Schweigen ist Zustimmung. Dieser Satz steht in diesem Twitter-Dialog und als ich ihn las, dachte ich, ich ahne, was gemeint ist und stimme doch nicht so richtig zu. Auf 140 Zeichen ist dies aber kaum zu diskutieren, daher versuche ich es jetzt hier im Blog.
„Schweigen ist Zustimmung, das habe ich in meiner Generation so gelernt.“ Ein interessanter Satz, denn mir fiel sofort eine andere Geschichte aus einer anderen Zeit ein, die ich in diesem Tagen hörte. Eine Frau aus der Gemeinde erzählte mir von ihrer familiären Geschichte, die geprägt war durch ein unausgesprochenes Schweigegebot. Negative Erlebnisse wurden totgeschwiegen, bei den Versuchen, etwas über die eigenen Vorfahr_innen zu erfahren, stieß sie immer wieder auf eine Mauer des Schweigens, wenn es um Erlebnisse z.B. aus dem Krieg oder der Zeit danach ging. Sie erzählte mit weiter, dass es ihr wie Schuppen von den Augen fiel, als sie ihr erstes Poesiealbum aus der Schulzeit durchblätterte und den Satz las, den ihre Mutter dort hineingeschrieben hatte: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Eine andere Generation. Hier ist Schweigen weniger Zustimmung als Verschweigen, Wegsehen – und damit dann doch wieder ganz nah, weil eine Auseinandersetzung verweigert wird, hüben wie drüben.
So weit gehe ich auch gut mit. Schweigen deckt vieles zu. Es gibt das geflügelte Wort von den Konflikten, die mann/frau besser nicht unter den Teppich kehrt. Es ist Teil vieler Trauperedigten, die ich gehalten habe. Und dennoch regt sich in mir Widerstand.
Vielleicht hängt es daran, dass ich frage, wie die Alternative lautet. Schweigen ist Zustimmung, Reden ist Widerstand? So weit, so gut. Doch was heißt das denn? Geredet und geschrieben wird in unseren Tagen wahrlich nicht wenig. Alle möglichen Leserbriefe erscheinen über Hundekot auf den Gehwegen und Telekom-Schaltkästen vor dem eigenen Vorgarten, und natürlich die verfehlte Schulpolitik und, und und …
Nein, es ist wahrlich nicht so, dass in unseren Tagen geschwiegen wird. Das böse, aber treffende Wort von der Erregungsgesellschaft trifft schon zu. Wenn ich irgendwo dagegen bin, mache ich halt den Mund auf. Leider habe ich oft den Eindruck, dass es besser wäre, erst mal zu schweigen als meine Meinung in die Welt zu posaunen. Manchen Leserbrief finde ich nur peinlich und frage mich, ob den Verfassern (es sind meistens Männer) bewusst ist, was sie da mit dem eigenen Namen verbunden in die Öffentlichkeit geben …
Und ich merke, wo ich das jetzt hier schreibe, hier liegt der Kern meines Unbehagens, diesem Satz „Schweigen ist Zustimmung“ vollumfänglich zu unterschreiben.
Natürlich stimmt er in vielen Fällen. Ich frage mich auch: worüber regen wir, ich mich auf – und worüber nicht? Mein Eindruck: es geschieht schnell da wo es mich nichts kostet oder wo ich fürchte, von meinem „Besitz“ etwas abgebe zu müssen. Es ist leicht, sich über Putin, die NSA, Netanjahu oder die Hamas aufzuregen. Es geht schnell, dass ich der Stadtverwaltung oder der Kirchengemeinde vorrechne, dass der Wert meines Eigenheims sinkt, wenn in der Nachbarschaft eine Moschee oder ein Haus für Asylbewerber_innen gebaut wird. Aber bin ich auch bereit, meinen Namen unter den Aufruf zum Schutz von Asylbwerber_innen zu setzen, wenn ich fürchten muss, dass entsprechende Rechte Kreise mich auf ihre schwarze Liste setzen …?
Das ist das eine, da geht um den Preis, den ich fürs Reden zahle. Hier stimmt der Satz, wenn ich hier aus Angst schweige, stütze ich die Ungerechtigkeit, den Hass.
Das andere ist aber, wenn ich den Mund aufmachen will – was sage ich denn? Geht es darum irgendetwas zu sagen, und sei es, um mein Gewissen zu beruhigen – ich hab ja was gesagt, getan?
Derzeit wird genau das an der Aktion #WeareN kritisiert. Es sei ein einfacher, billiger und folgenloser Protest, der nicht weh tut. Ich stimme nicht so ganz zu, mediale Aufmerksamkeit in unseren Tagen zu erzielen ist mehr als nichts und was und wo bei dem ein oder der anderen wirkt, weiß ich nicht.
Die Frage ist aber doch: ist das eine angemessene, „richtige“ Reaktion? Hier erinnere ich mich an Diskussionen um das Wort der Kirche zu aktuellen Anlässen. Eine uralte Diskussion. (Für Theolog_innen: seit einer Ewigkeit wird darüber gestritten, wann der processus confessionis in den status confessionis umschlägt. Einfach gesagt: Es gibt einen Punkt, an dem „Kirche“ sagen muss, aus unserem Bekenntnis heraus können wir hier nicht mehr mitmachen, wir müssen Nein sagen. Doch wo und wann dieser Punkt gekommen ist, an dem ein Prozess des Nachdenkens über das rechte Bekenntnis in Wort und Tat umschlägt, darum geht der Streit. In Fragen der Atombewaffnung und des Weltwirtschaftssystem immer wieder heftig innerkirchlich diskutiert, z.B. 2008 auf der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland unter der Überschrift: Wirtschaften für das Leben, vor allem S. 8-16).
Mir fällt ein, dass Dietrich Bonhoeffer einmal kluge Gedanken über das Schweigen der Kirche gesagt hat. Ich muss ein wenig im Bücherregal suchen, doch dann finde ich es. 1932 war das. Bonhoeffer hielt auf der Jugendfriedenskonferenz des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen in Cernohorske Kupele einen vielbeachteten und seitdem oft zitierten Vortrag. Darin finden sich folgende Worte:
„Es kann nichts Gutes dabei herauskommen, vor der Welt und sich selbst so zu tun, als wüßte man die Wahrheit, während man sie im Grunde nicht weiß. Dafür ist die Wahrheit zu ernst, und es wäre ein Verrat an der Wahrheit, wenn die Kirche sich hinter Resolutionen und frommen sog. christlichen Prinzipien versteckt, wo sie aufgerufen ist, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und zu allererst einmal ihre Schuld und ihr Nichtwissen einzugestehen. ( … ) Qualifiziertes Schweigen könnte der Kirche heute vielleicht angemessener sein als ein Reden, das möglicherweise sehr unqualifiziert ist. ( … ) Die Sachzugewandtheit der gebietenden Kirche ist einerseits Vorbedingung für ein wirkliches Gebot und macht andererseits jedes ihrer Gebote immer wieder unsicher, weil abhängig von der vollen Kenntnis der Wirklichkeit. Es gibt nun grundsätzlich zu diesem unlöslichen Dilemma eine doppelte Stellungnahme: Einmal das Ausweichen und Sichzurückziehen auf die Etappe der Prinzipien. Das ist der Weg, den die Kirchen fast immer gegangen sind. Oder aber: die Schwierigkeit wird klar ins Auge gefasst, und es wird nun allen Gefahren zum Trotz etwas gewagt, nämlich entweder ein bewußtes und qualifiziertes Schweigen des Nichtwissens oder aber es wird das Gebot gewagt, in aller denkbaren Konkretion, Ausschließlichkeit, Radikalität.“ (Zur theologischen Begründung der Weltbundarbeit, in: DBW 11, genauere Angaben z. Z. nicht greifbar)
Bonhoeffer´s Gedanken in der Zeit vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beziehen sich auf die Friedensfrage in unruhiger Zeit. Ihn beschäftigte damals die Hoffnung, dass ein gemeinsamen Konzil der (europäischen) Kirchen dem sich abzeichnenden Unfrieden in Europa ein machtvolles Wort entgegen setzen könnte (vgl. auch seine Predigt auf der ökumenischen Konferenz in Fanö 1934, Kirche und Völkerwelt).
Unruhige Zeiten haben wir heute auch und die Frage auf Twitter bezog sich darauf, wer den Mund auftut, um Schutzrechte einzuklagen oder sich (verbal) vor andere zu stellen. Wer es nicht tut, stimmt zu, so die Meinung. Ich kann dem durchaus zustimmen, weil es vielfach ganz sicher so ist. Andere schweigen aber auch aus Angst. Vor den Folgen. In manchen Familien wird geschwiegen, damit Familiengeheimnisse bloß nicht ans Licht kommen. Die Leidtragenden sind diejenigen, die gar nicht wissen, was und warum verschwiegen wird.
Und das Schweigen und Wegsehen, wenn auf der Straße oder in der Nachbarschaft etwas passiert, geschieht auch oft aus Angst, und ich bin mir keinesfalls sicher, wie ich reagieren würde/werde, wenn der Ernstfall für mich eintritt. Bislang musste ich nur „kontrolliert“ und d.h. gut vorbereitet in verschiedenen Zusammenhängen in meiner Rolle als Gemeindepfarrer das Wort zu aktuellen Entwicklungen erheben.
Ich bin der Meinung, das sollte zurückhaltend und selten geschehen. Und zwar deswegen, weil die Stimme von Einzelpersonen oder auch kirchlichen Institutionen locker im Chor des unendlichen lauten und vielfältigen Mediengetöse untergeht. Wir tun gut daran, zu überlegen, wann qualifiziertes Reden dran ist und wann nicht. Ich glaube, es ist viel seltener der Fall als manche denken. „Einfach nur“ eine Stellungnahme zu was auch immer in die Welt posaunen und sich dann beruhigt zurücklegen – „wir haben ja geredet“ -, das finde und fand ich immer unpassend.
Manchmal glaube ich, dass Bonhoeffer mich viel stärker unterschwellig geprägt hat, als ich schon dachte. In den mehr als zwanzig Jahren habe ich immer die Auffassung vertreten, wenn wir als Kreissynode reden, dann muss dies mit konkreten Schritten verbunden sein. In „meinem“ Bereich Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) habe ich so an drei Synoden mitgewirkt, einmal wurde ein Arbeitslosenprojekt gegründet, ein anderes Mal ein Beschluss zum praktischen Umgang mit Hartz IV gefasst und derzeit bereiten wir eine Synode für 2015 zum Thema Nachhaltigkeit vor. Im Vorbereitungsteam sind wir uns einig, dass hier auch konkrete Handlungsschritte vorgeschlagen werden sollen.
Natürlich gibt es und gab tausend Dinge, wo ich als Einzelner oder als Mitglied meines Presbyteriums, meiner Kreissynode den Mund (hätte) aufmachen könnte. Doch ich frage mich, was bringt es? Ich plädiere dafür, selten öffentlich zu reden, weil ich glaube, dann ist die Aufmerksamkeit größer.
Gilt dies auch für den persönlichen, privaten Bereich? Kommt auch hier drauf an. Auf die Situation, den Kontext usw. Ja, hier kann Schweigen schnell falsche Zustimmung sein, aus Angst, aus Bequemlichkeit. Ich mache mich davon nicht frei. Aber umgekehrt, „qualifiziertes Reden“ ist auch hier nicht so einfach …
Grundsätzlich sehe ich keinen Dissens zwischen uns. Für mich bleibt trotzdem – immer wieder! – die Frage, wann wer wie diese lautere Stimme erhebt. Einzelpersonen tun es, auch und gerade in den sozialen Netzwerken. Und es gibt auch Proteste von Pfarrern, Gruppen usw., z.B: http://www.abendblatt.de/hamburg/article130844132/600-Menschen-protestieren-gegen-Christenverfolgung-in-Nahost.html oder http://www.welt.de/politik/deutschland/article130738350/Das-toedliche-N-wird-zum-Symbol-des-Widerstands.html
Aber es stimmt schon, andernorts scheinen die christlichen Proteste stärker zu sein (oder liegt hier auch eine mediale Verzerrung vor?) Vielleicht gibt es aber unter uns auch so etwas wie eine wohlstandsgesättigte Selbstzufriedenheit? Und vielleicht gibt es auch die dumpfe Ahnung, dass ein lauterer Protest, der mit Hinsehen verbunden ist, dann auch unsere eigenen Verstrickungen in das ganze Geflecht von Hass, Terror und so weiter ans Licht bringen würde … Was Jonas Bedford-Strohm zum Konflikt in Israel/Gaza geschrieben hat, gilt sicher auch für andere Konfliktherde: http://www.huffingtonpost.de/jonas-bedfordstrohm/nahost-konflikt-religion-oder-ruestung-die-richtigen-fragen-im-gaza-krieg_b_5642740.html?utm_hp_ref=germany
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Schweigen heisst Zustimmung.
Missbrauch und Misshandlung wird durch Schweigen “gedeckt” und der Täter/die Täterin interpretiert das Schweigen als Zustimmung.
Mobbing und Ausgrenzung gegenüber anderen Menschen/Minderheiten/Ausländern wird durch das duldende Schweigen der Mehrheit als legitim erachtet.
Behandlungs- und Pflegefehler werden nicht behoben durch das Schweigen der beteiligten Berufsgruppen (in einem hierarchischem System).
In diesem Kontext ist diese Aussage zu setzen.
Ganz konkret geht es bei dem eingangs erwähnten Tweet tatsächlich um das Schweigen in den “sozialen” Medien, speziell von Christen und Moslems bezogen auf die Vorkommnisse im Irak/Mossul.
Warum schweigen “wir” Christen?
Wo bleibt der Aufschrei wenn Christen verfolgt werden?
Warum fällt es “uns” so schwer uns mit unseren Glaubensbrüdern und -schwestern zu solidarisieren?
Warum gehen wir so selten in eine verbale Auseinandersetzung, wenn gegen unseren Glauben gehetzt wird?
Und es ging auch darum, ein Zeichen zu fordern u.a. von den Muslimen in Deutschland (und weltweit), dass sie nicht schweigend zusehen, wenn eine Terrororganisation im Namen Allahs Christen verfolgt.
#weareN ging durch die Medien, es wurde “viral” und machte auf das Leid der verfolgten Christen aufmerksam.
(Es gibt immer jemand, der meckert.)
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland, zahlreiche Christen, Muslime, Juden (vermutlich), Anders- und Nichtgläubige zeigen im Netz ihre Solidarität.
Sie sagen und zeigen: Ihr seid nicht allein! Ich sehe euer Leid! Es geschieht nicht in meinem Namen!
Das ändert nichts an der dramatischen Situation der verfolgten Christen im Irak und anderswo, zeigt mir aber, dass dieser Terror nicht die schweigende Zustimmung der Muslime (und oben genannte Menschen) in Deutschland findet.
Ja, es mag manchmal sinnvoll sein, zu schweigen, in diesem Fall wünschte ich mir ein lautere Stimme.
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