, wir leben in einer Welt, in der wir uns alle nach Anerkennung, nach Liebe, Wertschätzung sehnen. In uns allen ist ein tiefer Abgrund voller Angst, der uns denken lässt: du bis nicht gut. Was du machst, kommt nicht an. Und wenn wir es doch mal hören, dann ist der Zweifel nicht weit: Stimmt das denn wirklich? Der oder die kennt mich doch gar nicht richtig, nicht so wie ich mich. Wenn der, wenn die wüsste …

Zachäus war so einer und jedem von uns steckt etwas von Zachäus. Wir alle sehnen uns nach Größe, nach Aufmerksamkeit, nach Liebe und Likes oder doch wenigstens nach viel Geld, damit wir unser tiefes Loch mit allem möglichen Unsinn füllen können, schlimmstenfalls greifen wir zu Alkohol und Drogen, um vergessen zu können.
Und zu diesem Zachäus und damit zu uns kommt dieser Jesus. Kommt und sieht mir, Dir, Ihnen in die Augen und sagt zu mir, du, du! bist gut. Ich mag dich. Und er sagt es so, dass ich es glauben kann. Und dann wird mir das Herz weit, die Augen klar. Dann verliert all der Unsinn in dieser bunten Welt seine Bedeutung, weil ich weiß, nein, spüre: Ich bin wirklich gemeint.

Und deswegen, weil diese Erfahrung von Zachäus angefangen, immer wieder in der Begegnung mit Jesus und seinem Gott gemacht wurde, deswegen gehen Menschen hin und erzählen das immer wieder. In Gottesdiensten, am Krankenbett, im Fernsehen und Internet, im Konfirmandenunterricht und auch mit dem Smartphone auf Facebook, Twitter und Instagram. Und da dieser Jesus schon zu seiner Zeit auf der Höhe seiner Zeitgenossen war, also, wenn er heute leben würde, dann würde er bestimmt ein Gleichnis erzählen, wie Gott im Himmel mit dem Galaxy S5 sitzt und Like me, like me, like me drückt.

Von diesem Jesus und seinem Gott haben wir versucht, Euch in den letzten zwölf Monaten etwas nahezubringen. Dienstagnachmittags, auf der Freizeit, aber auch bei euren Erkundigungen in unserer Gemeinde. Beim Ökumenischen Kirchentag auf dem Marktplatz, bei den Seniorenweihnachtsfeiern, in den Kindertagesstätten und so weiter und so fort. Wir haben das gemacht, weil wir hoffen, dass etwas hängen bleibt. Weil wir davon überzeugt sind, dass es gut ist, im Leben davon auszugehen, dass wir nicht allein unterwegs sind. Weil wir glauben, dass es diese unsichtbare Macht gibt, die wir Menschen Gott nennen und die uns, so Jesus, freundlich gegenübersteht, mir in die Augen schaut, unter die Arme greift und neue Kraft verleiht.

Setzt Euer Vertrauen auf ihn und es wird euch gut gehen. Es wird nicht alles glatt laufen, keineswegs. Gott ist kein Wunscherfüller, oben fünf Euro rein und unten kommt das Gewünschte raus. Er ist auch kein Feuerlöscher, 112 gewählt und er kommt mit Macht und schafft aus dem Weg, was mir das Leben grad schwer macht. Aber Gott ist ein Begleiter. Sagt Jesus. Das ist nicht alles, was im Leben wichtig ist. Aber ziemlich viel, weil er uns geben kann, was Menschen und die Welt nicht geben können. Eine Perspektive über den Tellerrand hinaus. Nicht sichtbar, aber spürbar. Nicht greifbar, aber erfahrbar. Für die, die ihr Herz öffnen und sich in die Augen schauen lassen, von Jesus und seinem Gott. Und dann spüren, erfahren, da ist sie, die Geistkraft Gottes, die mich ergreift und mein Herz leicht werden lässt. Ich wünsche es Ihnen und heute vor allem Euch.

Amen.

4 Gedanken zu “Zachäus oder: Mit dem Smartphone auf die Kanzel

  1. Mir fällt auf, dass ich auf die beiden „Versionen“ verschieden reagiere. Bei der ersteren fühlt es sich für mich so an, wie Sie in Ihrem Kommentar beschreiben. Durch mein wertschätzendes Verhalten kann etwas passieren. Bei der zweiten Variante reagiere ich ein wenig ablehnend, weil ich das Gefühl habe, es geht darum, jemanden den Glauben zu bringen, auf den rechten Weg zu bringen – und dies könnte nur eine sozusagen autorisierte Person sein, die dazu die „Befugnis“ hat. Bei der ersteren Variante fühle ich mich angeregt. Bei der zweiten fühle ich mich nicht gemeint (weil ich diese Autorität nicht habe).

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  2. So was ist doch schön, das überaschende Neu- und Andersverstehen. Wobei ich da eigentlich keinen so großen Unterschied drin sehe – mit mir kann auch zu einem anderen Menschen „Gott ins Haus kommen“ (ich kann das aber nicht „machen“). Und weil mit Jesus eine ganz andere als unsere menschliche Macht ins Haus kommt, kann die ungestillte Sehnsucht zur Ruhe kommen – und diese Macht scheint durch Jesu wertschätzendes Verhalten hindurch. Und somit kann auch mein wertschätzender Umgang für einen anderen zum Spiegel Gottes werden – wenn sein Geist es will (Joh 3,8).
    Viele Grüße
    Matthias Jung

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  3. Lieber Herr Jung, heute Morgen ist es mir zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit passiert, dass ich etwas, was ich erst auf die eine Art verstanden habe, plötzlich auf eine andere Art verstehe. heute Morgen hörte ich auf Deutschlandradio einen Beitrag über „Das Wort zum Sonntag“, das heute vor 60 Jahren das erste Mal ausgestrahlt worden ist. Ich hatte gar nicht gewusst, dass es das überhaupt noch gibt. Ist jedoch auch nicht verwunderlich, denn ich habe keinen Fernseher. Jedenfalls habe ich dann am Frühstückstisch – mit dem Smartphone 🙂 – gleich mal nachgeschaut. Habe mir ein paar der Worte durchgelesen und kam dann zu einem von Alfred Buß zum Thema „Dreistigkeit“. Er hat darin ebenfalls die Geschichte von Zachäus erzählt. Und auf einmal verstand ich die Geschichte ganz anders, als ich sie bei Ihnen verstanden hatte, nachdem ich sie hier vor ein paar Tagen gelesen hatte:
    Bei ihnen hatte ich es so verstanden, dass Jesus zu Zachäus sagt, er müsse bei ihm Gast sein, um ihm Wertschätzung und – wie Sie schreiben – Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Um ihm zu zeigen, dass er ihn achtet, ungeachtet dessen, was er tut. Ich hatte mich gefragt, ob das denn im täglichen Leben – bei mir – funktionieren würde: wenn ich zu einem fremden Menschen ginge, von dem ich annehme, er oder sie sei ausgeschlossen und sagte: bei dir/Ihnen will ich heute Gast sein. Als erstes muss ich mich dabei natürlich fragen, ob ich das denn wirklich will. Und als zweites muss ich akzeptieren, wenn der/die Angesprochene ablehnt, aus Angst bspw. Aber ich schweife ab. Die zweite Lesart bei dem Wort zum Sonntag war: Jesus sagt zu Zachäus: Bei dir will ich einkehren.“ Da dachte ich: aha, das bedeutet, Jesus will, das Zachäus durch den Glauben ein anderes Leben führen kann, ein besseres, eins in Gemeinschaft mit anderen. Das finde ich sehr interessant. Denn bei Ihnen klingt es für mich wirklichkeitsnäher insofern, als das es etwas ist, was ich machen kann /könnte. Es hat dann etwas mit mir und meinem Verhalten gegenüber anderen zu tun. Während bei der zweiten Lesart es davon abhängt, das mit „Christus Gott ins Haus kommt“.
    Einen schönen Tag wünscht
    Jacqueline Meier
    Hier das gemeinte Wort zum Sonntag über Dreistigkeit: http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/wort-zum-sonntag/sendung/buss-15032014-100.html

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