Ralf Peter Reimann hat vor einiger Zeit in einem Blogbeitrag von der neuen Social Graph Funktion auf Facebook berichtet, die vermutlich demnächst auch auf deutsch eingebaut wird. Er stellt die Frage nach dem gläsernen Menschen und zieht eine Verbindung zu Psalm 139 (Von allen Seiten umgibst du mich…) und stellt am Ende die Frage, ob nicht Mark Zuckerberg demnächst Gott ersetzt. (Social Graph: Endlich kann ich auch dahin, wo meine Freunde essen gehen)
Die Frage ist natürlich rethorisch und die Antwort lautet nein. Die Sache mit dem gläsernen Menschen ist dagegen theologisch interessant. Der gläserne Mensch wird kommen, daher stellt sich nicht (allein) die Frage, ob ich das gut oder schlecht finde, sondern wie wir das einordnen und wie wir damit umgehen wollen und können. Auch wenn mit der neuen Funktion auf Facebook aufgrund der Verbreitung dieses Netzwerkes der gläserne Mensch einen quantitativen Sprung machen dürfte – ich finde auch heute schon über Google Earth oder die verschiedensten Bewertungsportale Informationen über Restaurants, Hotels, Ärztinnen und vieles anderes mehr. Und die Gefahren vom Verlust der Privatsphäre und Datenmißbrauch usw. ja, die sind alle da. Da kann und muss man sozialethisch trefflich drüber streiten.
Aber auch systematisch-theologisch wirft der zunehmend gläserne Mensch (und das ist auch nur ein Bild!) Fragen auf. Es eröffnen sich neue Denkmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte. Wie verändert sich das Erleben von innen und außen? »Allgegenwärtig« wird nachvollziehbar. »Schöpfung« klingt anders angesichts der unglaublichen virtuellen Schöpfungen. Der Mensch als »Co-Creator« Gottes bekommt eine ganze neue Dimension.
Vor allem aber der »Heilige Geist« wird aus der nüchternen protestantischen Denkfigur herausgeholt, anschaulicher und erfahrbarer. Gott ist so gegenwärtig wie das Netz über mein Smartphone. Letztens hat irgendwer geschrieben (war es Antje Schrupp?): »Wenn ich nicht online bin, dann schlafe ich.« Menschen »gehen« zunehmend nicht mehr online, sondern sie »sind« online, im Wachzustand ununterbrochen eingeklinkt in das allgegenwärtige Datennetz, das durch Mobilfunkstationen, freiem WLAN u.a.m. nahezu an jedem Ort der Welt verfügbar ist. So wie die Geistkraft Gottes. Mit dem kleinen Unterschied, dass es von ihr heißt, sie wirke wann und wo sie will (Johannes 3,8).
Und das macht schon deutlich, dass hier unterschiedliche »Geister« am Werk sind. Das heute über die ganze Welt ausgebreitete Datennetz führt zum gläsernen Menschen, der immer mehr mit diesem Netz verbunden und verwoben ist. Interaktiv heißt das auch. Dieses Netz ist scheinbar neutral, auch wenn viele Geschäfte damit gemacht werden. Es suggeriert aber Geborgenheit, vermittelt Anerkennung und ermöglicht Partizipation. Und am Ende wird meine Timeline zum virtuellen Friedhof, eine Gedenk- und Erinnerungsstätte. Das Gefühl einer »Parallelwelt« schwindet mehr und mehr, Kohlenstoffwelt und virtuelle Welt verschmelzen zu einer Welt mit unterschiedlichen Dimensionen. Allerdings liebt das Netz mich nicht, es bleibt seltsam nah und fern zugleich.
Gottes Geistkraft ist genauso allgegenwärtig. Aber sie ist nicht neutral, sie ist eindeutig parteiisch. Und bestimmt von Liebe, von bedingungsloser Liebe. Deshalb macht der gläserne Mensch in Gottes Augen keine Angst (nur der/dem Sünder/in, reformatorisch gesprochen). Nur mit dem Einklinken läuft es andersherum, Glauben und Vertrauen kann ich nicht machen, der Geist muss mir die Augen öffnen – und dann schenkt die Geistkraft Geborgenheit, vermittelt Anerkennung und ermöglicht Partizipation. Und am Ende, so heißt es in der Schrift, bewahrt Gott auf, für immer und ewig (Römer 11,36). Umhüllt und durchdrungen von Liebe.
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