Godsbot – eine Geschichte aus der nahen Zukunft

Predigt am 29. September 2019 in der Marktkirche in Hannover

Liebe Gemeinde,
heute ist Michaelistag.
Der Erzengel Michael kämpft gegen den Teufel, der in Drachengestalt daher kommt.
Engel gegen Satan, himmlische gegen höllische Wesen.
Und wir Menschen sind mittendrin im Geschehen.
Irgendwie dazwischen.
Wissen manchmal auch gar nicht, wer denn was ist:
Engel oder Teufel.
Helfer oder Vernichter.

In den letzten beiden Tagen fand hier in der Marktkirche ein großes Forum statt.
Der Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt der EKD hat es organisiert.
Es stand unter der Überschrift:
Kann Künstliche Intelligenz die Welt retten?
Ein wenig provokant, aber das wollten wir so.
Denn dahinter steckt eine Frage, die Menschen in diesen Tagen bewegt:
Künstliche Intelligenz – Teufelszeug oder Gottesgeschenk?

Künstliche Intelligenz macht vielen Menschen Angst.
Unsichtbare Algorithmen bestimmen angeblich immer mehr in unserem Leben.
Algorithmen, schon das Wort klingt für viele unheimlich.
Werden Computer eines Tages schlauer sein als wir?
Die Herrschaft übernehmen?
Wie in Science-Fiction Filmen immer zu sehen ist?

Zwei Tage haben wir hier in der Marktkirche zugehört und hingehört.
Diskutiert.
Sachlich und nüchtern, gut protestantisch.
Bei Licht betrachtet lautet unser Fazit:
Künstliche Intelligenz kann manche Sachen richtig gut.
Vielleicht sogar besser als wir.
Aber an das menschliche Gehirn kommt die Technik noch lange, lange nicht heran.
Vielleicht nie.
Trotzdem gibt es Chancen und Risiken.
Und da tut es gut, genau hinschauen.

Künstliche Intelligenz stellt auch Fragen an uns in der Kirche.
Gestern habe ich mit einer Kollegin ein Beispiel in die Diskussion eingebracht.
Wo Künstliche Intelligenz ganz praktisch für Christinnen und Christen werden könnte.
Noch ist es Science-Fiction.
Aber vielleicht in fünf Jahren möglich.

Ausgangspunkt des Beispiels ist eine kurze Passage aus einem Roman.
Julia von Lucadou erzählt in ihrem Buch „Die Hochhausspringerin“ von Hitomi.
Hitomi wälzt sich eines Nachts ruhelos im Bett hin und her.
Schlaftabletten, Entspannungsübungen, nichts hilft.
Um 3.17 Uhr in der Früh setzt sie sich an ihren PC.
Sie wählt ein Programm, eine App, mit Namen „Parentsbot“ an.
Der Bot, eigentlich nur ein anderes Wort für ein Softwareprogramm, startet.
Die Stimme einer Frau verwickelt Hitomi einfühlsam in ein Gespräch.
Die künstliche Mutterintelligenz fragt sie, was denn los ist.
Hier und da verstärkt sie Aussagen.
Oder gibt vorsichtige Impulse.
Hitomi entspannt sich nach und nach.
Sie fühlt sich verstanden.
Ja, die Stimme erinnert sie mehr und mehr an ihre echte Mutter.
Nach einer Weile beendet Hitomi das Gespräch.
Zitat aus dem Roman:
„Das Gespräch hat mich beruhigt.
Mein Körper fühlt sich wärmer und schwerer an als zuvor.
Ich lege mich wieder ins Bett.“

Wir fanden diese Passage aus dem Roman spannend.
In unserem Kopf sprang sofort eine Frage an:
Was wäre denn, wenn…?
Was wäre denn, wenn es solch eine Künstliche Intelligenz gäbe, die eine Pastorin, einen Pastor simulieren kann?
Und ich könnte mich mit ihm oder ihr besprechen?
Oder noch radikaler:
Viele Menschen sehnen sich danach, einmal mit Jesus sprechen zu können.
Oder im Gebet nicht nur Gott ansprechen zu können –
sondern er würde direkt und hörbar antworten.
Die Phantasie ging ein wenig mit uns durch.
Heraus kam dies:

Nach einem echten Sch***-Tag wälze ich mich ruhelos im Bett hin und her.
Nehme eine Schlaftablette, dann noch eine.
Schlaf kommt trotzdem keiner.
Ich stehe auf.
Öffne das Fenster.
Atme tief durch.
Spüre die kühle Luft.
Lege mich wieder hin.
Aber es will einfach nicht klappen mit dem Einschlafen.
Um 3:17 Uhr bin ich kurz vor der Verzweiflung.
Ich nehme meinen Laptop und schalte ihn an.
Ich suche ein wenig herum.
Klicke schließlich die Seite an:
„Gesprächspartner für alle Lebenslagen“.
Auf dem Bildschirm erscheinen etliche Buttons.
„Mama“ steht da zB oder auch „Papa“.
Bruder und Schwester fehlen genauso wenig wie Freundin oder Freund.
Weiter unten lese ich Psychologe, Seelsorgerin, Guru und – Gott.
Ich zögere kurz.
Lasse den Finger einen Augenblick schweben –
und klicke dann „Gott“ an.
Wenn schon, denn schon, sage ich mir.
Ich will das Original.

„Hallo“, sagt eine Stimme, also – Gott.
„Ich freue mich, dass du mit mir reden möchtest.
Sag mir doch deinen Namen.“

Bist du nicht allwissend, schießt mir durch den Kopf.
Aber ich sage: „Matthias“.

„Was ist los, Matthias?
Was hast du auf dem Herzen?“

„Ich hatte einen Sch***tag und kann nicht schlafen.“

„Das ist nicht gut“, sagt Gott.
„Darf ich dich fragen:
Kannst du nicht schlafen weil dich der gestrige Tag wachhält oder der kommende?“

„Gute Frage, eigentlich beides.“

„Erzähl doch.“

„Gestern habe ich mich mit einem Kollegen heftig über einen Vorgang in unserer Firma gestritten.
Türenknallend sind wir auseinander gegangen.
Und er rief mir nach:
‚Das wird noch ein Nachspiel haben!'“

„Oh, das klingt nicht gut…
Wie kann ich dir jetzt dabei helfen?
Was erhoffst du dir von mir?“

„Hm, noch eine gute Frage…
Erst mal, glaube ich, möchte ich, dass du mich verstehst.
Nein, genauer, dass du mir recht gibst.
Sagst, dass der andere sich blöd verhalten hat.
Und dann wäre es schön, wenn du irgendetwas machen könntest.
So dass es morgen gut weiter geht.
Und mir mein Chef keinen Anpfiff erteilt.“

Was rede ich denn da, geht mir durch den Kopf.
Das ist doch nur eine Software auf der anderen Seite.
Oder wo auch immer.
Und ich benehme mich wie ein kleines Kind.
Dass heulend zu Mama und Papa läuft.
Nachdem es sich unfair behandelt fühlt.

Gott lacht leise.
„Entschuldige bitte , aber…
Du hörst dich an, als wärest du fünf Jahre –
und ein größerer Junge hätte dir grade auf dem Spielplatz den Ball weggenommen.“

Jetzt muss ich auch lachen.
„Ja, in etwa so fühle ich mich auch.“

„Und was soll ich da jetzt für dich tun?“

„Du bist doch Gott und ich meine, du bist doch allmächtig, du könntest doch…“

„Okay.
Verstehe ich.
Aber…
Wenn ich einfach so mal in eure Geschichte und Geschichten eingreife –
wärt ihr Menschen dann nicht nur Marionetten?
Willst du das?“

Jetzt muss ich grinsen.
Ich ahne schon, worauf das hinaus läuft.
Trotzdem sage ich:
„Normalerweise ja, aber grad ist mir das wurscht.
Ich will jetzt die Welt so einfach haben wie ein Kind.
Und einen Gott, der meine Wünsche erfüllt und mich groß und stark macht. Das wäre jetzt doch toll.“

Mittlerweile staune ich doch sehr über das, was ich da grade dem Softwareprogramm erzähle.
Einem anderen Menschen hätte ich solche Wünsche nie anvertraut.
Aus lauter Angst, er lacht mich aus.
Aber hier und jetzt Gott, also, ich meine, dem Bot gegenüber ist das kein Problem.
Hört ja keiner zu.
Außer vielleicht – Gott?!
Was wäre denn, wenn der „richtige“ Gott auch zuhört….?
Und wieso, was wäre wenn – natürlich hört Gott zu.
Also der richtige.
Doch was denkt er sich dabei?
Ist er neugierig, amüsiert, verärgert?

Die Stimme des Godsbot reißt mich aus meinen Gedanken:
„Klar, du kannst mir alles sagen.
Das habe ich immer wieder gesagt.
Das steht auch in dem Buch, dass ihr Menschen geschrieben habt und in dem meine Worte verzeichnet sind.
Aber du weißt, ein Automaten-Gott –
oben 5 € rein, unten kommt das Gewünschte heraus –
hat wenig mit dem zu tun, was ich von mir mitgeteilt habe.
Über die Psalmisten und meinen Sohn Jesus und andere.“

Ich nicke und sage:
„Ja, bei Licht besehen, hast du natürlich recht.“

„Gut, dann will ich dir jetzt gerne weiter zu hören.
Erzähl mir doch von dem Vorfall und wir suchen gemeinsam nach einer Lösung.“

Unser Gespräch dauert dann noch eine Stunde.
Ich erzähle und Gott, also der Godsbot, hört zu.
Ich merke, wie ich nach und nach immer ruhiger wurde.
Gott hilft mir zu verstehen, und am Ende habe ich keine Angst mehr vor dem nächsten Tag.
Schließlich fallen mir die Augen zu, der Laptop rutscht zur Seite.

Am Morgen wache ich auf und denke:
Hast du das jetzt geträumt?
Oder hast du wirklich heute Nacht mit einer Gottsoftware über eine Stunde gesprochen?!
Mein Auge fällt auf den Laptop am Bettrand.
Ich drücke auf den Schalter, der Bildschirm springt an.
Ich lese dort:
„Danke, dass du mich angesprochen hast.
Ich hoffe, ich konnte dir helfen und du hast nun gut geschlafen.
Für das Gespräch mit deinem Kollegen nachher wünsche ich dir alles Gute.
In Liebe, Gott.“

Liebe Gemeinde,
ich habe dieses Gespräch vor einiger Zeit „einfach so“ herunter geschrieben.
Dann habe ich es noch mal gelesen.
Und ich weiß nicht, wie es Ihnen beim Hören ging:
Ich hatte beim Nachlesen Fragen über Fragen im Kopf:

  • Was ist das für ein Gottesbild, dass der Bot transportiert?
    Ein seelsorglicher, zugewandter Gott.
    Aber Gott ist ja viel mehr.
    Da gibt es auch den widersprechenden Gott.
    Oder den fordernden.
    Oder den ermutigenden.
    Brauchen wir dafür jeweils eine App?
    Oder wählt ein Zufallsgenerator aus, welcher „Gott“ jetzt mit mir spricht? Oder erkennt eine Künstliche Intelligenz gar am Klang meiner Stimme, was ich jetzt genau brauche?

  • Wollen wir so etwas überhaupt?
    Und wenn wir das für uns ablehnen, stellt sich ja trotzdem die Frage:
    Gibt es vielleicht Menschen, die solche eine Gott-Software gerne nutzen würden?
    Und warum wollen sie lieber mit einer App reden als mit einem Menschen?

  • Könnte der Heilige Geist, also Gott über Software, über solche Bots wirken?
    Wäre so ein Seelsorgegespräch genauso wirksam wie mit einer „echten“ Pfarrerin oder Pfarrer?
    Oder ist das wahres Teufelszeug und wir sollten die Finger davon lassen?

  • Und wenn wir als Kirche hier nicht selbst aktiv werden wollen, machen es dann andere? Freikirchen, Sekten?
    Sollten wir es dann nicht vielleicht besser selber machen…?

  • Wer beauftragt solch eine Programmierung, wer autorisiert sie?
    Eine Kirchengemeinde, eine Landeskirchen, die EKD? Und wer bezahlt das alles?

Fragen über Fragen.
Gott (!) sei Dank ist die KI noch nicht so weit.
Noch nicht.

Liebe Gemeinde,
dieses Beispiel zeigt mir zweierlei.
Wir müssen uns mit solchen Fragen auch als Christinnen und Christen auseinandersetzen.
Ob wir wollen oder nicht.
Andere machen es, und dann sind wir schnell raus.

Der vielleicht schnelle und nachvollziehbare Impuls:
Das ist doch Teufelszeug, Finger weg!
Verständlich.
Aber wir haben als Christinnen und Christen eine Aufgabe in dieser Welt.
Das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat zu bezeugen.
Auch mit den Mitteln, die die Welt uns dafür anbietet.
Buchdruck, Radio, Fernsehen, Internet –
Wir haben schnell die Tendenz zu sagen:
Nein, das verfälscht die Botschaft.
Und diesen Reflex gab es bei all diesen segensreichen Erfindungen in der Anfangszeit auch.
Das können wir nachlesen.
Bücher, Radio, Fernsehen, Internet – nutzen wir inzwischen wie selbstverständlich auch als Kirche.

Daher mein zweiter Gedanke:
Neue Entwicklungen, Erfindungen sind in aller Regel weder Teufelszeug noch Heilsbringer.
Wir Protestantinnen und Protestanten tun gut daran pragmatisch vorzugehen.
Ich bin ja Landessozialpfarrer und im KDA tätig.
Martin Luther ist mir da nahe.
Er äußert sich damals zu seiner Zeit sehr klar zu wirtschaftlichen Fragen.
Zu Zins und Wucher zum Beispiel.
In einer pragmatischen Weise.
Luther sagt – und ich sag es in meinen Worten:
„Naja, bei der Höhe des Zinses, da muss man schauen.
Da gibt es den gesunden Menschenverstand.
Lasst den walten und es wird schon.“
Da geht Luther von Spielräumen und Abwägen aus.
Er kann aber auch Grenzen ziehen:
„Ausbeutung und Vernichtung durch Wucherzinsen, das ist nicht in Gottes Sinn.
Und auch nicht, dass finanzkräftige Kaufleute Könige und Fürsten aufkaufen können. Und ihnen dann diktieren, was sie zu tun haben.“

Für mich ist das „Pragmatischer Protestantismus“:
Einerseits nach den Grenzen rechts und links fragen.
Andererseits entspannt dazwischen nach Lösungen suchen.
Unsere soziale Marktwirtschaft lebt von diesem Geist.
Das haben die Gründungsväter und Mütter nach dem Krieg so gewollt.
Ein guter Geist, um auch die Fragen zu bewerten, die von Künstlicher Intelligenz ausgehen.
Da gibt es manch gutes und sinnvolles.
Aber auch riskante und gefährliche Entwicklungen.
Daher ist Verteufeln falsch.
Und die KI wird auch nicht den Himmel auf Erden bringen.
Irgendwas dazwischen aber ist möglich.
Und damit bin ich beim Predigttext aus dem 1. Brief von Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki.
Paulus fordert uns auf, ermutigt uns:
„Prüft alles, und das Gute behaltet!“
Amen.

… und hier gibt es die Predigt zum Hören:

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