2010 bin ich bei der Arbeit an meiner Dissertation auf Peter Plöger gestoßen, als ich nach Autoren suchte, die sich mit neuen Arbeitsformen beschäftigen. Sein Buch »Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten« fand ich so spannend, dass ich zusammen mit meiner Frau Peter Plöger als Referent zu einem Workshop in diesem Sommer nach Voerde eingeladen habe, der sich mit dem Thema »Konkurrenz versus Kooperation« beschäftigte. Auf diesem Workshop kündigte Plöger sein neues Buch bereits an, dass ich dann natürlich interessiert gelesen habe.
Erster Eindruck
Schon die Kapitelüberschriften geben einen guten Eindruck vom Inhalt:
»Aussteigen? – Leben in Fülle – Selber machen – Anders arbeiten – Gemeinsam schaffen – Räume zum Leben – Einsteigen!«
Plädoyer für die Subsistenzwirtschaft
Das Buch stellt im Kern ein Plädoyer für die Subsistenzwirtschaft zwischen Selbstorganisation und Kooperation dar. Nun gibt es viele Aufsätze und Bücher zu diesem Thema, an die Plöger auch anknüpft. So versteht er mit Martha Nussbaum Subsistenz als ermöglichenden Ansatz, der »Menschen Türen zu einem zufriedenerem Leben aufschließt (56) und von Maria Mies übernimmt er den Gedanken, Subsistenz sei im Grundsatz bereits kooperativ.
Geschichten von Menschen auf der Suche nach dem guten Leben
Das Besondere aber an Plögers Werk sind die Geschichten, die er erzählt. Er hat eine Vielzahl von Interviews geführt und lässt Menschen zu Wort kommen, die auf der Suche nach dem guten Leben sind. Menschen wie Peter Huth, vormals Maschineningenieur, heute Landwirt im Oderbruch. Oder wie Richard Christian, Mitarbeitender im »Haus der Einarbeit« in München. Menschen wie die Mülltaucher Anna Poddig und Falk Beyer, die so gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln protestieren. Oder er beschreibt Menschen, die Gemeinschaftsgärten in Großstädten anlegen und Guerilla-Gärtner, die Saatbomben auf brachliegende Grundstücke werfen oder über Nacht kahle Verkehrsinseln begrünen – um die Stadt lebenswerter zu machen. Petra Nagler von der »Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft Bremen« und Luzie von Arnim, die in Bielefeld den Tauschring »Zeitpunkt« gegründet hat, haben ihm ihre Geschichten erzählt. Und auch einen Blick in die nahe Zukunft der Produktion von Gebrauchsgütern hat Plöger geworfen, indem er das erste deutsche »FabLab« an der RWTH in Aachen besucht hat. Diese Beispiele machen das breite Spektrum der Geschichten deutlich und eingewebt in die Erzählungen sind seine programmatischen Kerngedanken.
Kritik am heutigen Wirtschaftssystem
»Der Unwille gegenüber der herrschenden Wirtschaftsweise geht tief bei den Menschen, diue in diesem Buch zu Wort kommen. (…) Dass die Selbstorganisierten sich nun selbst helfen, richtet die kritische Aufmerksamkeit auf den Kern der Ökonomie. Es ist ein Hinweis auf eine kulturelle Krise: Unser Wirtschaftssystem ist weniger als gedacht in der Lage uns mit dem zu versorgen, was wir brauchen und was wir uns wünschen, es ist keine optimale Basis für ein gelingendes Leben.« (16f.)Plöger weist (mit anderen) darauf hin, dass es Subsistenzwirtschaft immer schon gegeben hat und verweist im Anschluss an Jeremy Rifkin auf die Unterscheidung zwischen der »formellen« Arbeit in den Sektoren Erwerbsarbeit und Öffentliche Arbeit auf der einen Seite und der »«informellen Arbeit« in einem dritten Sektor, zu dem Haushaltswirtschaft, Selbstversorgung (Eigenarbeit, Gartenarbeit) und die »Selbsthilfeökonomie« (Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt, Bürgerinititativen) gezählt werden. Alles nicht neu. Aber: Plöger weist darauf hin, dass die informelle Arbeit in der heutigen Marktwirtschaft als weniger wert betrachtet wird, weil hier nicht in Geld aufgerechnet hin. Und noch wichtiger, er geht davon aus, dass dieser Sektor in Zukunft nicht nur wachsen muss, sondern auch kann. Dabei ist er Realist genug, auch auf die Schwierigkeiten zu verweisen, denen sich Menschen ausgesetzt sehen, die hier mehr Lebensqualität für sich und andere erzielen wollen. Ein zorniger Realist, der im Blick auf manche Steine, die solchen Projekten immer wieder in den Weg gelegt werden, von »erschütternder Hilflosigkeit« der Politik spricht. (212)
Die Bedeutung von intrinsischer Motivation
Während die Marktwirtschaft darauf setzt, dass die Aussicht auf eine höheres Einkommen Menschen motiviert, sich anzustrengen, also zu »arbeiten«, sieht Plöger bei den Selbstorganisierern eine ganze andere Motivation am Werk. Die Marktwirtschaft setzt auf äußere Anreize, auf extrinsische Motivation – die Subsistenzwirtschaft dagegen ist im Kern geprägt von intrinsischer Motivation, von Selbstmotivation, Kreativität und Verantwortlichkeit. Geld mag wichtig sein, macht aber nicht zufrieden. Auch dies ist nicht neu, das weiß auch Plöger und verweist auf Studien von Edward Deci und anderen. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, an diese Zusammenhänge immer wieder zu erinnern, um Menschen zu motivieren, sich auf diesen Weg einzulassen. Hier gibt es eine Nähe von Plöger zum Ansatz der »Neuen Arbeit« von Frithjof Bergmann, der die These vertritt und sie durch vielfältige Erfahrungen untermauern konnte, dass kaum etwas anderes Menschen so zufrieden macht, wie eine Arbeit, die sie »wirklich, wirklich wollen«. Plöger weist an einer Stelle selbst auf diese Nähe zu Bergmann hin. Interessant ist nun, dass Plöger drei Bedingungen nennt, die intrinsische Motivation fördern – oder auch behindern: Das Gefühl der Kompetenz (ich kann eine Aufgabe lösen), die Qualität meiner Arbeit (ich bin mit dem Ergebnis meiner Arbeit zufrieden) und, als wichtigste Bedingung, die Autonomie der Tätigen. »Freie Wahl zuhaben, das eigene Tun nicht von außen bestimmen zu lassen, scheint ein Grundbedürfnis von Menschen zu sein.« (131) Dabei darf Autonomie nicht mit Unabhängigkeit verwechselt werden: »Autonomie meint (…) ›nach dem eigenen Willen und den eigenen Zielen handeln‹. Ihr Gegenpart ist also nicht Abhängigkeit, sondern äußere Kontrolle.« (131f.) Somit hält Plöger Selbstbestimmung als unverzichtbar für ein gutes Leben, wobei er von der hier notwendigen Balance zwischen Selbst- und Fremdbestimmung spricht, nicht jegliche Arbeit oder Tätigkeit kann immer selbstbestimmt sein, in einer kooperativen, arbeitsteiligen Gesellschaft ist dies nicht möglich.
Absage an den Homo Oceonomicus
»Der Homo oeconomicus ist kein Genossenschaftsmitglied« – so formuliert Plöger in einer Zwischenüberschrift. Leidenschaftlich vertritt er die Auffassung, dass der Mensch keineswegs ein Wesen sei, dass vor allem und zuallererst am Eigennutz interessiert sei. Im Gegenteil, er verweist auf neuere medizinische, neurobiologische und psychologische Erkenntnisse, die aufweisen, dass Menschen von Natur aus kooperieren wollen: »Unser Belohnungssystem im Gehirn ist so eingerichtet, dass es vor allem auf positive Rückkoppelungen in zwischenmenschlichen Kontakten reagiert und uns auf diese Weise antreibt, eben solche Reaktionen zu suchen.« (152) Dies verbindet er mit Hinweisen auf die Glücksforschung, die darauf hinweist, dass eine materialistische Grundhaltung zu vielfältigen Schäden führen kann. Insbesondere Robert Lane habe in seinem Buch mit dem aussagekräftigen Titel »The lost of happiness in market democracies« darauf verwiesen. »In allen untersuchten Aspekten, die für Menschen existentielle Bedeutung haben, zeigte sich eine negative Korrelation zwischen einer materialistischen Haltung und Zufriedenheit. Materialismus (…) ist dabei offenbar nicht nur ein begleitendes Phänomen, sondern die Ursache des Mangels an Zufriedenheit.« (155f.) Diese These belegen viele der Menschen, die Plöger in seinem Buch vorstellt.
Fazit: Hoffnungsgeschichten
Peter Plöger erzählt Geschichten. Hoffnungsgeschichten. Geschichten, die Mut machen, es mit der Subsistenzwirtschaft zu versuchen. Hier und da, jede und jeder, wo er kann und will. Und mit dem Risiko, dass jede und jeder bereit ist, dafür einzugehen. Denn er verschweigt die Risiken nicht, erzählt auch Geschichten des Scheiterns. Aber unausgesprochen bleibt bei allem Risiko die Frage im Raum steht, ob die Menschheit eine andere Alternative hat, als die Subsistenzwirtschaft (wieder) stärker zu betonen und aufzuwerten, wenn sie Wohlstand, also das gute Leben aller, anstreben und erreichen will, denn: »Die kapitalistische Marktwirtschaft heutigen Zuschnitts lässt einige unserer Grundbefähigungen auf einem zu niedrigen Niveau, als dass sie wirklich günstige Voraussetzungen für das gute Leben schaffen würde. Anlass genug, die Dinge selber in die Hand zunehmen.« (196)Im Anhang finden sich nicht nur Literaturhinweise, sondern auch ausgewählte Links zu den angesprochenen Themen und vorgestellten Projekten.
Danke für diese Rezension. Ich habe mir das Buch heute aus einem Impuls heraus gekauft, bevor ich irgendetwas darüber wusste. Nun bin ich umso gespannter, auch endlich mit dem Lesen anzufangen.Nochmals Danke also für Ihre appetitmachenden Worte, mit freundlichen Grüßen.
LikeLike