Veröffentlicht im Juli 2023 unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC
Einleitung:
Der Krieg in der Ukraine bewegt mich. Ich bin mit/in der Friedensbewegung groß geworden, habe den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert und Zivildienst gemacht. Ich hatte lange eine klare Position zu Krieg und Frieden, die sich in den letzten Jahren verändert hat, nicht erst seit Februar 2022.
In diesem Krippenspiel versuche ich, „die Welt“ aus Sicht eines Offiziers in einer Armee zu schildern, der einem unsicheren Herrscher dient, diesen muss. Es ist kein Krippenspiel für den Familiengottesdienst an Heiligabend, eher für die Christvesper, die Mette oder die Feiertage. Ich glaube, auch Kinder können die Zwiespältigkeiten von Krieg und Frieden nachvollziehen, schließlich werden sie mit den Geschehnissen in der Ukraine oft auch konfrontiert. Trotzdem ist die Erwartungshaltung am Nachmittag des Heiligen Abends eine andere.
Wir wissen heute, dass der Kindermord von Betlehem lediglich eine Legende darstellt. Dennoch spricht vieles dafür, dass das Vorgehen, das Lukas Herodes andichtet, auf Erinnerungen an die Art und Weise zurückgeht, wie die Zeitgenoss:innen Herodes erlebt haben. Er ist Sinnbild für einen schwachen Diktator eines Staates, der in wesentlichen Bereichen ein Vasallen-Staat darstellt. Aktuelle Parallelen zeigen, dass schwache Herrscher:innen gerne besonders brutal vorgehen, wenn sie um ihre Macht fürchten …
Ich habe länger überlegt, ob es sich hier wirklich um ein Krippenspiel zu Weihnachten handelt oder ob es besser zu Ostern passt. Entscheiden Sie selbst!
Rollen:
Herodes
Elias, Hauptmann von Herodes
Adjutant des Hauptmanns
Priester am Hof
Sarah, Frau des Hauptmanns
Nachbarin des Hauptmanns
Sterndeuter 1-3
Mögliche Rollen ohne Text:
Soldat/en, Hofbedienstete, weinende Mütter und Väter – wenn man möchte und entsprechender Platz vorhanden ist, kann auch eine Krippenszene stumm gespielt werden in Szene IV, begleitend zur Schilderung der Nachbarin.)
Szene I: Beginn – Hauptmann Elias stellt sich vor
[Im Thronsaal von Herodes. Herodes sitzt auf seinem Thron. Elias tritt auf.]
Elias: Ich heiße Elias. Ich bin Hauptmann der Soldaten von König Herodes. Ich leite seine Einsatztruppe. Die kommt immer dann zum Einsatz, wenn etwas Besonders zu regeln ist. In Absprache mit den römischen Besatzern, versteht sich. Ich bin hier in Jerusalem stationiert, aber ich komme aus einer kleinen Stadt. Betlehem heißt sie. Dort wohnt auch meine Familie, meine Frau und unsere drei Kinder. Mein jüngster Sohn ist gerade ein halbes Jahr alt. Leider sehe ich sie nur selten. Nie hätte ich vermutet, dass mein Heimatort und meine Familie in meiner Arbeit als Hauptmann mal eine zentrale Bedeutung haben werden. Doch genauso kam es. Ich erzähle euch nun meine Geschichte. Sie beginnt, als an einem ganz normalen Vormittag drei Männer am Palast von Herodes vorstellig werden.
Szene II: Drei Sterndeuter besuchen Herodes
[Im Thronsaal. Herodes sitzt auf seinem Thron. Der Priester und Elias stehen an der Seite. Die drei Sterndeuter betreten den Thronsaal und verbeugen sich von Herodes.]
Sterndeuter 1: Sei gegrüßt, edler König.
Sterndeuter 2: Wir danken dir sehr, dass du uns empfängst.
Herodes (etwas unwirsch): Gut, gut, was führt euch zu mir? Ihr seht aus, als seid ihr weit gereist.
Sterndeuter 3: Das stimmt, o Herodes. Wir kommen aus dem Osten, viele Wochen waren wir unterwegs.
Sterndeuter 1: Wir sind Sterndeuter. Nacht für Nacht betrachten wie die Sterne.
Sterndeuter 2: Wir versuchen zu verstehen, was sie uns sagen. Besonders spannend sind neue Sterne am Nachthimmel. Das hat immer etwas zu bedeuten.
Sterndeuter 3: Und vor einiger Zeit sahen wir IHN. Einen neuen Stern, heller leuchtend als alle andere. Plötzlich tauchte er am Himmel auf. So hell, dass wir ihn auch am Tag sehen konnten.
Herodes: Und was hat das mit mir zu tun?
Sterndeuter 1: Wir haben in unseren alten Schriften geforscht.
Sterndeuter 2: Schließlich fanden wir einen Hinweis auf die Geburt eines Königskindes. Ein Mensch, von Gott gesandt, um uns alle zu retten.
Sterndeuter 3: Wir lasen in den Schriften: Ein Stern wird ihn ankündigen. Ein Stern, heller als alle anderen.
Sterndeuter 1: Wir sind sofort aufgebrochen und folgten dem Stern.
Sterndeuter 2: Er führte uns hierher nach Israel.
Sterndeuter 3: Jetzt sind wir da. Zeig uns das Kind, Herodes! Wir wollen es anbeten und ihm Geschenke geben.
Herodes: Was wollt ihr? Hier gibts kein Kind. Keine meiner Frauen ist schwanger oder hat vor kurzem ein Kind geboren. Das würde ich wissen (lacht). Ihr müsst euch irren.
Sterndeuter 1: Das kann nicht sein! Unsere alten Schriften sind eindeutig.
Sterndeuter 3: Der Stern hat uns genau hierhergeführt. Und ein Königskind kommt in einem Palast zur Welt, oder?
Herodes: Hm … Priester!
[Priester kommt, verneigt sich mehrfach unterwürfig]: Ja, Majestät, wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?
Herodes: Die drei faseln hier von einem Stern und einem neugeborenen Königskind hier bei uns. Kannst Du damit irgendetwas anfangen?
Priester (ängstlich): Ja, Majestät …
Herodes (ärgerlich): Und was?! Rück raus mit der Sprache!
Priester: Nun, in unseren heiligen Schriften steht, dass eines Tages der Messias geboren wird. Ein Herrscher, der ganz Israel erretten wird.
Herodes: Und das soll hier in Jerusalem geschehen?
Priester: Nein, o Majestät, es soll in Betlehem geschehen, der Prophet Micha hat gesagt: „Und du, Betlehem im Lade Juda, du bist keineswegs die unbedeutendste unter den Städten in Juda. Denn aus dir wird der Herrscher kommen, der mein Volk Israel wie ein Hirte führen soll.“ Und wenn ich noch etwas anmerken darf …
Herodes: Ja?
Priester: … wir haben solch einen hellen Stern auch am Nachthimmel gesehen, wussten aber nicht, was er bedeuteten könnte …
Herodes: Hm … [wendet sich zu den Sterndeutern] Ihr habt es gehört, wenn es ein Königskind gibt, dann findet ihr es in Betlehem.
Sterndeuter 1: Danke, o Herodes!
Sterndeuter 2: Wir reisen sofort nach Betlehem.
[Sterndeuter wenden sich ab und wollen gehen.]
Herodes: Wartet! Versprecht mir eins: Kommt auf dem Rückweg auf jeden Fall bei mir vorbei und berichtet. Wenn ihr das Kind gefunden habt, dann will ich auch nach Betlehem gehen und das Königskind anbeten. Und wenn ihr nichts vorfindet, kann ich euren Besuch in Ruhe zu den Akten legen. Dann lade ich euch zu einem Festmahl ein, bevor ihr zurückreist.
Sterndeuter 3: Das machen wir gerne. Jetzt entschuldige uns bitte, wir machen uns sofort auf den Weg!
[Die Sterndeuter verbeugen sich und verlassen den Thronsaal.]
Herodes: Hauptmann!
Elias [Kommt näher, verbeugt sich]: Ja, Majestät?
Herodes: Ich glaube ja nichts von dem ganzen Quatsch, den mir die drei komischen Vögel erzählt haben, aber man weiß ja nie. Bereite dich mit deinen Männern sicherheitshalber auf einen Einsatz vor.
Elias: Ein Einsatz? Was genau meinst du, o Herodes?
Herodes (grinst): Das ist doch offensichtlich, oder? Sollten die drei wirklich ein Kind finden, dann wirst du mit deinen Männern nach Betlehem gehen und die Sache erledigen.
Elias: Ich verstehe nicht ganz. Was sollen wir erledigen?
Herodes [ärgerlich]: Na, das Kind umbringen!! Was denn sonst, ich werde kein Königskind neben mir mehr dulden, das wäre ja noch schöner!!
Elias: Wie du befiehlst, ich werde alles in die Wege leiten. Adjutant!
Adjutant: Hauptmann, was sind eure Befehle?
Elias: Versetz die Mannschaft in Alarmbereitschaft, damit wir jederzeit losschlagen können!
Adjutant: Zu Befehl!
Szene III: Auftrag zum Kindermord – Dialog zwischen Herodes und Hauptmann
[Im Thronsaal. Herodes läuft unruhig hin und her. Elias tritt auf.]
Elias: Es passierte tagelang nichts. Herodes wurde immer unruhiger. Dreimal am Tag fragte er, ob die Sterndeuter wieder da sind. Am fünften Tag rief er mich.
Herodes: Elias!
Elias: Ja, o Herodes?
Herodes: Ich glaube, da stimmt irgendetwas nicht. Die müssten längst zurück sein, so oder so. Es muss also einen Grund geben, warum sie nicht wieder auftauchen. Ob sie tatsächlich das Kind gefunden haben und geahnt haben, dass ich das nicht hinnehmen werde? Vielleicht haben sie einen anderen Weg nach Hause eingeschlagen. Ich kann kein Risiko eingehen. Ich erteile dir daher jetzt einen Befehl: Geh mit deinen Männern nach Betlehem, durchkämme den Ort und tötet jeden Jungen, der jünger als zwei Jahre alt ist.
Elias (erschrickt): Nein!
Herodes: Wie, nein? Du widersetzt dich meinem Befehl?!
Elias (stammelt): Ich meine, dein Befehl trifft auch meinen Sohn. Kann nicht wenigstens er verschont werden? Bitte!
Herodes (spricht mit zynisch-boshafter Stimme): Kannst du mir garantieren, dass dein Sohn nicht das Königskind ist? Kannst du garantieren, dass er nicht der Messias, der Retter Israels sein wird, von dem der Priester sprach?
Elias: Mein Sohn der Messias? Nein!
Herodes: Woher willst du das so genau wissen?
Elias: Aber ich kann doch nicht den Befehl geben, meinen eigenen Sohn zu töten!
Herodes (genervt): Das musst du auch nicht, es ist MEIN Befehl. Und damit das klar ist: Weigerst du dich, meine Anordnung auszuführen, so musst du die Folgen tragen. Du weißt, was dir in diesem Fall droht.
Elias: … die Hinrichtung wegen Befehlsverweigerung…
Herodes: Richtig, und gewinnen tust du damit nichts. Dann wird eben ein anderer den Befehl ausführen. Überleg es dir gut. Sterben wird dein Sohn so oder so.
Szene IV: Der Hauptmann in Betlehem – Dialog mit seiner Frau
[Szenenwechsel nach Betlehem ins Haus des Hauptmanns. Seine Frau Sarah sitzt weinend am Tisch, als Elias auftaucht.]
Sarah (schaut auf): Was willst du hier?!
Elias: Sarah, lass mich erklären …
Sarah: Was gibt es da zu erklären! Du hast Befehl gegeben, Deinen eigenen Sohn zu töten und noch viele andere! Unser ganzer Ort hallt wieder vom Wehklagen und das Blut läuft durch die Gassen!
Elias: Das war nicht mein Befehl, sondern der von Herodes!
Sarah: Was macht das für einen Unterschied!
Elias (verzweifelt): Was hätte ich denn tun sollen, Herodes hätte mich getötet und unseren Sohn auch, so oder so!
Sarah: Soll das ein Trost sein für mich?! Trauerst du denn gar nicht? Bist du so hart?
Elias: O doch, es zerreißt mir das Herz. Was hätte denn aus dir und den Kindern werden sollen, wenn er mich tötet? Wovon wollt ihr leben? Ich habe es auch für dich gemacht!
Sarah: Du willst nicht ernsthaft mir eine Mitverantwortung zuschieben für den Tod unseres Sohnes?!
Elias: … nein, natürlich nicht …
Sarah: Hättest du dich geweigert, hätte ich dich wenigstens als aufrechten Mann und Vater in Erinnerung behalten können. Es hätte mir das Herz noch mehr zerrissen – aber was soll denn jetzt werden?! Und warum das alles?
Elias: Da waren Männer aus dem Osten, die erzählten von einem Kind, das der Messias sein soll. Und von einem Stern, der sie hierhergeführt hat, in unser Land. Der Priester meinte, in den alten Schriften steht, dass der Messias aus Betlehem kommen sollte.
Sarah (zynisch): … und der große König Herodes bekommt gleich solche Angst, dass er dutzende Kinder töten lässt! Was für ein jämmerlicher Angsthase! Genau wie du!
Elias: … Sarah …
[In diesem Moment betritt die Nachbarin den Raum. Sie erkennt sofort die Situation, nimmt Sarah in den Arm und schaut nachdenklich auf Elias.]
Nachbarin: Das, was hier in Betlehem geschehen ist, ist entsetzlich. Aber es gibt noch eine andere Geschichte. In unserem Stall schlief vor ein paar Tagen ein Ehepaar, beide wegen der Volkszählung unterwegs hierher. Sie war schwanger. Wir hatten in der Herberge bei uns keinen Platz mehr. Sie bekam ihr Kind in dieser Nacht. Aber dann ging es erst richtig los. Mitten in der Nacht tauchten Hirten auf und wollten das Kind sehen. Am nächsten Tag standen sogar drei fein gekleidete Männer vor unserem Stall. Sie erzählten von einem Stern, der sie hergeführt hat.
Elias: Was?! Die waren hier bei euch in der Herberge?!
Nachbarin: Kennst du sie?
Elias: Ja! Sie waren bei Herodes und erzählten eine wirre Geschichte von einem Königskind, das in Betlehem geboren werden sollte. Ein Kind, das später der Messias werden soll. Der Retter Israels, auf den wir schon so lange warten.
Nachbarin: Und deswegen hat Herodes dich und deine Männer losgeschickt?
Elias: Ja! Doch erzähl, wie ging es weiter? Wurde das Kind auch ermordet?
Nachbarin: Nein, Gott sei Dank nicht. Einen Tag später war die junge Familie morgens einfach verschwunden. So als hätte sie jemand gewarnt. Und die wertvollen Geschenke der drei Männer waren natürlich auch weg. Deine Soldaten kamen erst einen Tag später.
Sarah [verzweifelt]: Das alles macht meinen Sohn auch nicht wieder lebendig. [Schlägt die Hände vors Gesicht.]
Szene V: Dreißig Jahre später, unter dem Kreuz
[Elias tritt auf. Die Szene ist leer bis auf ein Kreuz.]
Elias: Dreißig Jahre sind vergangen seit diesen furchtbaren Tagen in Betlehem. Sarah hat es nicht überwunden. Sie starb wenige Jahre später am Kummer. Wir haben uns kaum noch gesehen, ich war nur noch selten in Betlehem. Niemand wollte dort mit mir noch etwas zu tun haben, das Blut all dieser Jungen klebte an meinen Händen. Auch meine anderen Kinder nicht, sie wuchsen bei Verwandten auf und meiden mich …
[Atmet tief durch, geht auf und ab.]
Heute bin ich im Ruhestand und lebe in Jerusalem. Vor drei Jahren etwa fing es an. Menschen erzählten von einem Mann namens Jesus, der in Galiläa von Gottes Reich spricht. Ganz anders als die vielen bunten Vögel, die sich als Stimme Gottes ausgaben. Sollte dieser Jesus das kleine Kind sein, dass damals in Betlehem zur Welt kam? Je mehr ich von ihm hörte, desto sicherer wurde ich mir. Es hat mein Herz nicht leichter gemacht. Geschehen ist, was geschehen ist. Aber sollte Gott irgendeinen Plan verfolgt haben, dann war ich ein Rädchen in seinem Werk. Aber hätte er sich nicht etwas anderes ausdenken können als das ganze Blut, dass am Ende sinnlos vergossen wurde? Dann sage ich mir: Es war nicht Gottes Entscheidung, den Befehl zu geben, sondern Herodes war es. Gott gibt uns viel Freiheit und Macht, zum Guten und zum Bösen … Herodes starb übrigens kurz danach. (lacht) Nichts hat er davon gehabt, das Kind hat SEINE Herrschaft nie bedroht …
[Bleibt stehen, blickt zum Kreuz.]
Zum Passahfest kam Jesus vor ein paar Tagen nach Jerusalem. Ich stand unter denen, die ihn mit Hosianna begrüßt haben. Ich stand unter denen, die kurz danach dem römischen Statthalter Pilatus entgegenschrien: „Kreuzige ihn!“ Er hat es stumm ertragen. Ich schaute in seine Augen. Sie waren traurig und klar. So eine tiefe Liebe habe ich nie zuvor gesehen …
Jetzt stehe ich unter seinem Kreuz. Jesus ist tot. Sie haben ihn wie einen Verbrecher hingerichtet. Da hätte ich auch hängen können, vor dreißig Jahren. Ich habe den Befehl nicht verweigert und trage an der Last bis heute. War es richtig, mein Leben zu retten? (Seufzt.)
Hier um das Kreuz herum stehen Menschen. Seine Mutter ist da, ein paar seiner Anhänger. Und römische Soldaten. Ein Hauptmann ist auch dabei. Nachdenklich betrachtet er Jesus. Ich höre, wie er sagt: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn!“ Unglaublich, der Heide erkennt die Wahrheit. Jesus ist der, auf den wir gewartet haben. Und jetzt ist er tot. Aber vielleicht ist das nicht das Ende, sondern ein Anfang.
Das Beitragsbild zeigt die Flucht der heiligen Familie in der Kathedrale von Autun. Die Rechte liegen hier: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Autun,_Flight_into_Egypt.JPG