Mit einer umgeschriebenen Predigt von Birgit Mattausch über das Buch Ruth verabschiede ich mich am Wochenende für die nächsten Jahre aus der Reihe derer, die Sonntag für Sonntag und auch noch an den Feiertagen auf der Kanzel stehen und das Wort Gottes auslegen. Natürlich werde ich auch an meiner neuen Wirkungsstätte Gottesdienste halten, aber nicht mehr so regelmäßig und vor allem nicht mehr in der Fülle wie bisher.
Ich spüre, dass mich diese Vorstellung (auch) entlastet und daran merke ich, dass es keine Selbstverständlichkeit, kein Selbstläufer ist, wenn sich Frauen und Männer, Predigerinnen und Prediger einmal in der Woche aufmachen, anderen die Worte der hebräischen und griechischen Bibel nahezubringen.
Predigen hat mir immer viel Freude gemacht, ich habe nicht wie andere darunter gestöhnt. Predigen fiel mir „leicht“, es gab andere Aufgaben im Gemeindepfarramt, die ich schwer, bedrückend, belastend fand. Dennoch habe ich mit der neuen Möglichkeit des Internets hier viel dazu gelernt.
In meinen ersten Jahren habe ich die üblichen Predigtstudien gelesen, hilfreich fand ich sie selten. Predigten anderer zu lesen, inspirierte mich mehr. Hier öffnete das Netz mir ganz neue Welten.
In all den Jahren habe ich unzählige Predigten anderer gelesen, auf den bekannten Portalen oder auf weit verstreuten Gemeindeseiten, wenn ich gezielt nach Predigten zu einem biblischen Text suchte. Viele haben mich angeregt, manche geärgert, andere kalt gelassen. In besonderer Weise möchte ich drei Erfahrungen hervorheben.
Irgendwann stieß ich auf Predigten von Margot Runge aus Sangerhausen. Kurioserweise lebt mein Bruder dort und kennt die Kollegin, dennoch habe ich bis heute nie einen Kontakt zu ihr herstellen können. Schade, denn wenn ich ihre Predigten lese, dann habe ich das Gefühl, die könnten Wort für Wort, Satz für Satz von mir stammen. Flapsig sage ich manchmal, Margot Runge ist mein alter ego in Predigten. Ich habe etliche ihrer Predigten von ihr in meiner Gemeinde gehalten, und die Gemeinde hat nichts gemerkt, war im Gegenteil begeistert. So wie ich als „Hörer“ der Predigten der Kollegin.
In den letzten zwei drei Jahren habe ich in der Facebook-Gruppe des Zentrums für Predigtarbeit viele Predigten gelesen, und auch die ein oder andere von mir zur Diskussion gestellt. Die grundsätzlich wertschätzende Art des Umgangs untereinander hat mir gut gefallen und gefällt mir immer noch. Katrin Oxen bin ich dankbar für die Einrichtung dieser Gruppe und die Konzeption, das ist ein wunderbarer Austausch über unsere wichtige und oft so schwere Aufgabe, Sonntag für Sonntag auf die Kanzel zu steigen und dort den Mund aufzumachen. Es hat mir geholfen, wenn Kolleg_innen sich vorab schon positiv über meinen Entwurf äußerten, denn der größte Kritiker meiner Predigten bin ich selbst und der Zweifel, die Unsicherheit ist immer mit dabei.
Und schließlich, letztlich – und hier komme ich zum Anfang zurück – habe ich über das Netz Predigten von Birgit Mattausch kennen und schätzen gelernt. Ihre Art – ich nenne sie für mich: poetisch – hat mich sehr angeregt, weil ich spürte, diese Form zu predigen rührt etwas in dir an, so möchtest, ja, so könntest du auch predigen. Ich habe immer schon versucht, möglichst unterschiedliche Sprachformen in der Predigt vorkommen zu lassen – Ansprache, Erzählung, Narration, prophetische Kritik und eben auch Poesie. Weil ich mal irgendwann für mich verstanden habe, dass auch die von Jesus überlieferten Texte sehr unterschiedlichen Sprachformen angehören. Die Poesie, das Gedicht, ist eine davon, man lese nur die Bergpredigt. Vereinzelt habe ich über die Jahre versucht, auch poetische Predigten zu schreiben und zu halten, aber erst die Predigten von Birgit haben für mich eine Tür geöffnet und ich ahnte, so kann es gehen. Kurze Sätze, präzise formuliert. Weniger Erklärung oder Behauptung, dafür mehr Schwingung und Leichtigkeit. Es diszipliniert und schärft, möglichst ohne Nebensätze auszukommen. Birgit hat eine Gabe, so biblische Personen lebendig werden zu lassen, eine Gabe, die mich sehr inspiriert hat. Zugleich ist die Methode der poetischen Kurzsätze auch geeignet, den Predigtvortrag eindringlich zu gestalten. Hier habe ich viel gelernt und seither etliche Predigten in dieser Form geschrieben. Auch meine (fast fertige) Abschiedspredigt am Reformationstag atmet diesen Geist (so hoffe ich) und die Predigt bei meiner Einführung in Osnabrück in einigen Wochen vermutlich auch. Denn ich merke: Die klassische „Rede“, die „Ansprache“, der „Vortrag“, all das scheint mir immer weniger gut geeignet, biblische Texte lebendig werden zu lassen oder Themen und Anlässe so zu beleuchten, dass Menschen angeregt werden, nachdenklich werden. Die poetische Predigt in kurzen Sätzen scheint mir hier besonders geeignet zu sein, als Gefäß für das Wirken des Geistes zu dienen (wobei der natürlich immer nur weht, wo er will). So sehe ich es heute, am Ende einer langen Zeit des Gemeindepfarramts. Ich bin gespannt, wie sich meine neue Aufgabe im KDA (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt) auf meinen Predigtdienst auswirken wird und was ich dann neu dazu lernen werde.