Kommentar zu: »Soll sich Kirche stärker einmischen?« (TAZ vom 23.04.2013)

Soll sich Kirche stärker einmischen? TAZ vom 23. April 2013

Ich selbst bin »groß« geworden als Christ und Theologe in der Zeit der Friedensbewegung. Sozialethisches im Pfarramt war und ist mir daher nie fremd. Und ich beobachte, erlebe es auch, dass die Stimmungslage in »der Kirche« heute eine andere ist als in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das gilt aber nicht nur für die Kirche. Diese ist in Deutschland aufgrund ihrer Größe aber immer auch ein Spiegelbild gesellschaftlicher Trends und Strömungen, die Kirchentage legen davon Zeugnis ab. Nichtsdestotrotz bedauere ich auch an vielen Stellen, dass »politische« Themen nicht mehr so im Fokus der innerkirchlichen Aufmerksamkeit stehen wie »früher«.

Dennoch:

Mitnichten ist »die Kirche« unpolitisch. Das kann man zum Beispiel dem Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider wahrlich nicht vorwerfen. Allerdings ist er kein »Lautsprecher«. Eindringlich ja, aber ihm liegt nicht an der Schlagzeile in der BILD-Zeitung. Hinter verschlossenen Türen, da bin ich mir sicher im Blick auf meinen ehemaligen »Chef« als Präses der rheinischen Kirche, dort spricht Schneider als »oberster« Repräsentant der evangelischen Kirche in Deutschland auch mal Tacheles. Was ist politischer – die Schlagzeile oder der Dialog unter vier Augen?

Unsere evangelische Kirche ist von unten nach oben aufgebaut, Nikolaus Schneider ist kein evangelischer Papst. Selbstverständlich äußern sich kirchliche Gremien, von Presbyterien und Kirchenvorständen über regionale Synoden und Landessynoden bis zur EKD-Synode zu politischen Fragen. Immer wieder. Ja, es wird so sein, dass die Eindeutigkeit von Ebene zu Ebene schwindet, das liegt vermutlich in der Natur der Sache. Eindeutigkeit allein ist aber noch nicht politisch. Ich habe es selbst oft erlebt und weiß es auch von anderen, dass Kirche auf lokaler und regionaler Ebene gerne angesprochen wird, um moderierend tätig zu werden, wenn »politische« Konflikte eskalieren. Das gelingt sicher nicht immer, wie könnte es auch. In manchen Fragen dürfen »wir« sagen, wir haben hier keine eindeutige Meinung, deswegen bieten wir das geordnete Gespräch zwischen den »Parteien« an. Das ist eine sehr »politische« Tätigkeit. Und manchmal ein Segen.

Und natürlich sind wir alle, Pfarrerinnen und Pfarrer, Christinnen und Christen, Haupt- und Ehrenamtliche in der Kirche Tätige auch Bürgerinnen und Bürger. In unzähligen politischen Gremien sind »wir« als Ratsmitglieder, sachkundige Bürger usw. tätig, vielfach bewusst oder gar im Auftrag von Kirche. Auch das ist »politische« Einmischung. Und die bunte Vielfalt unserer evangelischen Kirche, die wird nun gerade auch immer wieder auf den Kirchentagen sichtbar. Aber bitte: Wenn sich »die Medien« in der nächsten Woche hauptsächlich auf die Highlights wie Merkel und Steinbrück stürzen, dann werden sie von der Breite der Diskussion politischer Fragen innerhalb des kirchlichen Raums nicht viel mitbekommen. Vielleicht erleben wir aber Anfang Mai in Hamburg, dass durch die »neuen sozialen Medien« eine verbesserte Berichterstattung in der Breite und so auch über die »politische« Kirche möglich wird. Zumindest weiß ich, dass meine Social-Media-Kolleg(innen) so einiges per Facebook, Twitter und Co. vorhaben, um den Kirchentag für Zuhause-Gebliebene erlebbarer zu machen.

Und diese neuen Medien erlauben es »uns« viel mehr, wenn auch anders als »früher«, an der politischen Diskussion und Meinungsbildung mitzuwirken. Durch Blogbeiträge und Tweets, durch das Teilen von Facebookseiten, durch die Veröffentlichung von Texten und Beschlüssen kirchlicher Gremien und nicht zuletzt durch die Möglichkeit, mich (um jetzt mal bei mir zu bleiben) jederzeit »als« Pfarrer, Theologe und/oder Christ mit Kommentaren auf den entsprechenden Webpräsenzen einzubringen – wie z.B. durch diesen Beitrag hier. 🙂

Und zuletzt, ja zuletzt kann ich natürlich noch fragen, liebe TAZ-Redaktion, was Ihr eigentlich genau mit »(un-)politisch« meint. Das, was manchmal so als politisch gilt, ist doch nur ein Ausschnitt. Politik ist doch viel mehr als das, was in den geregelten Institutionen der Demokratie verhandelt und entschieden wird. Politisch ist auch die Diskussion um den #aufschrei, politisch ist auch die Frage, was und wer in den »Medien« etwas zu sagen und zu entscheiden hat, politisch ist auch das vielfältige und riesengroße Engagement ehrenamtlicher tätiger Menschen in Altenheimen, Besuchsdiensten usw., politisch ist nicht zuletzt das innerkirchliche Engagement in kirchlichen Gremien, angefangen von den Elternvertretern im Kindergartenausschuss über Kirchenvorstände bis hin zu Synoden. Weil es überall um die politische Frage geht – wie nämlich unser aller gemeinsames Leben so gestaltet werden kann, dass das gute Leben aller als Zielperspektive nicht aus den Augen verloren geht. In diesem Sinne ist dann nahezu alles, was »die Kirche« macht, »politisch«. Auch die Predigt am Sonntagmorgen, die versucht zu übersetzen, was die bedingungslose Liebe Gottes für das gute Leben hier auf Erden bedeutet und bedeuten kann.

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